Günter Tolar

Der Herzog


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dachte nach und fügte dann ganz ernst hinzu: „Das liegt wohl am Marmor. Der ist kalt. Und kalt zieht zusammen!“

      Bei den letzten Worten stieß er mich unmerklich vertraulich an.

      Ich war nicht wenig echauffiert ob der Kühnheit des Franz, so Intimes so keck in der Öffentlichkeit herauszusagen. Ich erinnerte mich aber auch der manchmal sehr mangelhaften Beheizung der Gemächer des Franz.

      Diese Unterhaltung führten wir so, daß es für die anderen nach einem angeregten künstlerischen Diskurs aussehen mußte; zwei Schritte hinter uns war nämlich der Foresti; der war allerdings höchst unaufmerksam und auch gar nicht sonderlich angetan von den ausgestellten Kunstwerken, die der Franz zu besichtigen gewünscht hatte.

      Es war uns halt eine Lust, öffentlich zu tändeln und niemand sieht’s.

      Joseph Moritz und der Herzog trafen einander also auch manchmal offiziell und öffentlich. Es mag ihnen eine diebische Freude gemacht haben, ganz nahe an der möglichen Entdeckung ihres ‚Geheimnisses‘ zu wandeln, zu spielen, zu ‚tändeln’.

      Der Herzog von Reichstadt hatte, trotz der strengen Etikette, die das Leben des Sohnes von Napoleon und Enkels Franz des I., einer hochnotpeinlichen Figur von historischer Brisanz, unterliegen musste, auch ein Privatissimum. Es wäre jetzt abgeschmackt, mit moralistisch gerunzelter Stirn die Frage zu stellen, warum sich dieses Privatissimum justament zwischen zwei Männern begab. Wie hätte die Sache denn ausgesehen, wenn anstelle des Joseph Moritz ein Mädchen gewesen wäre? Sie hätte gar nicht, wie Joseph Moritz, zehn Jahre älter als der Herzog sein müssen. Ein ‚aufgeflogenes‘ Verhältnis des Herzogs mit einer Frau, wäre einer Katastrophe gleichgekommen. Eine Männerfreundschaft hingegen war normal. Man könnte vielleicht fragen, warum niemand bemerkt hat, dass das mehr war als eine Männerfreundschaft. Damals hat niemand gefragt. Und wenn? Metternich allein hätte die Größe der ‚Katastrophe‘ festgelegt. Der Kaiser wäre vielleicht damit befasst worden; er hätte wahrscheinlich abgewunken. Skandale, die geheim bleiben, sind keine Skandale. Der junge Dietrichstein? Ein netter, begabter, tüchtiger junger Herr. Wenn der Herzog schon Gesellschaft pflegte, von der niemand wusste, dann hätte es schlechtere sein können. Der Kaiser hätte vielleicht zu höherer Aufmerksamkeit gemahnt - und hätte die Dinge laufen lassen. Die Zusammenkünfte der beiden wären dann wohl dem offiziellen Terminkalender des Herzogs einverleibt worden, hätten also das Flair des Geheimen, Privaten, Intimen verloren. Denn es waren ja die im Kalender des Herzogs vorgeschriebenen Mußestunden, in denen das Privatissimum stattfand, geheim, unter Umgehung der Wache, umgeben von dem, vom Herzog selbst zitierten, ‚Netz, das auch schützt‘.

      Anders mochte die Situation auf Joseph Moritz‘ Seite aussehen. Seine Liebe zum Herzog ist sehr tief gegangen, jedenfalls tiefer, als es zwischen Männern üblich ist. Seine Liebe entspringt aus dem Romantischen, jenem Teil der Psyche also, der das Blut in Wallung bringt, zum Sieden, der Gedanken abschaltet und Körper zu einander zieht. Joseph Moritz entwickelte allerdings sehr bald auch ein, man würde heute sagen, von Sex gesteuertes Verhalten. Sex, der einmal dem rein Körperlichen diente und auch von dort gefordert wurde, und der, allerdings nur mit dem Herzog, aus der Liebe kam.

      Seine eigene Rolle schildert Joseph Moritz in seinem Tagebuch mit immer mehr Offenheit, die bald jedwede Selbstschonung fallen ließ. Wie es allerdings mit dem Herzog wirklich stand, können wir nur versuchen, aus den Schilderungen des Joseph Moritz geschmackvoll und möglichst gerecht zu deuten. Wir haben, was diesen Teil des Lebens des Herzogs von Reichstadt betrifft, keine andere Quelle, als das Tagebuch des Joseph Moritz von Dietrichstein. Und der war, die vorigen Zitate haben es schon gezeigt, offensichtlich auch ein Dichter. Oft ohne es zu wissen, oft aber auch, weil er es so wollte. Er überlässt es unserer Auslegung, wo die Wirklichkeit aufhört und die Dichtung anfängt. Wenn er uns überhaupt Hinweise gibt, dann in begleitenden Worten, nie aber in der Schilderung eines Vorganges.

      Der Dichter manifestiert sich ganz deutlich in der weiteren Schilderung aus Florenz.

      Es mag ja vielleicht auch der rote Wein sein, dem ich hier in erhöhtem Maße zuspreche und der mich auf solche Gedanken bringt. Ich will aber nicht sagen, daß es nur der Wein sei, der mich an dich denken läßt, Franz. Ich weiß, daß du mich jetzt fragen würdest: „Denkst du immer nur dann an mich, wenn du trinkst?“

      Aber vielleicht hättest du diese Frage gar nicht gestellt. Vielleicht ist es dir ganz und gar gleichgültig, ob ich an dich denke, oder nicht. Wahrscheinlich wäre es dir lieber, wenn deine Mutter mehr an dich dächte. Oder daß dein Vater noch lebte, daß er an dich denken könnte. Aber so, ohne Vater, ohne Mutter, wohin geht denn deine Liebe? Zu mir?

      Du hast recht. Es mag wirklich der Wein sein, der meine Tränen und mein Denken auf solche Wege lenkt.

      Napoleon ist tot, die Mutter Marie Louise regiert in Parma und treibt es dort mit dem Grafen Neipperg. Wir werden das alles noch breitest erfahren.

      KAPITEL 3

      Im Jahr 1831, dem Jahr, in dem Joseph Moritz seinen dreißigsten Geburtstag beging, begann er, sein Tagebuch zu ergänzen, die Zeit ‚vorher’, nachzutragen. Die Notwendigkeit hierfür hat er sich sehr genau überlegt.

      Der Franz spricht immer wieder von Flucht; nicht nur zu mir, sondern auch zu anderen. Und ich sage ihm immer wieder, daß das gefährlich sei. Spreche ich aber von Gefahr, scheint er mich sogleich zu fragen: wo ist sie, die Gefahr, sag mir, wo, damit ich mich ihr stellen kann. Mir scheint, er meint, daß sein Leben viel eindrucksvoller wäre, hätte er mehr Gefahren zu bestehen. Aber ich sage immer wieder, ob er nicht meine, daß es gefährlich sei, auch mit anderen als mit mir über seine Pläne zu sprechen. Heute hat er ganz vergnügt abgewinkt: „Gefahr! Verantwortung ist immer Gefahr!“

      Ich vermag ihm nicht immer mit dem gleichen Feuer zu folgen, mit dem er von seinen Plänen zu sprechen pflegt. Derzeit bewundert er sehr die Polen, deren Krone er gerne angenommen hätte: „Jomo, die Vorstellung, an der Spitze der Polen zu marschieren, beherrscht mich mehr als alles andere. Ich würde freudig mich in Polen krönen lassen...“. Falls da ein Verführer wäre, würde Franz sicher seine Schritte in diese Richtung lenken. Aber da ist kein Verführer. Und der Franz ist traurig.

      Prokesch-Osten -

      - wir lernen ihn später noch näher kennen -

      - sagte es sehr genau: „Die Krone Frankreichs ist ja nun in schwer erreichbare Ferne gerückt, aber die Länder Griechenland, Italien, Belgien oder eben Polen brauchten nur zu winken und der Herzog würde hinreisen oder hinfliehen, um sich an die Spitze des Landes stellen zu lassen.“

      Aber es ertönte kein ernsthafter Ruf. Den Joseph Moritz hat es übrigens sehr geschmerzt, dass der Herzog mit ihm kaum über seine politischen Ansichten und Absichten sprach.

      Wenn der Franz so seinen Träumen nachhängt, ist er mir fremd. Da ist er nicht mein geliebter Freund, sondern ein Herrscher ohne Krone und ohne Hoffnung. Ein Mensch, der sich für Höheres, für Besseres bestimmt fühlt; für Höheres, das ihm, so meint er und so will es auch die Historie, von der Geburt an bestimmt ist. Aber die Entwicklung der Zeiten nimmt auf seine Geburtsrechte keine Rücksicht.

      Vater macht sich oft seine Gedanken: „Armer Teufel! Dazu geboren, um nichts zu werden. Nichts. Wofür ihn erziehen? Sie sollten ihn lieber leben lassen!“

      Dann wandte er sich mir zu und Ärger kam in sein Gesicht: „Ich sollte sowas nicht vor Ihm schwatzhaftem Buben sagen!“

      Vater hält mich für einen schwatzhaften Buben.

      Das Höchste, was mir der Franz zubilligt ist, daß er heute gesagt hat: „Warte nur, Jomo, mit dir will ich nur das Heitere erleben, laß mich den Ernst mit denen erörtern, die ich nicht schätze und nicht mit denen, die ich liebe.“

      Ist gar nicht wahr, das hat er nicht gesagt. Aber sein Blick, und es war ja nur ein Blick, den er mir zuwarf und den er mit keinem Wort ergänzte, ihn somit meiner Übersetzung überließ, dieser Blick sagte mir... aber vielleicht ist es auch gar nicht wahr.

      Ich bin viel allein gelassen. Aber es kann mich nur einer allein lassen, der Franz. Niemand außer ihm fehlt mir.

      Damals,