Günter Tolar

Der Herzog


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gingen aber auch sehr schnell.

      Als ich mir mit dem Taschentuch eben den Schweiß von der Stirne wischte, blieb der Ivo plötzlich stehen und fragte: „Warum gehen wir nicht baden?“

      Ich glaubte zuerst nicht richtig zu verstehen.

      „Ja“, sagte er, „baden, ins Meer!“

      Jetzt war ich aber schon erschrocken.

      „Aber“, stammelte ich wohl, „wie soll ich denn...“, und habe an mir hinuntergeblickt, die Kleider meinend.

      Ivo aber lachte: „Natürlich ohne Kleider. Komm. Hier sieht dich keiner.“

      Er hatte nicht eben gesagt, hier sieht UNS keiner, nein, hier sieht DICH keiner. Ich empfand das als einen Angriff. Wogegen, weiß ich nicht. Aber gegen irgendwas an mir war er wohl gerichtet.

      „Ach“, rief er, „und wenn du nicht schwimmen kannst, dann halt’ dich am Ufer fest, dort sind nur Muscheln, die beißen nicht.“

      Jetzt wurde es mir der Keckheit doch zu viel. Daß man in unseren Kreisen schwimmen kann, ist sicher nicht üblich. Ich aber kann schwimmen; mein Vater hat mir in unserem Landgut am Erlaufsee beigebracht, wie herrlich ein kühles Bad sein kann, wenn man sich im Wasser auch zu bewegen weiß, ohne daß man untergeht. Aber selbstverständlich in der hiefür geeigneten Kleidung.

      Bei dieser Gelegenheit fällt es mir ein, daß mein Vater ohne Kleidung auch nur wie ich aussehen würde, älter halt, aber sonst. Jetzt bin ich rot im Gesichte und schäme mich meines nackten Vaters.

      Ich wollte dem lvo eben erklären, daß... nun gut, ich hatte eben in die wunderbaren blauen Fluten geblickt und drehte mich entschlossen zu Ivo um.

      Da packte mich ein neuer Schreck.

      Ivo stand völlig nackt vor mir. Und es war nicht nur die Nacktheit, die mich so erschrecken ließ, daß es mir den Atem genommen hat, sondern die ganze Schönheit, die da vor mir stand. Mein Blick mochte wohl etwas lang auf seinem edel gebogenen Glied gehangen sein, sodaß er schnell beide Hände darüber legte und rief: „Wie wär's, wenn du auch den Rest betrachtetest?“

      Jetzt drehte er sich kokett einmal um sich selber, ließ seine wunderhübsche Hinterfront mit einigen schnellen Wackelbewegungen aufregend tänzeln und stand dann wieder vor mir. Der dunkle, edle Kopf, wie der eines großen Kindes, halblanges, glattes, sehr dunkelbraunes Haar, den vollen Mund lächelnd leicht geöffnet, rundliche Zähne schimmerten dahinter hervor. Viele Haare auf der Brust, schön nach der Anatomie verteilt, am Bauch, um den Nabel herum, ein Haarwirbel, dann Haar in einer dünneren Linie bis zu den üppigen Schamhaaren, aus denen ein kräftiges Glied weit hervorstand, vermutlich, weil sich seine Hoden an der Luft zusammengezogen hatten. Der Hintern ebenfalls behaart, wobei sich die Behaarung an der Fuge verdichtete, sodaß sie eine dunkle, geheimnisvolle Linie nach unten hinein bildeten. Die Beine ebenfalls bis zu den Knöcheln behaart, aber nicht zu dicht, sodaß die braune Haut appetitlich durchschimmern konnte. Wie denn überhaupt der Haarwuchs den Körper in keiner Weise zu deformieren im Stande war, sondern immer die schöne, edle Form die Oberhand hatte. So habe ich ihn jetzt vor mir, fast leibhaftig, fast.

      Joseph Moritz hat hier wieder eine Pause beim Schreiben gemacht. Hat ihn die eigene Schilderung in ihrer Intensität ‚übermannt’? Ja, er hat „es sich wild selbst gemacht“, schreibt er.

      Beim Durcharbeiten des Tagebuches und beim Auswählen der Textstellen sind wir gerade hier in einem Dilemma: Hätten wir das alles überhaupt weglassen sollen? Sind wir schon zu weit gegangen in der Auslegung der Weite unseres Versprechens an den Joseph Moritz? Wir wissen es nicht. Wir lassen eben nur weg, wenn Joseph Moritz vulgär wird, wenn er, wie an dieser Stelle zum Beispiel Details beschreibt, wie er onaniert hat.

      Ich möchte mich zwingen, wahrhaftig zu bleiben.

      „Hast du Probleme?“, fragte der lvo mich jetzt, wobei er mit den Augen dorthin wies, wo sich mein Beinkleid bald wölben mußte.

      Ich antwortete nicht. Stattdessen machte er sich langsam daran, sein ‚Problem’ dem meinen anzugleichen. Als es dann dem glich, was er von mir zu erwarten meinte, sagte er, sich nach hinten reckend: „Na?“

      Und das wollte wohl heißen: mehr an schamloser Selbstverleugnung kann ich wohl nicht mehr für dich tun. Da stehe ich und sollte mich eigentlich schämen. Also?

      Ich begann mich wortlos auch zu entkleiden. Die komplizierte Tätigkeit bewirkte allerdings, daß ich bald kein Problem mehr hatte. Ivo nahm mir jedes Kleidungsstück ab und hängte es säuberlich und ordentlich auf einen queren Ast, alle meinen über seine Kleider.

      „Die finden wir schon wieder auseinander!“ Dann lachte er: „Wäre doch zu komisch, wenn du mit meinen und ich mit deinen Kleidern zurückkäme!“

      Jetzt war auch ich nackt und Ivo hatte keine Zeit mehr, seinen letzten Gedanken komisch zu finden. Er starrte mich nämlich von oben bis unten und von hinten bis vorne erstaunt an und sagte dann sehr leise und sehr bewundernd: „Oh, bist du schön!“

      Dieser Ausspruch fuhr mir wie ein Blitz durch den ganzen nackten Körper und direkt ins Herz. Ich bekam Herzklopfen, wollte mich schämen, schüttelte verzweifelt den Kopf, machte einen Griff zu meinen Kleidern, da ergriff er eben diese Hand und sagte leise: „Es ist gut, wenn wir uns jetzt abkühlen.“

      Ich wollte aber gar keine Vernunft. Noch nie hatte jemand so was zu mir gesagt, warum mußte jetzt die Vernunft dazwischen kommen?

      Er aber führte mich an der Hand durch die Felsen: „Steig’ immer genau dort drauf, wo ich draufsteige.“

      Ich tat es, und wir kamen recht flott zum Wasser.

      Im Wasser drinnen war ich dann sehr schnell, weil ich auf einer mit Muscheln überzogenen, glitschigen, runden Klippe ausglitt und in das Wasser plumpste. Erst schwammen wir ein Weilchen jeder für sich in der herrlich kühlen Flut. Ich hatte nicht bedacht, daß das Meer ja salzig sei und spuckte ein paar mal recht kräftig.

      Ivo schwamm zu mir her und wir sprachen, uns treiben lassend, über die Dummheit der heutigen Moden, die alles das ja eigentlich untersagten, was uns da eben so viel Vergnügen bereitete.

      Plötzlich tauchte er mich an den Schultern unter Wasser. Ich hielt mich an ihm fest, umklammerte seine Lenden, er zog mich an sich entlang wieder hoch und jetzt trieben wir eng umklammert auf dem Wasser.

      Ich ließ es mit mir geschehen, ich fühlte nichts als ausgelassene Geborgenheit.

      Da flüsterte Ivo mir ins Ohr: „Liebe darf es nicht sein; also ist es Freundschaft. Ja? Mein Freund?“

      „Ja, mein Freund“, antwortete ich in dem Ton, in dem man dem Pfarrer als Ministrant antwortet.

      Da hielt ich ihn mit dem Oberkörper von mir weg; ich mußte da etwas fragen: „Wie viele Freunde hast du hier schon gekürt? Du hast Erfahrung in diesen Dingen!“

      Da begannen seine Augen ganz tief zu leuchten und er sagte: „Ich habe keinen Freund als dich. Das mußt du mir einfach glauben, weil ich es dir nicht beweisen kann.“

      Dann gab er mir einen Kuß auf die Lippen, der wohl kurz sein sollte; ich aber sog ihn fest, sodaß er sich schmatzend von mir lösen mußte. Wieder leuchtete er mich tief an: „Erfahrung, ich? Und du?“

      Er spürt, daß ich schon wieder ein Problem zwischen meinen Beinen hatte: „Und das? Erfahrung ich? Ferkel!“

      Da faßte ich mit einer Hand hinunter zu ihm und fand ihn genauso: „Selber Ferkel!“, rief ich, und schämte mich nun für gar nichts mehr.

      Da unser Problem nicht abkühlen wollte, gingen wir halt so aus dem Wasser und machten, die Kleider einfach liegen lassend, einen Spaziergang. Nachdem wir einige Zeit auf wunderschönen Wegen durch den Wald wie auf Teppichen, die aus langen Piniennadeln bestanden, dahingewandert waren, kamen wir in die Felsen, was bedeutete, daß wir dem Ufer immer näher kamen. Wir umrundeten eine tiefe Schlucht, eine Bucht, die mit tiefblauem Wasser eine tiefe Zunge ins Land hereinstreckte.

      Er rief „Joseph Moritz“ in die Bucht hinunter