Liv-Malin Winter

Eiskalte Energie


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und die Welt schlagartig verändert. Das Öl wurde innerhalb weniger Wochen so teuer, dass sich kein normaler Mensch mehr Benzin leisten konnte. Auch der Lieferverkehr brach zusammen, so dass den Geschäften nach und nach die Ware ausging. Die Elektronikgeschäfte bekamen keinen billigen Nachschub mehr aus Asien und jetzt, zehn Jahre später, würde es sie ein kleines Vermögen kosten, das Gerät zu ersetzen.

      Nachdem sie sich die Seite des Umweltministeriums gründlich angesehen hatte, musste sie feststellen, dass es zum Thema Methanhydrat noch keine Äußerungen gab. Sie war etwas enttäuscht, wusste aber, dass diese Dinge ihre Zeit brauchten. Dann klickte sie auf den Werdegang des Umweltministers. Früher hatte er in der Energiebranche gearbeitet. Wie es schien, pflegte er immer noch gute Kontakte zu den diversen Energieunternehmen. Es erstaunte sie, dass so einer Umweltminister geworden war. Aber dieser Posten hatte in den letzten Jahren mehr und mehr an Bedeutung gewonnen, denn die effiziente Nutzung der natürlichen Ressourcen war zum wichtigsten politischen Thema geworden. Sie fragte sich, ob der Umweltminister objektiv mit dem Thema Methanhydrat umgehen würde oder ob er immer noch tief in der Energiebranche verwurzelt war. Isabella schätzte die Wahrscheinlichkeit, dass er unvoreingenommen war, als sehr gering ein. Vermutlich war von dieser Seite keine Hilfe zu erwarten.

      Sie sah sich die Seiten verschiedener Umweltorganisationen an. Die Informationen, die diese veröffentlichten, besaßen nicht annähernd die Brisanz ihrer eigenen Forschungsergebnisse. Wahrscheinlich würden die Umweltorganisationen ihre Ergebnisse mit Kusshand nehmen und für eine Kampagne verwenden. Aber vermutlich wurden die Genehmigungen für den Abbau von Methanhydrat schon vorher erteilt und so etwas wieder rückgängig zu machen, könnte Jahre dauern. Dann wäre es vermutlich schon zu spät.

      Sie fragte sich, was sie tun sollte. Hatten Schwaiger und der Umweltminister vor, die Gefahren, die mit dem Abbau von Methanhydrat zusammenhingen, zu ignorieren? Niemand hatte bis jetzt auf diese Gefahren hingewiesen. Wenn Ihr Forschungsbericht bisher nicht veröffentlicht worden war, würde das vielleicht auch in Zukunft nicht geschehen. Sollte sie die Öffentlichkeit warnen? Aber wie sollte sie das tun? Entmutigt und deprimiert ließ sie den Kopf auf den Tisch sinken. Am liebsten würde sie einfach vergessen, was sie herausgefunden hatte. Das wäre am leichtesten. Isabella war ratlos und hatte keine Idee, wie sie einflussreiche Politiker erreichen könnte, um die bevorstehende Katastrophe abzuwenden. Unschlüssig, was sie tun sollte, beschloss sie, einen Kaffee zu trinken, um ihre Gedanken zu sammeln. Aber natürlich war an einem Tag wie diesem der Kaffee alle. Ein Blick in den Kühlschrank zeigte ihr, dass ein Einkauf mehr als nötig war. Also zog sich Isabella ihre Jacke an, nahm ihre Tasche und fuhr mit ihrem Fahrrad los.

      Sie kam am Lebensmittelladen vorbei, aber einkaufen wollte sie später. Jetzt steuerte sie ein anderes Ziel an. Der Parkplatz des Ladens war halb voll mit Fahrrädern und den unvermeidlichen Fahrradanhängern, die man überall sah. Sie überlegte, ob der Hersteller inzwischen wohl Millionär wäre. Zwei Lieferanten des Geschäftes kreuzten ihren Weg, auch sie auf Fahrrädern mit vollgepackten Anhängern. Isabella beschloss, sich auf dem Rückweg frischen Salat zu kaufen. Zum Glück war der Winter und damit die monatelange Kohlzeit vorbei. Aber was sollte man machen. Im Winter gab es nun einmal kaum andere einheimische Gemüsesorten.

      Ein paar Minuten später betrat sie ihr Lieblingscafé am Potsdamer Platz. Sie kam gerne her, denn sie mochte die Atmosphäre des Platzes. Hier pulsierte das Leben und immer, wenn es das Wetter zuließ, genoss es Isabella, sich draußen hinzusetzen und dem bunten Treiben zuzuschauen.

      ››Einen XL-Cappuccino zum Mitnehmen, bitte‹‹, sagte sie zur Verkäuferin und reichte ihr ihren Kaffeebecher. Viele Cafés hatten in den letzten Jahren ein neuartiges Pfandsystem eingeführt, da herkömmliche Pappbecher zu teuer geworden waren. Die Kunden konnten entweder ihren Kaffeebecher mitbringen oder bekamen einen und zahlten dafür Pfand. So mussten sie unterwegs nicht auf ihren Kaffee verzichten.

      Mit ihrem Kaffeebecher in der Hand trat sie vor die Tür und nahm einige Schlucke. Der Kaffee schmecke ihr viel besser als zu Hause. Kaffee war mittlerweile ein teurer Luxus. Da er in Europa nicht angebaut werden konnte, musste er weit transportiert werden und das hatte seinen Preis. Meistens trank Isabella Getreidekaffee aus heimischem Anbau, doch ab und zu gönnte sie sich einen richtigen Kaffee.

      Sie betrachtete die Menschen. Einige telefonierten, andere unterhielten sich miteinander. Eine Fahrradrikscha fuhr an Isabella vorbei. Darin saß eine Familie. Die beiden Kinder beobachteten interessiert das Treiben um sie herum. Businessleute eilten durch die Straßen und Touristen sahen sich neugierig um. Wie überall wurde das Straßenbild von Radfahrern beherrscht. Autos waren fast völlig verschwunden. Alle waren mit ihrem alltäglichen Leben beschäftigt. Isabella dachte an andere Städte, Metropolen wie New York oder Vancouver, die am Meer lagen. Auch dort lebten Millionen von Menschen, ahnungslos darüber, was für ein Unheil auf sie zukam. Wenn sie Glück hätten, könnten sie vor einem kommenden Tsunami fliehen, doch ihr Zuhause würde zerstört werden. Die Heimat zu verlieren wäre ein schlimmes Schicksal. Als Flüchtling an einen fremden Ort zu kommen und dort vielleicht auf Ablehnung zu stoßen, war schwer. Wer weiß, ob sich diese Menschen je wieder irgendwo heimisch fühlen könnten. Wenn sie jedoch Pech hätten, dachte Isabella düster, würden sie nicht rechtzeitig gewarnt werden und müssten in den Fluten eines Tsunamis sterben. Plötzlich erhielt sie einen Stoß und wurde unsanft aus ihren Gedanken gerissen. Ein Mann hatte sie angerempelt. Sie fühlte etwas Warmes über ihre Hand laufen und ein Blick bestätigte ihr, dass ihr Kaffee verschüttet worden war. Eilig hielt sie den Kaffeebecher von sich weg, um ihre Sachen zu schützen, doch dafür war es bereits zu spät.

      ››Können Sie nicht aufpassen?‹‹, fragte sie ärgerlich und sah ihn an. Sie sah in warme braune Augen und ein attraktives Gesicht.

      ››Es tut mir schrecklich leid, ich habe Sie nicht gesehen‹‹, sagte der Mann und hob entschuldigend die Hand, in der er sein Handy hielt.

      ››Ich habe gerade eine Nachricht gelesen und da habe ich Sie wohl übersehen. Es tut mir leid. Haben sie Kaffee auf ihre Sachen bekommen?‹‹ Eilig zog er ein Taschentuch aus seiner Tasche und reichte es ihr.

      ››Nur ein paar Spritzer. Es geht schon‹‹, entgegnete Isabella, während sie versuchte, die Kaffeeflecken von ihrer Jacke zu tupfen.

      ››Sie müssen mir erlauben, Ihnen als Wiedergutmachung einen neuen Kaffee zu kaufen‹‹, sagte er mit einem gewinnenden Lächeln, ››Was war das für einer?‹‹

      ››Ein Cappuccino‹‹, erwiderte sie, gefangen von seinem Lächeln.

      ››Am besten gehen wir rein, da ist es ungefährlicher. Setzen Sie sich, ich hole den Kaffee.‹‹ Mit diesen Worten ging er zur Theke.

      Als er mit den Kaffeetassen zum Tisch kam, hatte Isabella Gelegenheit, ihn in Ruhe zu betrachten. Er hatte dunkelbraune kurze Haare und trug einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd und einer Krawatte, die ziemlich teuer aussah. Mit einem Lächeln stellte er die Tassen auf den Tisch.

      ››Bitteschön, als kleine Wiedergutmachung.‹‹

      ››Danke‹‹, sagte sie und trank genussvoll von ihrem Cappuccino.

      ››Was ist denn Ihr Job, dass Sie so interessante Mails bekommen und unschuldige Frauen umrennen?‹‹, fragte Isabella, nachdem er sich gesetzt hatte.

      ››Ich bin Umweltberater‹‹, sagte er und lächelte über ihren erstaunten Gesichtsausdruck. ››Die Zeit der selbst gestrickten Pullover ist inzwischen vorbei. Es geht in meinem Job nicht mehr darum, ein paar undichte Fenster auszutauschen und Energiesparlampen einzusetzen.‹‹

      ››Das ist mir schon klar, aber ich wusste nicht, dass sich diese Branche so verändert hat‹‹, erklärte sie einigermaßen verblüfft.

      ››Oh, das hat sie auf jeden Fall. Inzwischen braucht man eine Menge Know-how und gute Kontakte zu den richtigen Leuten. Wenn man das hat, kann man auch ganz gut verdienen. Und was für tiefgehende Gedanken hatten Sie, dass Sie mir nicht ausgewichen sind?‹‹, fragte er.

      ››Ich habe gerade versucht eine Entscheidung zu fällen.‹‹

      ››Haben Sie es noch geschafft, bevor