Günter Tolar

Der Herzog


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September 1814, auf der Rückreise von Aix le Bains nach Wien gab Marie Louise sich ihm hin, und zwar im Hotel ‚Zur Goldenen Sonne’ in der Nähe der Tellskapelle am engelsreinen Ufer des Vierwaldstättersees. Das alles wusste bis ins kleinste Detail die Wiener Geheimpolizei. Dort ist zu diesem Fall vermerkt:

      ‚Wien, 24. Oktober 1814. ...Man kann jetzt feststellen, daß sie (Marie Louise) sich in vollkommener Übereinstimmung und großer Intimität mit Neipperg befindet, der sehr geschickt ausgesucht worden ist...’

      Und ‚Wien, 3. Januar 1815. In der Kurierpost von Elba, die über Livorno nach Parma an Marie Louise gelangt ist, macht Napoleon ihr lebhafte Vorwürfe wegen ihrer Unbeständigkeit und ihrer Haltung ihm gegenüber. Er war sehr eifersüchtig auf Neipperg.’

      Allerdings, man muss Marie Louise auch ein paar Entschuldigungen zukommen lassen. Eine davon war wohl auch in einem Geheimbericht enthalten und besagte, dass ihr Gatte auf Elba von Frauen umgeben sei. Zeugen hierfür seien der Palastvorsteher Bausset und die Palastdame de Brignole.

      Gründlich war sie schon, die Geheimpolizei.

      Über genau diesen Themenkreis hatte Joseph Moritz bei seiner Königlichen Hoheit sechstem Geburtstag sprechen wollen? Es war wohl sicher nicht ernst gemeint. Es war das, was wir schon festgestellt haben, eine der seltenen Gelegenheiten, festzustellen, dass Joseph Moritz von Zeit zu Zeit auch guter Laune, ja fast ausgelassener Stimmung gewesen sein mag. Im Tagebuch dokumentiert er sich sonst ja eher elegisch, tragisch, schwermütig, wehleidig, selbstgefällig, selbstmitleidig und nicht recht über den Dingen stehend, mit denen ein junger Mann seiner Zeit halt in Berührung zu kommen hat.

      Aber dann war er da, der Tag. Vielmehr er war da gewesen, da wir ja von Joseph Moritz nur erfahren, was gewesen ist.

      Aber nun haben wir ja den Geburtstag erreicht, den 20. März 1817.

      Sein Mittagmahl hatte mein Vater wie immer in der Küche seiner Kaiserlichen Hoheit eingenommen. Nicht in der Küche, sondern aus der Küche Seiner Kaiserlichen Hoheit. Dann aber war er außerhalb des Stundenplanes ins Palais gekommen und hat im ganzen Haus laut herumschreiend angekündigt, daß wir um halb zwei abfahren würden, weil uns Seine Kaiserliche Hoheit um Punkt zwei Uhr erwarte.

      „Kennt er denn schon die Uhr?“, fragte meine Mutter verwundert.

      Mein Vater war an Sarkasmus nicht mehr zu überbieten: „Nein, aber er kann bis zwei zählen!“

      Aber Mutter ließ nicht locker: „Bis zwei?“

      „Vier Schläge zur vollen Stunde...“, hier stockte Vater plötzlich, blickte Mutter böse an, die irgendwelche Bildchen auf dem Kaminsims herumschob; dann aber vollendete er großzügig: „Also gut, bis vier!“

      Gleich aber schimpfte er wieder: „Keine Mißverständnisse! Der Kaffee ist um ZWEI!“

      Mutter schüttelte den Kopf: „Ich bin ja neugierig!“

      Vater stellte fest: „Ich auch!“, um anschließend gleich zu fragen: „Aber warum Sie, Frau Mutter?“

      „Ob er wirklich Kaffee trinkt, der Kleine!“

      „Der Kleine reicht der Frau Mutter immerhin fast bis zu den Schultern!“

      Diese Bemerkung hatte mich neugierig gemacht. So ein großer Bube also?

      Nun gut, wir fuhren hin. Fünf Minuten vor zwei standen wir im Vorzimmer. Dann schlug, wie es mein Vater angekündigt hatte, eine Uhr am Kaminsims vier Mal zur vollen Stunde, dann zweimal. Sogleich nach dem zweiten Schlag öffnete sich die Türe zu den Gemächern Seiner Kaiserlichen Hoheit. Er kam so prompt heraus, daß ich fast annehmen mußte, er ist hinter der Türe gestanden. Mutter blickte Vater kurz an, wie um ihm mitzuteilen: ‚Siehst du, er kennt wirklich die Uhr!’ Vater aber sah entzückt dem formvollendeten Auftritt seines kindischen Zöglings zu. Wahrscheinlich hatten sie das für solche Gelegenheiten eingeübt und Vater prüfte jetzt den Buben. Der Bub benahm sich auch, wie bei einer Prüfung.

      Er ging schnurstracks auf meinen Vater zu, reichte ihm die Hand, verbeugte sich leicht, während mein Vater ein großes Complement machte, und sagte: „Mein verehrter Lehrer, willkommen an diesem Tag.“

      Dann wandte er sich Mutter zu, die ihrerseits den tiefen Knicks machte, und sagte: „Es muß doch ein schöner Tag sein, wenn mein Lehrer seine angetraute Gemahlin uns einmal nicht vorenthält!“

      ‚Uns einmal nicht vorenthält’, Gott, wie geschraubt, dachte ich für mich. Da war er aber auch schon bei mir. Ich machte mein großes Complement, während er sagte: „Welch ein trefflicher Sohn muß das sein bei einem so trefflichen Vater.“

      Jetzt wandte er sich meinem entzückt zuhörenden Vater zu: „Verzeih er mir, Graf, wenn heute einmal Wir die Noten ausgeben.“

      Mein Vater nickte mit ziemlich blödem Blick und verbeugte sich errötend, während sich der Bub wieder zu mir wandte: „Ist er zu ihm auch so streng? Wir müssen reden, er muß mir ein paar Gedanken geben, wie ich der Strenge des Herrn Grafen ein wenig zu entrinnen vermag!“

      Damit wandte er sich von mir ab und begrüßte nun ebenso wortereich die anderen - die Collins und die Forestis und so weiter. Ich mag sie nicht alle aufzählen.

      Immer wenn Seine Kaiserliche Hoheit bei jemandem vorbei war, bekam der ein winziges Schälchen Kaffee gereicht. Mutter vermißte sogleich den Kuchen, worauf ihr Vater zuknurrte, daß sie sich zuhause sattessen könne. Das hier sei ein hehrer Anlaß und keine Freßveranstaltung.

      Da bemerkte der Vater, daß Seine Kaiserliche Hoheit ihn benötigte und rannte stracks hin. Ich stand in einer Ecke. Seine Kaiserliche Hoheit – der lange Titel macht mich beim Schreiben direkt nerviös - konnte ich nicht sehen, er war inmitten vieler Leute. Mein Vater aber war wie die Boje in dem Gewoge; ich nahm an, daß dort, wo ich meines Vaters ansichtig wurde, SKH nicht weit sein konnte.

      Ich hatte meinen Kaffee recht schnell ausgetrunken und stand mit der leeren Tasse da. Einer der jungen Kannenhalter sah das, zwinkerte mir zu und deutete mit den Augen auf seine Kanne, dann blickte er deutlich auf meine Tasse. Ich nickte. Jetzt wurde er verlegen; offensichtlich durfte er ohne ausdrücklichen Befehl seinen Platz nicht verlassen: Er drückte also totale Hilflosigkeit in seinem hübschen Gesichte aus, was zur Folge hatte, daß ich zu ihm hinging, er mir einschenkte, sofort wieder die vorige Haltung annahm und so tat, als wäre nichts gewesen: Ich hauchte ein leises „Danke“, er aber schüttelte ängstlich fast unmerklich den Kopf, als wollte er mir sagen, daß ich sofort wieder vergessen möge, was soeben geschehen war.

      Plötzlich stand meine Frau Mutter neben mir und sagte zu jemandem: „Da, er hat noch den ganzen Kaffee in der Tasse. Immer läßt er ihn kalt werden!“

      „Er dampft aber noch“, sagte da eine jugendliche Stimme, die mich herumriß.

      Es war SKH. Er lächelte: „Hat er sich nachschenken lassen?“

      Ich blickte erschrocken den jungen Kannenträger an, der seinerseits blickte starr vor sich hin.

      „Ach, vom Jakob“, sagte da der Bub. „Der Jakob ist mein Bester und mein Liebster. Von ihm krieg' ich immer noch was, wenn’s schon nicht mehr erlaubt ist...“, da hielt er erschrocken inne, blickte meine Mutter an und flehte: „Das darf die Frau Mutter jetzt aber nicht ihrem Herrn Gemahl erzählen, denn das ist gegen seine Ordnung!“

      Mutter beteuerte: „Aber wie wird’ ich denn! Außerdem, ich kenne meinen Mann.“

      „Eben“, nickte SKH, „der bekommt alles aus einem heraus. Ach was! Ich BEFEHLE ihr, über das soeben Gehörte zu schweigen.“

      Dann zeigte er spaßhaft auf mich: „Und er haftet mir dafür, daß die Geschichte verschwiegen bleibt, gell?“

      Damit mischte er sich, uns in tiefer Verbeugung hinterlassend, wieder in die Menge, dort nun wieder bei den anderen Verbeugungen erzeugend. Das ist es, was ich von dem Geburtstagsfest zu berichten weiß.

      Mir fallen die Augen zu. Aber ich habe es ausführlich beschreiben wollen. Beim Gehen habe ich noch den Blick Jakobs gesucht, er aber hat weggeschaut. So weggeschaut,