Günter Tolar

Der Herzog


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später fast ausschließlich gewidmet ist, hat noch nicht begonnen, wenn sich auch Voraus - Spuren jetzt schon finden. Es ist allerdings hinterher immer verführerisch, in Kenntnis des Endes rückschauend so manches zur Spur zu erklären, was möglicherweise noch gar keine war. Jedenfalls sind die paar Notizen im Tagebuch, die zum Thema ‚Napoleons Sohn’ aufzufinden waren noch in keiner Weise Hinweise, wenn man sie auch später doch als solche identifizieren könnte. Aber hier offenbart sich die Zweifelhaftigkeit historisch hergestellter Zusammenhänge, die ja immer rückschauend und somit viel gescheiter sind, als es die, die es erlebt haben, jemals sein hatten können. Rückschauend weiß man dann immer das, was man, zur besseren Bewältigung der Situation, besser vorher gewusst hätte. Aber in der Kluft zwischen Hinterher-Besser-Wissen und Vorher-Nicht-Gewußt-Haben, aber vielleicht Vorher-Wissen-Hätte-Sollen liegt wohl das, was man Geschichtsschreibung nennt.

      Aber zitieren wir doch die vermeintlichen Spuren. Da findet sich inmitten einer belanglosen Alltagsschilderung über ein Missgeschick, das eine Köchin des Hauses mit einem Kuchen gehabt hatte, ein den Tag abschließender Hinweis.

      Vater lobte den Mehlspeisenkoch seines Zöglings über die Maßen, was Mama in gelinde Scham trieb, da sie wahrscheinlich annahm, daß Vater das nur deshalb tat, um die blamable Sache mit der Mehlspeis’ in unserer Küche, vielmehr in der von meiner Mutter geleiteten Küche, nur ja nicht gleich wieder auf sich beruhen zu lassen.

      „Aber wir werden ja selbst Gelegenheit haben, das bald zu kosten“, kündigte er an.

      „Warum denn?“ und „Wann denn?“, waren die Fragen, die wir ihm jetzt stellten.

      „Heute in einer Woche, ja, genau heute in einer Woche.“

      Dieser exakte Hinweis des Vaters erlaubt uns, das Datum der Notiz ganz genau festzulegen, es ist der 13. März 1817.

      „Heute in einer Woche hat seine Kaiserliche Hoheit seinen sechsten Geburtstag. Und ich habe die Ehre, meine Familie mitbringen zu dürfen.“

      „Zur Feier?“, fragten alle ungläubig; wir wußten doch, daß diese Feier auf allerhöchster Ebene stattzufinden hatte, zumal ja eben doch eine Kaiserliche Hoheit Geburtstag feierte; das war eine Feier wie bei einem Erzherzog; und da waren wir auch nie geladen.

      „Nein, nein“, lächelte Vater milde, „zur Feier erscheinen nur wir.“

      „Wir?“, riefen alle wieder entzückt.

      Vater setzt eine tadelnde Miene auf: „Ihr spielt eine schlechte Posse mit mir! Wir, das sind wir, seine Erzieher.“

      „Aha“, ging es in der Runde.

      Irgendjemand aber erlaubte sich doch zu fragen, ich glaube, es war Mutter: „Und wir?“

      Leises Gekicher war die Folge, das jedoch von Vater mit einem Rundumblick beruhigt wurde.

      „Zum Kaffee, am Nachmittag“, erlöste er endlich gnädig die Fragerunde.

      „Der Kleine trinkt Kaffee?“, fragte Mutter erstaunt.

      Wieder der tadelnde Erzieherblick des Vaters: „Seine Kaiserliche Hoheit lädt zum Kaffee. Die Familien seiner Erzieher. Er selbst wird vermutlich keinen Kaffee trinken.“

      Vater dachte angestrengt nach und stellte dann nachdrücklich nickend fest: „Also das wäre mir doch aufgefallen. Nein, nein!“

      Damit schien er beruhigt.

      Mutter scheint sich auf den Tag zu freuen.

      Ich fühle mich in Gegenwart seiner Kaiserlichen Hoheit nicht wohl. Zumal ich es einfach zu drollig finde, daß wir Großen vor diesem Buben die großen Complements machen müssen und er das auch noch huldvoll entgegennimmt. Der Kleine weiß genau, was ihm zusteht, das macht ihn unsympathisch und uns klein. Immerhin gut, daß niemand sieht, wenn wir Standspersonen, die wir von anderen selber Respekt einfordern, plötzlich Kotaus vor einem Kind machen müssen.

      Wieder einmal der Hinweis auf den Stand, in dem sich Joseph Moritz sehr stark fühlt. Und wieder das Angerührt-Sein, wenn er gezwungen ist, sich vor anderen, in diesem Fall Höheren, zu beugen.

      In dieser Woche vor dem Geburtstagsfest, widmet er ein paar Zeilen der Kaiserlichen Hoheit.

      Was ich wohl mit ihm sprechen werd’? Oder, was wird er mit mir sprechen? Ob er wohl weiß, daß seine Mutter in Parma mit einem Bastard trächtig ist? Ob ich ihm das wohl erzählen werd’?

      Aber nein, Vater hat nur Themen erlaubt, die Seine Kaiserliche Hoheit selbst, oder er, mein Vater, anschneidet. Sonst wird nichts geredet? Das kann ja heiter werden.

      Aber schön wär’s, wenn ich...

      Gute Nacht, träum’ süß, Joseph Moritz!

      Boshaftigkeit und hin und wieder gute Laune, das lernen wir hier an Joseph Moritz kennenz. Abgesehen davon spricht er hier ein höchst heikles Thema an. Marie Louise, Herzogin von Parma, war zu dem Zeitpunkt schon im 7. Monat schwanger. Am 11. Mai des Jahres 1817 wurde ihr ein Mädchen geboren, das ihr der Graf Neipperg in den Leib gesetzt hatte. Napoleon lebte noch, so konnte Marie Louise ihren Begatter nicht heiraten. Das Mädchen musste getarnt werden als Albertine Montenuovo.

      Es ist an sich schwer zu erklären, wieso Joseph Moritz das überhaupt gewusst hat: Er gibt keine Quelle an, schreibt nicht, wo er doch sonst so geschwätzig ist, wer ihm das erzählt hat, aber er weiß es. Es ist auch nicht herauszufinden, wer es noch aller gewusst haben mag. Sicher der Kaiser, sicher Metternich, sicher - denn von denen wusste es ja Metternich - Sedlnitzkys Geheimpolizei; die hatten bestimmt jedes Detail von der Zeugung bis zur Geburt archiviert.

      Klar war aber, dass darüber vor der Kaiserlichen Hoheit nicht gesprochen werden durfte. Der Sohn hat die Details über seine Mutter überhaupt erst im März 1829, also zwölf Jahre später, erfahren. Da gab es aber auch schon mehr zu erfahren, denn da waren dann schon mehrere Kinder da. Da hatte Marie Louise auch ihren Neipperg schon geheiratet und da war Neipperg auch schon gestorben.

      Später, viel später, wurde Metternich vorgeworfen, er hätte die Mutter des Herzogs von Reichstadt, zur Zeit noch Kaiserliche Hoheit, in die Hände des Grafen Neipperg getrieben. Die Wahrheit aber verhält sich ganz anders. Sicherlich, Marie Louise sollte ein ‚Ehrengeleit’ bekommen, um ihren gefangenen Mann zu vergessen. Juni/Juli 1814 stand die Ernennung dieses Ehrengeleits an. Juni/Juli 1814 bekam Marie Louise beim ‚Frieden von Paris’ den folgenden Passus verpasst:

      ‚Die Herzogtümer Parma, Piacenza und Guastalla werden der Souveränität Ihrer Kaiserlichen Majestät Marie Louise unterstellt und ihr als Besitz übergeben. Sie gehen auf ihren Sohn und dessen Nachfolger in direkter Linie über. Der Prinz, ihr Sohn, wird ab jetzt den Titel Prinz von Parma, Piacenza und Guastalla führen.’

      Vorher aber waren da viele Reisen über Rambouillet, Schweiz, Schönbrunn, Aix le Bains - und dort lernte sie Neipperg kennen.

      Metternich hatte den Hauptmann Graf Karaczai als ‚Ehrengeleit’ für Ihre Hoheit, die Herzogin von Parma, vorgeschlagen. Der Kaiser selbst aber ernannte Neipperg. Und vorgeschlagen wurde Neipperg vom Botschafter Schwarzenberg. Das alles konnte nur deshalb ohne Wissen Metternichs passieren, weil er in London weilte. Noch aber war nichts Bedenkliches an der Ernennung Neippergs; der Kaiser soll zunächst erklärt haben: „Gott sei Dank! Ich habe Glück gehabt in der Wahl dieses caballero!“

      Wer hätte denn auch vorhersehen können, daß sich die Exkaiserin mit diesem einäugigen Offizier einlassen werde; schließlich war er sechzehn Jahre älter als sie, verheiratet und Familienvater. Neipperg war Feldmarschallleutnant und hatte sich in kriegerischer als auch in diplomatischer Hinsicht durchaus verdienstvoll hervorgetan. So war es fast ein Ehrendienst, als er eingeteilt wurde, der Herzogin von Parma nicht nur Ehrengeleit zu geben, sondern auch ihre Interessen zu vertreten, was im Wiener Kongress Marie Louise durchaus zum Nutzen gereichte. Im Juli 1814 stellte er sich erstmals der Herzogin von Parma vor, in Aix le Bains. Sie schrieb damals noch an Napoleon: ‚Glaube, mein teurer Freund, an meine zärtliche Liebe! Niemand liebt dich so und wird dich je mehr lieben als ich. Ich küsse dich und liebe dich von ganzem Herzen.’

      Aber bald