Günter Tolar

Der Herzog


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hatte, während Mozart an manchen Tagen nicht wußte, wie weiterleben. Und der Mozart wäre nun einmal der gewesen, dem aller Reichtum zu gönnen war, nicht der Schikaneder, dieser Opportunist schlechthin, der sich ein Genie zu Diensten machte.

      Franz lacht: „Liebe und Ungerechtigkeit, wie nahe liegen sie doch zusammen!“

      „Ja“, antworte ich ereifert, „weil die Liebe zu dem einen so viel Liebe zu anderen ausschließt. Ausschließen muß. Liebe ist an einen - darf ich so sagen - festen Gegenstand gebunden. Und der wiederum frißt alle Liebe auf. Alle Liebe!“

      „Schon gut, schon gut“, beschwichtigt mich Franz, „ich weiß schon.“

      Jetzt wird sein Ton zarter, sein Blick allerdings erreicht mich aus dem Schatten, in den er sein Antlitz zurückgezogen hat: „Ich weiß schon, Jomo.“

      Joseph Moritz hat dies nicht alles in einem Zuge geschrieben. Dem Schriftduktus nach dürfte es sich über einige Tage, mindestens sechs oder sieben, hingezogen haben.

      An der Stelle, an der wir jetzt halten, ist die Unterbrechung allerdings besonders auffällig, da sie von starker Emotion getragen scheint. Er hat hier aufgehört. weil er einerseits von seinem Gefühl übermannt worden war, andrerseits aber mit dem Kopf gegen eine Wand gerannt war, wie er vermeinte.

      Ich habe ein Stück des bisherigen gelesen. Ich hätte es nicht tun sollen. Alles, was ich bisher über früher geschrieben habe, beweist doch nur, daß ich es dem Franz gar nicht so erzählen kann, wie es war. Er korrigiert mich während des Schreibens. Er sucht aus, was wichtig und was unwichtig ist. Er läßt gar keinen anderen Satz zu, als den, der ihm nahegeht, der seine Empfindungen anspricht, der ihn interessiert.

      Was bin ich für ein Dichter!

      Ich versuch’s halt weiter.

      Die vielen Baustellen, die wir heute in unserem Wien haben, rühren auch aus der Zeit deines ersten Lebensjahres. Dein lieber Vater Napoleon - das ‚lieber’ bezieht sich auf die Bezeichnung, die wir ihm damals gaben, als er uns 1809 zum zweiten Male heimsuchte - hatte die Burgbastei sprengen lassen. Ein paar Jahre lang wurde überlegt, ob man die Mauer wieder aufbauen solle oder nicht. Dann aber entschied man sich höchsten Ortes, die Innenstadt an der Stelle zu vergrößern, die Mauern also nicht mehr aufzubauen. Seither haben wir dort eine Baustelle. Sie haben einen Park angelegt, das Äußere Burgtor errichtet. Und wie sie aus dem Paradeplatz den Äußeren Burgplatz gemacht haben, da hat man in unseren Kreisen schon etwas gestöhnt, war doch die ‚Ochsenmühle’ plötzlich verschwunden.“

      Franz lacht: „Ochsenmühle? Was ist denn das?“

      „Das ist nicht mehr“, antworte ich, „das war eben. Das war der Korso. Und weil dort nicht viel Platz war, mußten wir immer im Kreis gehen. Und von dieser ‚Im Kreis Geherei’ hat unser Korso den Namen ‚Ochsenmühle’ gehabt. Du weißt, diese Mühlen, die von Ochsen angetrieben werden, die immer im Kreis gehen.“

      „Kein schöner Name, alles Ochsen?“, lächelt Franz.

      Keiner dachte daran, ein Ochse zu sein, wenn er dorthin ging, um sich sehen zu lassen, obwohl er daheim sagte, er ginge jetzt auf die ‚Ochsenmühle’. Ein Jahr später ist dann der Eipeldauer gestorben. Er war, pardon, vor allem durch deinen Vater, als Schreiber nationaler, patriotischer Schriften sehr beliebt. Ja, und der Schubert ist irgendwie aufgetaucht. Seine erste Symphonie wurde uraufgeführt. Ich war mit dem Vater dort, frag’ mich nicht, Franz, wie’s war, ich kann mich nicht mehr erinnern. Mein Vater aber verkündete mir damals seherisch: „Den Namen wird man sich merken müssen!“

      „Auch schon tot“, murmelt der Franz.

      Ja, jetzt, da ich dies schreibe, ist er schon drei Jahre tot.

      „Einunddreißig Jahre ist er geworden“, sinniert der Franz. „Ich bin zwanzig. Und du dreißig!“

      Der Franz sieht mich groß an: „Dreißig, Jomo!“

      Ich lache: „Ich kann noch nicht sterben, ich habe noch nicht eine einzige Symphonie geschrieben!“

      „Wirst du je sowas Bedeutendes schreiben?“, fragt plötzlich ganz ernst der Franz; dann fügt er leise hinzu: „Ich wohl nicht. Bei mir müßt’ es schon eine Schlacht sein. Eine Schlacht wie eine Symphonie!“

      Napoleon, Cäsar, Hannibal, das sind Franzens Künstler.

      Dann rafft sich der Franz auf: „Mein Vater, der hat euch damals ganz schön zugesetzt, oder?“

      Ich zögere mit meiner Antwort. „Es war Krieg. Ja, in Leipzig haben wir Napoleon besiegt.“

      „Wir“, gibt sich Franz plötzlich aufgebracht, als wäre er der Verteidiger seines Vaters in einem Prozess, „das waren immerhin Österreich, Preussen und Russland. Sie alle hat’s gebraucht... Dennoch“, träumt er jetzt, „eine herrliche Schlacht, ich habe sie in allen Einzelheiten studiert.“

      Eine herrliche Schlacht, denke ich für mich. Allein fast fünfzehntausend Österreicher blieben im Felde. Insgesamt fünfunddreißigtausend Tote und Verwundete auf Seiten der Franzosen, die Verbündeten verlieren noch mehr.

      Ach, denke ich mir, was soll denn das bedeuten. Dem Franz das alles vorrechnen, nur weil er seinen Vater bewundert und liebt? Ich spüre eine Entfernung zwischen Franz und mir. Seine Überlegungen sind dynastisch, staatsmännisch, ich scheine da doch mehr mich dem Volke verbunden zu fühlen. Aber ich will diese Entfernung nicht, also erzähle ich weiter, in der Hoffnung, die kleine Kluft, vor der ich solche Angst habe, zu schließen.

      Hier hat Joseph Moritz wieder abgebrochen. Er verstrickte sich beim Versuch, das Bisherige aufzuarbeiten, zum ersten Mal in einen Konflikt mit dem Herzog. Vergessen wir nicht, der Herzog war immer noch auf Inspektion. Es war immer noch Ende Jänner 1831, vielleicht schon Anfang Februar. Joseph Moritz nannte sein Schriftwerk zwar ein Tagebuch, vergaß allerdings meistens die Datierung, so, als wollte er eigentlich einen Roman, eine fortlaufende Geschichte schreiben. Jedenfalls brachte ihn die Beschäftigung mit dem, was vor dem Herzog von Reichstadt mit ihm, Joseph Moritz, war, in gedanklichen Widerstreit mit dem Herzog. Aber was geschehen war, war nun einmal geschehen. Die damalige Realität vertrug sich nicht immer mit der heutigen Realität. Ihm gegenüber saß der Sohn Napoleons, der Sohn des Mannes, der letzten Endes mehr oder weniger das ganze Leben des Joseph Moritz und seiner Familie bestimmte.

      Joseph Moritz hat da aber einen rigorosen Entschluss gefasst:

      Ich werde mich ab jetzt kürzer fassen.

      So schreibt er schon am nächsten Tag.

      Gestern habe ich mich wohl verrannt. Ich habe deinen Einwänden und Bemerkungen mehr Gewicht geschenkt, als meiner eigenen Erzählung. Und um diese allein soll es hier ja gehen.

      Verzeih mir, Franz, wenn ich dich also jetzt zum Schweigen verurteile. Wie ich allerdings auskommen werde, ohne mir deine liebe Stimme wenigstens vorzustellen, indem ich ihr in meinem jetzigen Geschreibe einige Worte zu sagen gebe, weiß ich nicht. Laß es mich versuchen. Ich weiß allerdings jetzt schon, wenn ich etwas versuche, daß mir das nie gelingt.

      Ich bin ja schon bei dem Jahr angelangt, in dem - ich darf gar nicht sagen - eine glückliche Fügung es schickte, daß du nach Wien kamst.

      „Warum darfst du das nicht sagen?“, mischt sich der Franz trotz meines Flehens ein. „Daß wir beide einander kennen, ist das keine glückliche Fügung?“

      Dann seufzte er und - eben hatte er mich noch im Licht so klar angesehen - zieht sein Antlitz in den Schatten zurück, aus dem er leise spricht: „Vielleicht die glücklichste Fügung meines gesamten Schicksals, wer weiß?“

      Ich schüttle verzweifelt den Kopf, weiß nicht, freue ich mich oder ärgere ich mich, mache also verbissen weiter.

      Immerhin mußte dein Vater erst einmal abdanken und wurde auf das Fürstentum Elba geschickt. Der Bourbone Ludwig XVIII. hat den Thron Frankreichs wieder. Und deine Mutter Marie Louise kommt mit dir nach Wien zurück.

      „Mit mir im Gepäck“, lächelt Franz zynisch, „denn ich war ihr sicher schon damals eine