könnte, bescherte Elena ein leichtes Unwohlsein in der Magengegend – oder war das der Hunger? Der Gedanke, dass er die Richtung ihres Denkens dirigieren konnte, wie es ihm beliebte, zog ihr ganz langsam den Teppich unter den Füßen weg. Er hatte eine Art von magischer Wirkung auf sie, der sie sich aus einem unerfindlichen Grund ausgeliefert fühlte. Dankbar ihn nicht ansehen zu müssen, biss sie in die Melone, die er ihr reichte. »Lecker, so saftig«, kommentierte sie hilflos.
»Sehr lecker und supersaftig«, bestätigte David und leckte den Melonensaft ab, der seine Finger hinunterrann. »Aufgegessen? Sehr gut, dann gehen wir jetzt zum Fischmarkt.« Er zog sie hinter sich her in das dichte Gedränge einer historischen Säulenhalle im Zentrum des umgebenden Freiluft-Marktgeländes. Der stärker werdende Duft von gebratenen Meeresfrüchten, Gemüse und Kräutern zeigte, dass sie auf dem richtigen Kurs sein mussten, auch wenn Elena nicht sehen konnte, welchen Weg er einschlug: Davids durchtrainierter Oberkörper vor ihrer Nase, der die Menschenmenge teilte wie einst Moses das Rote Meer, ließ ihr keine Möglichkeit zu sehen, wohin die Reise ging.
»Wirklich hervorragend«, kommentierte Elena und vermied peinlichst alle Wörter, die ihrem Begleiter auch nur im Entferntesten die Möglichkeit boten, wieder an das Thema Sex anzuknüpfen.
»Satt?«
Sie tupfte den Mund mit der Serviette ab und nickte. »Danke, pappsatt.«
»Dann würde ich vorschlagen, wir machen uns auf den Weg. Der Florist ist auf der anderen Seite des Canal Grande.«
»Wie kommen wir dahin?«
»Laufen, es ist nicht weit.«
Galant bot er ihr einen Arm an und nach wenigen Minuten hatten sie über die Rialtobrücke bereits das andere Ufer erreicht. Als sie zum gefühlt zwanzigsten Mal in eine Seitengasse abbogen, war Elena froh, einen Mann mit offensichtlich ausgezeichnetem Orientierungssinn an ihrer Seite zu haben. Den Eingang zum Floristen zu finden, erforderte dagegen keine speziellen Fähigkeiten: Üppig bepflanzten Kübel stachen schon von Weitem wie blühende Wegweiser ins Auge.
Trotz des exquisiten und großen Angebots musste Elena nicht lange überlegen: Ihre Wahl fiel auf rote Rosen, Vergissmeinnicht und kleinblütige weiße Margeriten. »Das perfekte Trio für das Brautbukett und den Kranz.«
»Du bist eine Frau der schnellen Entschlüsse«, bemerkte David und es hörte sich nach einem echten Kompliment an – obwohl die Wortwahl wieder mehr als doppeldeutig war. Als sie hinaus in das wärmende Sonnenlicht traten, zog er sie plötzlich in die Arme. Der Druck seines Fingers bog ihr Kinn hinauf, bis er seine Augen in ihren versenken konnte. Sein Kuss fiel überraschend zärtlich und gefühlvoll aus. »Versprichst du mir, dass du bei deiner Hochzeit genauso einen Kranz in deinen Haaren tragen wirst?«
»Das solltest du wohl lieber mit meinem Zukünftigen besprechen, der steht nicht auf so viel Schischi.«
David löste seine Umarmung wortlos.
Und dieses Schweigen grub sich viel vernichtender in Elenas Gewissen ein, als ein Kommentar es hätte tun können. Er hat selbst schuld, warum hat er mich angelogen und behauptet, schwul zu sein? Geschieht ihm nur recht, wenn er jetzt enttäuscht ist, rechtfertigte sie sich vor sich selbst, denn der Blick in seine Augen bewies, dass sie einen Volltreffer gelandet hatte. Aber der Sieg hinterließ einen bitteren Geschmack in ihrem Mund. Was war ein Schlagabtausch wert, der nur darauf abzielte, dass man sich gegenseitig bewies, wie unwichtig man einander war?
Auch wenn David – ganz Gentleman – ihr wieder den Arm anbot, konnte Elena sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es nicht mehr als eine Geste der Höflichkeit war. Mehrmals wollte sie ansetzen, doch sie fand einfach nicht die richtigen Worte, um die unangenehme Stille zu durchbrechen. Hinter der nächsten Wegbiegung wurde die bedrückende Enge der Altstadtgassen plötzlich von der Weiträumigkeit des Markusplatzes abgelöst. Doch die ausladende Weite brachte kein erlösendes Gefühl der Befreiung mit sich. Ein seltsames Empfinden beschlich Elena, fast so, als wäre sie zu einem Spießrutenlauf durch die Menschenmenge auf der großen Fläche verdonnert. Ob die vielen hundert Augenpaare nur darauf warteten, sie und ihr schlechtes Gewissen zu beobachten?
David ließ sich nicht beirren und bahnte sich forsch seinen Weg durch die Touristenströme. Als er dann auch noch entschlossen auf die motorisierten Wassertaxis zusteuerte, war klar, dass auch er diese unschöne Situation so schnell wie möglich beenden wollte. An einem gemütlichen Ausklang des Ausflugs in Form von Cappuccino oder Sightseeing hatte er kein Interesse mehr.
Zufrieden setzte David Kurs in Richtung Steg. Die Schuldgefühle waren Elena auf die Stirn geschrieben. Neben ihm wandelte ein verlockendes Kunstwerk von Mutter Natur, das dazu auch noch mit einem sehr großen Herz ausgestattet war. Bei dieser Frau musste er die Zügel vorsichtig aufnehmen, sie war noch nicht für die harte Gangart an der Kandare gerüstet. Doch bis jetzt hatte er sie auch ohne Zwang mit den entsprechenden Manövern in die gewünschte Richtung lenken können. Ihre Ungeduld wuchs von Tag zu Tag – und damit letztlich auch ihre Bereitschaft, gehorsam zu folgen. Ein kurzer unbemerkter Seitenblick auf ihre prachtvollen Formen bescherte ihm ein sagenhaftes Kribbeln bis in die Haarspitzen. Wie sie wohl reagieren würde, wenn er sie hier, quasi vor den Augen hunderter Touristen durcharbeiten würde, ohne dass auch nur ein Außenstehender etwas davon mitbekam? Die Angst vor Entdeckung würde ihrer Lust – und damit auch seiner – bestimmt Flügel verleihen. Mit einem leisen Seufzer verschaffte er sich Erleichterung und hoffte, dass sie nicht bemerkte, wie sein Körper unterhalb der Gürtellinie reagierte.
Auch nach dem Ablegen hatte Elena keine Hoffnung mehr, dass ein Gespräch in Gang kommen würde. Sie beschloss die unangenehme Situation zu überbrücken, indem sie sich wieder ihren eigenen Angelegenheiten zuwandte … Um sich dem Inhalt ihrer Rocktasche widmen zu können, erhob sie sich von ihrem Sitz. Ob es ein Windstoß oder eine Welle war, die das Wassertaxi heftig erwischte und gefährlich zum Schlingern brachte, ließ sich im Nachhinein nicht mehr feststellen. Reflexartig klammerte sie sich an David fest, der von seinem Sitz hochgeschnellt war, um sie zu stützen, und öffnete für einen Sekundenbruchteil ihre Finger. Der Wind fand in dem Blatt eine ideale Angriffsfläche und riss es ihr aus der Hand. Fassungslos musste sie zusehen, wie der Zettel über Bord segelte.
»Fionas Ehegelöbnis!«, schrie sie entsetzt auf. Eine weitere schnelle Bewegung, ein weiterer Schrei: »Mann über Bord!«
Ohne zu zögern, war David todesmutig aus dem fahrenden Motorboot gehechtet. Als er wieder auftauchte, winkte er mit seiner Beute. Warum seine Gesichtszüge mit jedem Meter, dem er sich dem Boot näherte, missmutiger wurden, erschloss sich Elena nicht. Ob es an der Wassertemperatur lag oder an dem Menschenauflauf, der sich am Ufer gebildet hatte?
»Ein wirklich interessantes Ehegelöbnis«, kommentierte David und begann vorzulesen, nachdem er seinen triefenden Prachtkörper wieder an Bord gehievt hatte. »Sechs Eier, ein Liter Milch, Sahne …« Langsam richtete er sich auf und kam auf Elena zu. Ruckartig zog er sie an sich und sah sein Spiegelbild in ihren verängstigt geweiteten Pupillen aufblitzen. »Damit hat sich der Preis für mein Schweigen gerade verdoppelt!«
Vermisste
»Liebling, ich werde dich vermissen!«, verkündete Fiona und reckte theatralisch die Arme zum Himmel hinauf.
»Wie darf ich das denn bitte verstehen?« Ryan warf einen misstrauischen Blick auf das Gepäck. »Kalte Füße? Willst du mir auf diese Weise schonend beibringen, dass du mich verlässt?«
»Ja, ich werde dich verlassen – für heute Nacht!«
»Warum denn? Prinzessin, ich musste so viele Tage und Nächte ohne dich verbringen!«
»Brauch ist Brauch und der verlangt nun mal, dass Braut und Bräutigam die Nacht vor der Hochzeit getrennt verbringen.« Fiona zeigte sich unerbittlich und verschränkte die Arme demonstrativ vor der Brust.
Ryan ließ sich von der Abwehrhaltung nicht abschrecken, ergriff vorsichtig ihre Hände und legte sie um seine Taille, während er seine Arme um Fionas Schultern schlang. »Und wenn ich dir