Günter Tolar

Der Herzog


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ging es bergauf, es wurde zum Klettern, wobei es manchmal sogar auf allen Vieren ging. Ich hatte ein wenig Angst um meine nackten Fußsohlen. Da ich aber immer genau dorthin trat, wohin Ivo vor mir trat, geschah mir nichts. Er war aber zudem auch sehr schwer, mich vollends auf die Tritte zu konzentrieren, weil ich beim Bergaufklettern immer den faszinierenden Popsch vom Ivo vor der Nase hatte. Und zwischen den Backen lugten höchst lustig die Eierlein hervor.

      Als wir uns eben anschickten, einen Felsen zu umgehen, der uns bisher alle Sicht auf den weiteren Weg verstellt hatte, wandte sich Ivo kurz zu mir um und sagte: „Kann sein, daß du jetzt erschrickst. Es ist aber nichts zum Erschrecken.“

      Bei dem, was jetzt kommt, sind wir uns so gar nicht sicher, wie weit da dem Joseph Moritz die Phantasie durchgegangen ist. Es ist nämlich schwer vorstellbar, daß sich das damals - wir schreiben nota bene das Jahr 1818 und befinden uns in den ‚Illyrischen Provinzen’ oder deren österreichischer Nachfolge - damals abgespielt haben soll. Aber Joseph Moritz schreibt es. Und wir? Wir geben es vorsichtig wieder.

      Es war aber zum Erschrecken. Wir standen nämlich plötzlich einer nackten Frau gegenüber, die offenbar wie wir gerne ihres Weges hatte wandern wollen. Jetzt aber, da sie zweier fremder nackter Männer ansichtig wurde, schrie sie einen kleinen Schreckensschrei und sprang seitwärts hinter einen Felsen in Richtung zum Ufer.

      Wir traten fasziniert einen Schritt vor und sahen sie behende die Felsen hinunterspringen.

      „Ludmilla“, rief ihr Ivo nach. Er war kein Fremder hier. Natürlich, er hatte mich ja auch gewarnt, er kannte also die Dame.

      Als sie ihren Namen hörte, blieb sie stehen, blickte sich um, ein Erkennen zog über ihr Gesicht und sie rief: „Ivo!“ und noch was in ihrer Sprache. Er antwortete auch, deutete auf mich und ich verstand, daß er Moritz sagte.

      Ich warf mich in Positur, um mich höflich zu verbeugen, da sagte er: „Bemüh’ dich nicht. Ich habe nicht gesagt, daß du ein Graf bist.“

      Ich stutzte. Warum hatte er meinen Stand vorenthalten?

      „Man würde es dir auch nicht ansehen“, meinte er weiter.

      Da dämmerte mir, daß ein nackter Graf kein Graf mehr war, sondern bestenfalls ein nackter Mann, der aussehen konnte wie ein Pestführer, oder der Schneider Hans, oder der Ivo. Oder ich - Moritz, ein nackter Mann, der sich nicht einmal mehr schämte, sondern sich in seiner Nacktheit wollüstig wohl fühlte. Darum hielt wohl auch Gott auf allen Gemälden sein jüngstes Gericht nur mit nackten Menschen ab.

      Mittlerweile hatte aber die als Ludmilla gerufene hinter ihren Felsen geschrien: „Karoline! Hermine!“, und dann noch was in ihrer Sprache.

      Zwei weitere nackte Frauen tauchten auf. Während Ludmilla überall blond war, war die zweite, es wird wohl Karoline gewesen sein, sehr brünett oder schon braun, die dritte - bleibt nur noch Hermine - schwarz, oder so dunkelbraun, daß sie schwarz wirkte im Gegensatz zu ihrer recht hellen, so schien mir, bläulich durchwirkten Haut. Aber wir waren noch zu weit entfernt, um solche Details schon erkennen zu können.

      „Komm“, deutete mir Ivo, nachdem die drei Grazien ebenfalls ein „Komm“ gewunken hatten, und wir kletterten die Felsen hinab, wo uns die Damen in einer Felsnische empfingen, die mit kurzhaarigen Fellen bequem ausgelegt war.

      Sie lagerten sich malerisch hin und luden uns ein, uns neben sie oder besser zwischen sie zu lagern. Ivo aber lehnte dankend ab und wir setzten uns auf zwei Felsen ihnen gegenüber, was mir beim Sitzen ziemlich wehtat, weil der Fels sehr rau war und mein Hintern nur Gepolstertes gewöhnt ist.

      „So bist du wenigstens sicher vor ihnen“, meinte Ivo auf deutsch.

      „Du nicht?“, fragte ich.

      „Mich kennen sie“, antwortete er, „und respektieren mich. Aber dich?“

      Da wollte schon Zorn in mir aufkommen, weil ich mir das nicht mehr gefallen lassen wollte. Wenn er sagen würde, ich sei Graf, würden sie mich wohl genauso respektieren wie ihn, diese nackten Weiber.

      „Sie unterhalten sich eben über dein Glied“, erklärte mir da der Ivo.

      Mein Zorn geriet in Verwirrung, es blieb mir für den Augenblick nur eines zu fragen: „Und?“

      „Sie finden es schön.“

      Ich sah mein Glied an, fand es eigentlich auch recht schön, nickte den Damen erfreut zu, sie lachten und nickten fröhlich zurück.

      „Verstehen die uns?“, fragte ich.

      „Nein“, sagte er, „aber es gibt Themen, die versteht man auch ohne Worte. Und du hast eben recht stolz dein Männliches betrachtet.“

      „Ja?“, sagte ich verwirrt und blickte wieder die drei Damen an.

      Sie nickten eifrig: „Dobro!“, sagten sie, „Dobro, dobro!“

      „Das heißt gut“, übersetzte Ivo trocken.

      Ich sah mir jetzt ebenso unverschämt die drei Damen an, konnte aber nicht viel Unterschiedliches bemerken, als daß sie alle verschieden hängende Brüste haben, weiß, milchig und blau um die Warzen herum geädert, sehr buschige Schamhaare, jede in ihrer Farbe; nur bei der ganz Dunklen sah es um die Scham herum etwas anders aus; ihr wuchsen die Haare in kleinen Büschelchen, sodaß immer wieder die weiße Haut dazwischen hervorschimmerte. Als sie bemerkte, daß ich sie betrachtete, tat sie langsam ihre Beine auseinander, bis ich das vor mir hatte, was ich von meiner kleinen Cousine schon kannte. Genauso kindlich sah es bei der Hermine aus. Nur daß es bei der Hermine gemeiner wirkte. Gewöhnlicher. Vulgärer.

      „Voriges Jahr“, murmelte Ivo. „sind sie noch so gelegen, daß man wenigstens das Geschlecht nicht sah, aber heute - äh...“ - er schloß mit einem Ausruf tiefen Ekels, der Hermine veranlaßte, ihre Scham wieder zu schließen. Eigenartig empfinde ich jetzt, daß das, wovor ich mich gefürchtet hatte, nicht aufgetreten war: ich war nicht erregt.

      Ivo übrigens auch nicht.

      Eine Zeitlang saßen wir stumm beieinander, dann meinte Ivo, wir könnten jetzt wohl gehen. Ich schloß mich seiner Meinung an, zumal man aus dem Felsenloch auch gar nichts von der Landschaft sehen konnte. Zudem bekam die Situation für meinen Be-griff etwas Abgeschmacktes.

      Wir standen auf, die Damen streckten uns die Arme entgegen, worauf wir bei jeder niederknieten und sie schnell küßten. Dabei ließ es sich keine der drei entgehen, mir streichelnd auf mein ‚schönes’ Glied zu greifen.

      Aber auch jetzt - leichter Kitzel, keine Erregung.

      Selbstvergessen machte ich beim Verlassen eine höfliche Verbeugung, die bei den dreien großes Gelächter hervorrief.

      Das Lachen klang uns immer noch nach, als ich schon weiter bergauf Ivos Hinterfront, die ich ja schon beschrieben habe, folgte. Als wir dann wieder um den Überraschungsfelsen - jetzt in die andere Richtung - herumgegangen waren, fragte ich beiläufig: „Noch irgendwelche Überraschungen?“

      „Tu er nicht so abgefeimt“, meinte Ivo.

      Ich aber blieb beharrend: „Ich habe nur gefragt, ob es heute noch irgendwelche Überraschungen gibt.“

      Jetzt blieb Ivo stehen, stellte sich mir gegenüber auf, legte seine Hände an meine Hüften und sagte: „Joseph Moritz, ich weiß, wenn wir dann wieder hinüber kommen ans Land, dann bist du wieder der Graf und hast alles Anrecht auf meinen Respekt.“

      Er hielt inne.

      Ich nickte nur.

      Also sprach er weiter: „Ich hoffe zu Gott, daß ich heute keinen Fehler gemacht habe. Der Tag heute war nur für dich und für mich bestimmt. Und für sonst niemand. Hörst du? Bitte hör’ es: niemand sonst!“

      Ich habe ihn dann langsam ganz zu mir her gezogen, bis wir Körper an Körper waren, und flüsterte ihm ins Ohr: „Was soll ich denn verraten? Die drei Weiber? Oder das, was wir jetzt tun? Was denn?“

      „Was tun wir denn?“, flüsterte er zurück, sich so fest