Dagmar Isabell Schmidbauer

Der Tote vom Oberhaus


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um lakonisch festzustellen, dass sie viel zu schade für diesen Job war und doch endlich seine Muse werden sollte. Als mögliche Treffpunkte hatte er die verrücktesten Orte vorgeschlagen, und wenn sie dann absagen musste, hatte er geseufzt und gemeint, er würde, wenn das so weiter ginge, noch impotent werden. Franziska hatte diese Zeit genossen und langsam eingesehen, dass sie für ihn keine schnelle Eroberung war, sondern eine Frau, für die er sich etwas einfallen ließ. Schließlich hatte sie ihr Herz in die Hände genommen und sich weich und voller Hormone auf das Abenteuer Walter Froschhammer eingelassen.

      Und dann musste, ausgerechnet im allerschönsten Moment, dieses verdammte Handy klingeln. Als ob man ihr diesen Abend nicht gönnen wollte. Als ob das alles, verdammt noch mal, nicht warten konnte!

      Aber natürlich konnte sie sich nicht drücken. Sie liebte ihren Job und sie musste sich beeilen, denn Hannes dachte ja, sie sei im Museum für Moderne Kunst. Von der Veste Oberhaus, die weit über der Stadt Passau emporragte, war das Museum praktisch einsehbar, und dieser Umstand sorgte dafür, dass Franziska noch einen Zahn zulegte. Versuchte sie selbst auch das Gerede der Leute zu ignorieren, so wollte sie auf gar keinen Fall, dass Hannes erfuhr, wo sie bei seinem Anruf gewesen war. Er war mehr als nur ihr Kollege. Aber das mit Walter war privat, und Privates ging Hannes nun mal nichts an, beschloss sie, während sie auf der Angerstraße an der Donau entlang fuhr. Zum Glück hatte sich der Berufsverkehr bereits beruhigt, und so kam sie relativ schnell voran, bog nach dem Tunnel zweimal links, dann scharf rechts in die Ferdinand-Wagner-Straße ein und gelangte über die Versorgungsstraße auf den Burghof, wo sie hinter dem Fahrzeug der Kriminaltechnik parkte. Der Porsche vom Chef war noch nirgends zu sehen.

      Erst als sie über den Burghof ging, erkannte sie, dass sie, nach allem, was sie für diesen Abend geplant hatte, nicht für die Begehung eines Tatortes angezogen war. Das musste auch der Streifenbeamte am Eingangstor bemerkt haben, denn er musterte sie ungeniert und schenkte ihr dann ein süffisantes Lächeln.

      „Durch das nächste Tor in den inneren Burghof und dann am Brunnen vorbei. Dort wartet Ihr Kollege Obermüller.“

      Franziska nickte und ging in die Richtung, in die sein Finger zeigte. Im Burghof parkten ein weiteres Fahrzeug der Kriminaltechnik und ein Rettungswagen. Als sie durch die Fensterscheibe ins Fahrzeuginnere des Kriminaltechnikwagens blickte, erkannte sie an ihrem Spiegelbild, dass ihr Kleid nicht richtig geschlossen war.

      „Tut mir leid, aber Sie können nicht …“ Obermüller tat, als habe er sie nicht gleich erkannt, und grinste anzüglich. „Wird in deinem Kleid vielleicht ein bisschen kalt da unten“, gab er schließlich zu bedenken und reichte Franziska die Hand.

      „Danke für den Tipp!“ Franziska versuchte es mit einem Lächeln. „Wo liegt er?“

      „Komm mit, ich zeig‘s dir.“Mit schnellen Schritten stürmte Obermüller die Stufen hinunter, und Franziska hatte Mühe, ihm zu folgen.

      „Franziska ist da“, rief Obermüller übertrieben geschäftig, woraufhin Hannes im Türrahmen erschien und sie abschätzend betrachtete.

      „Du hast da was“, sagte der statt einer Begrüßung trocken und wischte mit dem Finger über einen Punkt unterhalb ihres Schlüsselbeines.

      Franziska versuchte seinem Blick zu folgen.

      „Farbe“, entschied Hannes, nachdem er seinen Finger inspiziert hatte. „Hast du nicht gesagt, du warst bei einer Ausstellung?“

      „Ja. War ich auch.“

      „Komisch. Ich dachte immer, bei einer Ausstellung sind die Bilder bereits fertig.“ Der junge Kommissar machte ein nachdenkliches Gesicht.

      „Nicht immer“, wich Franziska aus und versuchte es mit einem gewinnenden Lächeln. „Bist du schon lange hier?“

      „Seit einer dreiviertel Stunde.“

      „Aha. Dann kannst du mir doch bestimmt schon etwas über den Toten sagen?“ „Ähm, ja.“ Hannes schaute ein letztes Mal irritiert auf ihr Schlüsselbein und wandte sich dann abrupt ab, um mit einem großen Schritt über die Blutlache zu steigen, die sich von der Mitte des Raums bis zum Türrahmen gebildet hatte. Franziska betrachtete den bereits geronnenen, dunkel verfärbten Fleck, der sich auf dem Eichenholzparkett gebildet hatte, und tat es Hannes gleich.

      An einer Wand des Raums stand ein Gerüst für die bereits anskizzierten Malerarbeiten, auf dem Boden lagen einige verpackte Gegenstände, die Franziska nicht gleich erkannte. Das kann warten, dachte sie, denn erst wollte sie die Kollegen begrüßen und Näheres von ihnen erfahren. Sie schickte eine Begrüßung in den Raum und drehte sich dann zu Hannes um, der vor dem Toten stehen geblieben war.

      „Der Mann heißt Xaver Mautzenbacher und ist zweiundvierzig Jahre alt. Als er gefunden wurde, hatte er seinen Ausweis, eine Kreditkarte, zwanzigtausend Euro Bargeld sowie eine Rolex und einen Schlüsselbund bei sich“, begann Hannes die wichtigsten Fakten aufzuzählen, während Franziska erstmals in das bleiche Gesicht des toten Mannes blickte.

      Seine Augen waren geschlossen, der Mund dagegen geöffnet, wie bei jemandem, der auf einer langen Busfahrt eingeschlafen ist. Die Haut schien bereits ein wenig wächsern. Er lag in einer Embryo ähnlichen Stellung ein Stück von der Wand entfernt, wobei die Blutspur zeigte, dass er nicht von Anfang an dort gelegen haben konnte. Neben ihm auf dem Boden lag ein zur Hose passendes dunkles Jackett. Der Tote trug ein Hemd, das einmal weiß gewesen war, eine Krawatte und schwarze Schuhe. Das Hemd war blutgetränkt und so weit aufgerissen, dass Franziska die klaffende Wunde am Bauch mühelos sehen konnte.

      „Er muss halb sitzend hinter der Tür gekauert haben“, erklärte Hannes die Position und Lage der Leiche und fing Franziskas fragenden Blick auf. „Die Kollegen mussten ihn zur Seite schieben, um die Tür zu öffnen. Anni hat auch schon eine Theorie.“

      Als Annemarie Michl, die Chefin der Kriminaltechnik, ihren Namen hörte, sah sie vom Boden auf, und als sie Franziska erkannte, ließ sie von ihren Fundstücken ab, erhob sich und kam auf sie zu.

      „Den Blutspuren zufolge muss er sich an der Tür angelehnt haben, daraus schließe ich, dass er ursprünglich davor saß.“ Franziska fixierte die Blutlache, über die sie beim Eintreten gestiegen war, anschließend den Toten. So wie er jetzt dalag, hätte sie sich nie bilden können.

      „Hast du schon eine Vorstellung davon, wie es passiert ist?“, fragte sie die Kollegin und sah sich weiter im Raum um.

      „Mit dieser Prunkpartisane.“ Annemarie ging zurück zu der Stelle, an der sie gerade gearbeitet hatte, bückte sich und hob eine in Plastikfolie gewickelte altertümliche Waffe in die Höhe. „Hier!“ Sie reichte Franziska eine Lanze, die diese an der langen dunklen Holzstange, an der eine Blattklinge befestigt war, ergriff. „Er muss sie sich aus dem Bauch gerissen haben und ist dann auf allen Vieren zur Tür gekrochen, konnte sie aber nicht öffnen.“

      Franziska betrachtete die Waffe näher und blickte dann fragend Annemarie an.

      „Wie sagtest du, heißt das Ding?“

      „Prunkpartisane. Stammt aus dem Jahre 1689. Im Mittelalter nannte man die Dinger auch Stoßlanze, und als solche muss sie der Täter auch verwendet haben. Geführt wurden sie von der Leibgarde des Fürstbischofs.“

      Die Kommissarin nickte anerkennend. „Was du alles weißt, Anni!“

      „Da drüben hängt noch eine alte Tafel mit einer Abbildung der Partisane und einer Beschreibung“, gab Annemarie unumwunden zu. Mit der Waffe in der Hand beugte sich Franziska über den Toten. Sein Gesicht war entspannt, und wenn sie nicht besser über diesen Umstand Bescheid gewusst hätte, hätte sie gedacht, er habe im Sterben noch genug Zeit gefunden, um einen letzten zufriedenen Blick auf sein Leben zu werfen.

      Als sie wieder aufsah, stand der Notarzt neben ihr. Er hatte seinen Koffer gepackt, seine Arbeit war getan.

      „Ah, Dr. Buchner. Sagen sie, woran ist der Mann Ihrer Meinung nach gestorben?“ Konzentriert fokussierte sie den Mediziner. Buchner war ein routinierter Notarzt, der schon viel gesehen und erlebt hatte. Manches hatte Spuren in seinem gütigen Gesicht hinterlassen. Ihr gefiel seine bedachtsame,