Günter Tolar

Der Herzog


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der Tag war ja noch nicht zu Ende.

      Beim Anlegen der Kleider halfen wir einander gegenseitig, was gleich noch einmal unsere Sinne gänzlich verwirrte.

      Und ‚gleich noch einmal’ sei ein respektvoller Sprung gemacht.

      Wir gingen dann wie demütige Büßer zum Kloster, wo Ivo eine kärgliche, aber recht köstlich schmeckende Mahlzeit für uns beide erstand. Wir aßen gleich neben der Pforte in einem steinernen Raum mit dunklen, schweren Holzmöbeln. Es hat mir sehr gemundet, ich hatte aber auch einen recht guten Hunger nach all den Erlebnissen.

      Dann bat ich ihn, mir noch mehr von der Insel zu zeigen.

      „Nicht die stillen Häuser. Aber ist da nicht auch noch ein Fort?“

      Diese Frage hat dem Ivo die Laune gründlich verdorben: „Ja“, sagte er, „vor zwölf Jahren (1806) haben die Franzosen, als sie unsere Republik aufgelöst hatten, das Fort Royal gebaut. Royal, nach ihrem eigenen König. Und da steht es noch. Die Franzosen sind weg, jetzt haben wir die Österreicher.“

      Auch er kam sofort zu dem Thema, zu dem man zumeist kam, wenn man über die Franzosen sprach: „Aber paßt nur gut auf in Wien, ihr habt ihn ja, den Burschen, den Napoleon so gerne zu seinem Nachfolger gemacht hätte.“

      „Ein Kind“, antwortete ich, „sieben Jahre alt.“

      „Er ist Napoleons Sohn“, beharrte Ivo wütend, „also ist er zu hassen, und er ist zu verhindern und zu...“

      Hier unterbrach er sich selbst.

      „Wolltest du töten sagen?“, fragte ich.

      Er antwortete nicht direkt: „Kennst du ihn? Hast du ihn schon einmal gesehen, den Teufel?“

      „Er ist kein Teufel“, rief ich, „er ist ein hübscher gescheiter Bub, der so etwas nie sagen würde, was du jetzt gesagt hast. Nie!“

      „Er ist der Sohn Napoleons“, wollte Ivo abschließen.

      Ich aber kämpfte diesmal um das letzte Wort: „Er konnte sich seinen Vater nicht aussuchen. Und seine Mutter auch nicht.“

      Letzteres sagte ich wohl eingedenk der Bastarde von Parma.

      Ivo schwieg.

      Ich aber hatte noch ein letztes Wort: „Mein Vater ist übrigens sein Erzieher.“

      Ivo nickte unsanft, als ob er schon genug hätte.

      Ich aber setzte noch was drauf: „Und mein Vater ist kein Franzosenknecht, sondern Österreicher. Wie ich. Aber vielleicht ist dir das auch nicht mehr recht, jetzt?“

      Der letzte Satz schmeckte mir selber recht bitter. Auch jetzt noch.

      „Verzeih’ mir“, sagte da der Ivo, „wir haben beschlossen, wir sind Freunde.“

      „Weil es nicht Liebe sein darf“, ergänzte ich.

      Er nickte, nahm im Gehen meine Hand in die seine und küßte sie. Der Rest des Tages, Heimfahrt, Weg zum Palast, Verabschiedung, alles verlief so gut wie stumm.

      Es war alles in der Ordnung, alles in der Harmonie. Diese Freundschaft, die nicht die Liebe sein durfte.

      Damit endet das Kapitel von der Liebesinsel.

      Wir haben vorhin Zweifel an der Geschichte mit den Frauen angemeldet. Wir haben sie noch. Die drei Namen, die sie tragen, Ludmilla, Karoline und Hermine sind keine Namen, wie sie die Damen von Ragusa damals getragen haben. Wir wissen aber, daß es drei Damen in Wien gibt, die diese Namen tragen und die in der Hierarchie als Heiratskandidatinnen für Joseph Moritz einmal in Frage kamen. Wir haben derzeit noch keinen Hinweis, daß Joseph Moritz mit der Situation einer Verheiratung schon konfrontiert war. Aber wir wissen, daß die drei Damen mit just den drei Namen schon demnächst auftauchen. Wir wissen es von Joseph Moritz selbst, aus seinem Tagebuch. Es wäre doch ein fataler Zufall, wenn drei Grazien in den Strandfelsen einer Insel vor Ragusa - es handelt sich übrigens um das heutige Lokrum - just diese drei Namen trügen.

      Erhebt sich also die Frage, ob Joseph Moritz da nicht eine Art Front aufbaute, formulierte, träumte - und letztlich flunkerte.

      Bemerkenswert ist aber auch, daß Joseph Moritz immer und überall auf den napoleonischen Buben stieß, gestoßen wurde.

      In einem Satz wundert er sich selber:

      Heut’ hab’ ich schon wieder den Napoleon-Buben verteidigt. Wie komm’ ich denn dazu?

      Viel hat er nicht mehr berichtet aus Ragusa. Einmal schreibt er von einem Abendessen, bei dem es über einige höchst seltsame Menschen zu berichten gibt.

      Der Rektor, so nennen sie hier ihren Bürgermeister noch immer, hat zu unserem Abschied ein Abendessen gegeben. Wir reisen zwar erst übermorgen, aber die verschiedenen Verabschiedungsgänge haben schon begonnen. Zu dem Abendessen waren neben den wichtigsten Potentaten der Stadt Ragusa auch alle wichtigen Gäste eingeladen, die sich derzeit in der Stadt befinden. Unter diesen Gästen gab es eigentlich nur Menschen. die einem Panoptikum Ehre gemacht hätten.

      Ivo war auch da. Ich war darüber etwas erstaunt, da sonst nur die Väter, nicht aber die Angehörigen der Potentaten Ragusas anwesend waren.

      Er erklärte mir seine Anwesenheit: „Es hat schon seine Vorteile, mit Joseph Moritz Graf Dietrichstein befreundet zu sein.“

      Ich war unruhig: „Du hast es...?“

      Er setzte nickend fort: „...allen erzählt, daß wir Freunde sind! Und jetzt bin ich sogar ein wenig wichtig.“

      „Wichtig?“

      „Ich könnte ja was wissen.“

      „Und - was weißt du?“

      „Nichts, was die anderen etwas angeht. Und schließlich hast du mich ja genauso in der Hand, nicht, Freund?“ Er sagte das fast kämpfend.

      „Ja, Freund“, antwortete ich nachdenkend. Es machte mich unruhig, daß ich ein Geheimnis hatte, mit dessen Wissen man mich ‚in der Hand haben’ konnte.

      Als mir alle Anwesenden vorgestellt wurden, offenbarte sich eine recht wunderbare Mischung: da war eine russische Gräfin, ein italienischer Conte, ein anglikanischer Bischof und ein Wiener Advokat.

      Die vier merkte ich mir; außer denen, die ich ohnedies schon kannte. Als nach dem offiziellen Essen, das übrigens wieder so viel von diesem Knoblauch enthielt, daß ich selber und alle meine Kleider unter der Achsel schon nach purem Knoblauch stinken, als es also nach dieser Knoblauchration gesellig zu werden begann, angelte ich mir den Ivo; er sollte mir über die vier erzählen, was er wußte.

      Und er wußte allerhand.

      Die russische Gräfin war vermutlich gar keine solche, wurde aber von ihrer Begleitung so genannt. Mir war sie schon als zweifelhaft aufgefallen, weil sie als Ranggleiche mit mir den kleinen Knicks vor mir gemacht hat, was nicht nötig war. Sie ist aber unermeßlich reich und darum sehr beliebt. Ihre Begleitung besteht aus einem jungen Mädchen, das der ‚Gräfin’ recht ähnlich sieht und als ihre Tochter vorgestellt wurde. Die zwei Damen haben aber auch noch einen jungen Mann dabei.

      „Der Zuchtbulle für die beiden“, beschrieb ihn Ivo. „Der Freund der alten. Aber wenn der nicht auch die junge...“

      „...wär’ er schön blöd!“, ergänzte ich.

      Wir nickten beide wie Männer, die sich über die Weiber wieder einmal geeinigt haben, was uns beiden diebischen Spaß machte.

      „Der italienische Conte ist ein wirklicher solcher“, sagte Ivo. „Er hat allerdings eine englische Frau, und die hat das Geld.“

      „Schon die zweite Frau, die das Geld hat“, stellte ich fest.

      „Die Engländerin in Bier und die Russin in Geheimdienst.“

      „Geheimdienst?“

      Ich war sehr unsicher: „Geheimdienst?“, fragte ich noch einmal: „Was