Günter Tolar

Der Herzog


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es einfach als kleinlich. Spießig, sagte er. Mißtrauisch ja, aber wahrscheinlich zurecht; die Ragusaner kannten einander wohl sehr gut und eben darum wußten sie auch, warum sie so mißtrauisch sein mußten.

      Aber wir dürfen nicht klagen. Man spricht mit uns, man bewirtet uns; schließlich müssen wir uns auf ganze vier Wochen hier einrichten.

      Von uns Österreichern erhoffen sie hier Hilfe aus ihrer nahezu hoffnungslosen wirtschaftlichen Situation. Alles Böse kam für sie von Frankreich. Von Napoleon. Schließlich hat sein General Marmont vor zwölf Jahren (1806) Ragusa besetzt. Und die Geschehnisse rund herum zeigten auch, wie sehr die Ragusaner mit ihrem Mißtrauen untereinander recht hatten. Ragusa wurde nämlich in seiner ganzen Geschichte nie eingenommen. Die Besetzung durch Marmont und die Franzosen geschah ebenfalls nicht durch Belagerung oder Sturm, sondern durch einen Wortbruch.

      Am 31. Jänner 1806 - jeder hier weiß dieses Datum - löste Marmont einfach die Republik auf. Vor vier Jahren haben dann wir Österreicher dieses wertlose Stück Land bekommen und beim Wiener Kongress (1815) hat man sogar beschlossen, den Ragusanern zu helfen. Das ist der Urgrund, warum wir hier sind. Und wie es scheint. sind wir vergeblich hier. Vergeblich schon von Wien abgesandt worden.

      „Ragusa und Venedig“, pflegte Prokesch zu sagen, „das haben wir beides auf dem Gewissen. Wir - Österreich!“

      Nichts davon hier. Keine Klagen. Nur Hoffnung.

      Nachdem man uns die Geschichte erzählt hatte, dankte man uns Österreichern, daß wir die „Brut des Napoleon“, Napoleon II. in Wien sicher in Verwahrung hatten, sodaß er sicher nichts mehr anrichten könne. „Der I. sitzt in St. Helena, Marie Louise in Parma und gebiert Bastarde des Neipperg, und II. ist in Metternichs Klauen.“

      Das war ein Trinkspruch, der Begeisterung fand.

      Ich muß jetzt an den Buben denken, vor dem sie sich da so fürchten. Der Bub, der derzeit von meinem Herrn Vater vermutlich zu einem guten österreichischen Staatsbürger erzogen wird. Wenngleich auch mein Vater einigemale seinen Erziehungszweck ganz anders beschrieben hat: „Der junge Adler muß auf den Thron Napoleons. Und ich bereite ihn mit allen meinen Kräften darauf vor!“

      Es ist eine Tatsache, dass Graf Dietrichstein keinen - nach eigener Aussage - glühenderen Wunsch hatte, als seinen Zögling einmal auf dem Thron Frankreichs zu sehen. Wie weit er da mit Metternichs Interessen konform ging, wie weit er ihnen da zuwider handelte, das bleibe dahingestellt. Metternich warf man jedenfalls später vor, er habe doch einen österreichischen Staatsbürger aus dem Aiglon (Adler) gemacht. Oder machen lassen.

      Aber noch genießt Joseph Moritz Ragusa. Und er zeigt sich bildungswillig, wie es einem jungen Grafen Österreichs eben ansteht.

      Herr Pospis - hier sagt man Gospodin statt Herr - Gospodin Pospis hat mir heute gesagt, ob ich nicht vielleicht mehr über die Republik wissen möchte. So hat er mir viel erzählt von alten Familien, großer Tradition und unbeugsamer Ordnung.

      Drei der von ihm als ehern bezeichneten Gesetze, zwar ungeschrieben, dennoch gleich Gesetzen, sind mir in Erinnerung geblieben.

      ‚Obliti privatorum, publico curate’ - das heißt ‚Vergesset das Private und sorgt euch um öffentliche Angelegenheiten’.

      Das wär’ sowas für uns, wo jeder nur auf sich selber schaut.

      ‚Salus republicae suprema lex asto’ – ‚Das Wohlergehen der Republik sei das oberste Gebot vor allen anderen’.

      Bei uns sagt man ‚Das Hemd ist mir näher als der Rock’.

      ‚Non bene pro toto libertas venditur auro’ – ‚Die Freiheit verkauft man nicht für alles Gold der Welt’.

      Bei uns tät' einer die eigene Großmutter verkaufen für den eigenen Vorteil.

      Beim vierten Spruch ist mir der lateinische Text entfallen, er heißt ‚Erwerben ist besser als erobern.’

      Das wär’ bei uns Wurscht, Hauptsach’ man kriegt es.

      Diese bissigen, aber auch bitteren Kommentare werfen ein deutliches Licht, wie ein Jugendlicher der damaligen Tage sein eigenes Land gesehen hat. Unbedingt positiv ist diese Sicht nicht, mag aber auch dem Wienerischen Hang zur Nestbeschmutzung entsprungen sein. Teilweise zumindest.

      In der Erinnerung geblieben ist mir auch jene seltsame Geschichte, daß man hier in Ragusa jeden Abend alle Stadttore abschloß, sämtliche Schlüssel in den Rektorenpalast brachte und hier einsperrte - mitsamt dem Rektor. Ich konnte allerdings von niemand erfahren, wer nun den Schlüssel zum Rektorenpalast die Nacht über gehabt hat. Denn der war ja nun der Mächtigste in Ragusa, zumindest in der Nacht.

      Genau eine Woche sind wir nun hier und ich muß sagen, ich weiß schon recht viel über Ragusa, bald mehr als über daheim.

      Da die Reise ziemlich genau mit dem Juni-Anfang begonnen hatte, halten wir also derzeit etwa beim 8. oder 9. Juni.

      Die folgenden Tage werden nur mit kurzen Notizen vermerkt.

      Heute Gespräche. Ohne rechte Zielrichtung.

      Oder

      Nun aber doch Klagen seitens der Ragusaner. Sie lassen ihre Dynastien aussterben, sagen sie. Welch seltsame Drohung. Wie macht man das? Wo doch alle verheiratet sind.

      Im Joseph Moritz keimt hier derselbe Verdacht, der auch uns schon geplagt hat. Alles in Allem aber, die ‚Wirtschaftsgespräche’ wollten nicht vorankommen. Sollten wohl auch gar nicht.

      Dann aber wird er doch wieder etwas ausführlicher.

      Gestern hat man uns und den hiesigen Patrizierfamilien eine Oper vorgespielt. Man hat, so sagte man uns, eigens einen Komponisten gewählt, der viel für die Wiener Oper geschrieben hat. Er heißt Baldassare Galuppi und soll vor sechzig oder siebzig Jahren wirklich viel für Wien komponiert haben.

      Das ist richtig.

      Die Oper hieß irgend was ‚...dei cuore’, so was wie Verwirrung der Herzen. Sie handelt von einem Vater mit drei Töchtern und drei Freiern, die alle nur eine haben wollen, dann aber bekommt die eine doch nur einer, die beiden anderen Männer nehmen die beiden anderen Frauen. Die eine Frau, die umschwärmte, wurde von einer Altistin gegeben, die außer vorstehenden Augen, einem riesengroßen Mund, einem flachen Dekollete eine recht raue, tiefe Stimme hatte. "A Stimm wie a Hur"', sagte Hauptmann Obenaus, der unsere Unterhaltungen gerne mit Kräftigem zu würzen pflegte. Alle lachten und gingen neu gestärkt nach der Pause wieder in den Hof des Rektorenpalastes, wo das Spektakel stattfand.

      Es war im Ganzen eher langweilig. Die Sänger waren recht gut. Eine der Sopranistinnen hatte viele hohe Töne zu singen, bei denen sie immer so schrie, daß es einem in den Ohren gellte.

      Unsere Delegation klatschte am Schluß Beifall, während sich die Einheimischen jeder Beifallsäußerung enthielten. Keiner weiß, warum. So hörten auch wir schnell wieder auf und bekamen ein Nachtmahl vorgesetzt, das mir rundweg zu scharf war.

      Eine langweilige Oper also, ein scharfes Essen, darauf eine schlechte Nacht. Ich mußte zweimal groß gehen und stieß mir jedesmal im Finstern den Kopf fast wund. Es geht ein Wind hier, der Zug hat fast alle Lichter ausgelöscht.

      In der zweiten Hälfte der zweiten Woche und in der ersten Hälfte der dritten Woche fallen Berichte über die Gespräche ganz aus. Dafür schildert Joseph Moritz mehr aus seinem Privatissimum, das an Einprägsamkeit die vielleicht doch stattgehabten Gespräche bei weitem übertroffen hat.

      Wir haben die ganze Geschichte aus den verschiedenen Tagen herausgenommen, immer nur die Sätze, die sich mit dem Thema beschäftigen.

      Gestern, Donnerstag, Diner bei Pospis.

      Die Pospis, das hat Joseph Moritz anderswo kurz erzählt, sind eine der angesehensten Patrizierfamilien in Ragusa.

      Beim Kaffee, den wir im Stehen einnahmen, hat mich der junge Pospis angesprochen und sehr höflich gefragt, ob ich ihm vielleicht etwas über Wien erzählen könne. Er träume immer von Wien. Und nun sehe er jemanden, bei dem er glaube, es wagen zu dürfen...