eine überschaubare Hochzeitsgesellschaft, aber wir sollten einen Brautschuh versteigern. Fi hat doch eine ausgeprägt soziale Ader.«
»Sonst würde sie Ryan wohl kaum nehmen«, grinste David frech. Bevor sie etwas erwidern konnte, fuhr er fort. »Den Brauch einen Schuh zu versteigern, gibt es in Israel nicht. Was habe ich mir darunter vorzustellen?«
»Die Braut spendet einen ihrer Schuhe für die Versteigerung und die Gäste füllen ihn dann mit dem Betrag, den sie bieten. Das letzte Gebot gibt traditionell der Trauzeuge ab, der den Schuh für die Braut auslöst und ihn ihr zurückbringt. Das Geld wird im Anschluss für einen guten Zweck gespendet.«
»Der Brauch gefällt mir!« Er strich mit seinem Daumen über Zeige- und Mittelfinger. »Und es ist gut zu wissen, dann muss ich mir ja noch das entsprechende Kleingeld besorgen.«
»Gibt es noch schöne Bräuche aus deiner Heimat?«
David musste nicht lange nachdenken. »Was du ja sicherlich kennst, ist das Jawort unter dem Baldachin, der Chuppa, und dass das Paar gesegneten Wein aus einem Glas trinkt, das dann in ein Stofftuch gewickelt und vom Bräutigam zertreten wird. Da wir es hier mit einer katholischen Trauung zu tun haben, kommen solche jüdischen Bräuche wohl nicht infrage.«
Verstohlen beobachtete Elena den großen Mann neben sich, da war wieder diese Ausstrahlung von Ruhe und Gelassenheit. David war frech und spielte den Oberflächlichen, aber er hatte eine Menge Tiefgang. Warum verbarg er diese Seite nur so rigoros? War seine zur Schau gestellte Gleichgültigkeit nur Abwehr, damit man ihm nicht zu nahe kam? Sie wusste aus Fionas Erzählungen, welche Gräuel Ryan in den Jahren als Führungsoffizier einer Eliteeinheit erlebt, und dass er mit seinen eigenen Händen getötet hatte. Ob David dieses Schicksal teilte? Er war auch Offizier – in Israel, in einem Land, das nach ihrer Wahrnehmung in einem kriegsähnlichen Dauerzustand mit seinen Nachbarn lebte. Die Militärangehörigen des Landes hatten den Ruf nicht besonders zimperlich zu sein. Wie weiß seine Weste wohl in all den Jahren geblieben war? Das alles waren Größen, die sie nicht einschätzen konnte, denn er verlor kein Wort darüber.
Rein äußerlich könnten Ryan und er Brüder sein. Beide groß und von athletischem Körperbau – und auch diese katzenhafte Geschmeidigkeit in ihren Bewegungsabläufen war nahezu identisch. Selbst die tiefschwarzen Locken waren fast gleich, nur die Augenfarbe unterschied sie. Während Ryans Augen in ihrem dunklen Blau an einen Bergsee erinnerten, wirkten Davids fast schwarze Augen wie glühende Kohlen, wenn er sich für etwas begeisterte, so wie jetzt.
»Wir schwören uns bei der Hochzeit übrigens nicht nur ewige Treue und Liebe. Als jüdischer Mann muss ich mich auch verpflichten, meine Frau stets sexuell zu befriedigen.«
»Das würde Ryan bestimmt jederzeit schwören!«, rutschte Elena raus.
»Und ich denke, Fiona wird sich sicherlich auch nicht beschweren …« Er brach ab, fast ein wenig verschämt. Ein angenehmer Zug, wenn hinter der undurchdringlichen Maske einmal der Mensch durchschimmerte. Wenn es um Dritte ging, wusste David, wie das Wort Respekt geschrieben wurde, nur Elena gegenüber schien er durchaus ein ziemlich belastbares Gewissen zu haben.
»Ich bin ein wenig unsicher, wie das mit den Geschenken läuft. Bei einer jüdischen Hochzeit wird traditionell Geld geschenkt. Das ist als Startkapital für das Ehepaar gedacht. Darf ich dich fragen, was du den beiden schenkst?«
Sieh an, sieh an. Mister Supercool wurde tatsächlich langsam handzahm und gab zu, dass auch er nicht allwissend war. Doch in diesem Fall konnte auch Elena nicht triumphieren. »Das ist eine gute Frage, da die Blitzhochzeit auch für mich überraschend kommt. Ich habe mir gestern und heute auch schon den Kopf zerbrochen, aber zu einem Ergebnis bin ich noch nicht gekommen. Geld und was man damit kaufen kann, hat Ryan zur Genüge und Fiona legt keinen Wert darauf.« Nachdenklich schloss sie ihre Lippen um den Strohhalm und nuckelte den Rest Piña Colada aus der Cocktailtulpe.
»Noch einen?«, erkundigte sich David und gab dem Barkeeper zu verstehen, dass sie beide einen weiteren Drink wünschten, bevor er weitersprach. »Dann versuchen wir also etwas zu finden, das man für Geld nicht kaufen kann. Oder eben etwas so Besonderes, dass es ungewöhnlich genug ist ...«
»Du meinst, wir sollten zusammen etwas schenken? Also ich meine als Trauzeugen?«
»Ja, das würde ich schön finden. Das ist bei uns so Sitte. Ist das in Europa nicht angemessen?«
»Doch, doch, natürlich …«
»Ich hätte nie gedacht, dass Ryan einmal in den Hafen der Ehe einläuft. Darum habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht. Und wie schon gesagt, bei uns wird traditionell Geld geschenkt.«
»Begleiten die Partnerinnen in Israel ihren Mann nicht zu solchen Festlichkeiten?« Jetzt war es raus – dem Zungen lösenden Alkohol sei Dank. Doch Elena musste endlich Gewissheit haben, ob er im Hintergrund irgendwo eine Kandidatin in der Pipeline hatte.
Und so wie David sie ansah, hatte er verstanden, worauf die Frage abzielte. Er schmunzelte und wartete, bis der Bartender die Getränke abgestellt hatte, knabberte einige Erdnüsse und sah sie herausfordernd an.
»Aber selbstverständlich begleiten unsere Partner uns zu solchen Festlichkeiten. Mein Freund hat diese Woche aber leider keine Zeit.«
Die klebrige Piña Colada landete mit Schwung in der falschen Röhre und sorgte für einen Hustenanfall, der den Barkeeper entsetzt zum Telefon eilen ließ. Doch bevor er den Notarzt rufen konnte, winkte Elena bereits schwer nach Luft schnappend ab. Aber natürlich! Das war des Rätsels Lösung: David war schwul! Wie hatte sie nur so blind sein können? Der Mann war supergepflegt. Er musste allein Stunden damit zubringen, seinen Bart so perfekt auszurasieren. Dann seine Kleidung, die war so geschmackvoll. Und nicht zuletzt sein durchtrainierter Körper … Er war einfach nur ein Traum von einem Mann. Ein Traum, der mit einem Wort in ganz weite Ferne gerückt war. Was für eine Verschwendung!
»Was ist das denn hier, konspirative Sitzung?«, erklang eine Stimme hinter ihr – und sie gehörte ganz unverkennbar Ryans Schwester. Als Elena herumschnellte, stand da die ganze Hochzeitsgesellschaft aufgereiht: Charlotte nebst Gatten, Fionas Eltern, ein weiterer Freund von Ryan – Liam, mit seiner Freundin – und das Brautpaar selbst.
»Wann seid ihr angekommen?«, fragte Elena und ärgerte sich im gleichen Moment über ihre nicht gerade vor Geist strotzende Bemerkung. Doch außer David schien niemandem aufzufallen, dass sie mindestens drei Meter neben sich stand. Hastig versuchte sie, das verräterische Buch in ihre Handtasche zu pfriemeln. So wie es sich wehrte, würde es hinterher nur noch als Kaminanzünder taugen, doch das war egal.
»Wir haben die Familie und Freunde gerade am Flughafen eingesammelt und wollten jetzt gemeinsam essen. Ihr seid doch dabei?« Einladend streckte Fiona ihre Hände aus.
Die entspannte Konversation und das exquisite Fünf-Gänge-Menü konnte Elena nicht wirklich genießen. Viel zu groß war ihre Angst, dass ihr der eine oder andere Bissen im Hals stecken bleiben würde. Einzig die Tatsache, dass David als Tischherr neben und nicht ihr gegenüber saß, entspannte die Situation ein wenig. Und sie hatte die Gelegenheit, ihn unauffällig zu beobachten. Es war für sie immer noch unbegreiflich: Wie konnte es sein, dass er in seinem ganzen Gehabe so absolut hetero rüberkam? Und warum starrte ein Homosexueller einer Bedienung so ungeniert – oder besser gesagt interessiert – auf den Hintern? Na, obwohl Po, so eine gewisse Fixierung auf das spezielle Körperteil sollte bei Schwulen wohl vorprogrammiert sein …
Aber auch auf Hinterteile von Frauen?
Oder hatte er sie ganz dreist angelogen?
Aber kein Mann – und schon gar kein Mega-Macho – würde sich doch so eine Blöße geben!
Nein, das konnte nicht sein, denn das wäre weit mehr als eine Selbstkasteiung, das wäre eine Selbstkastration.
Statt Antworten gab es immer mehr offene Fragen. Bis auf eine, denn endlich hatte Elena eine Eingebung und wusste, was sie Fiona und Ryan zur Hochzeit schenken konnte. Und plötzlich schmeckte auch der Hummer wieder, denn gleichgültig, wie es übermorgen nach der Hochzeit weitergehen würde, das Präsent bescherte ihr auf