Günter Tolar

Der Herzog


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also.

      Es war ein wunderschöner Spaziergang. Wollte man sehr genau sein, dann waren es ja eigentlich zwei Spaziergänge.

      Beim ersten Rundgang über die Mauer erzählte mir Pospis alles Mögliche aus der Geschichte von Ragusa. Das meiste wußte ich schon, aber es war eine Freude, ihm zuzuhören. Er erzählte sehr charmant, begleitet von schönen, sehr sprechenden Handbewegungen.

      Als wir wieder am Ausgangspunkt angelangt waren, schlug er sich plötzlich mit der flachen Hand an die Stirn, daß ihm sein Käppchen hinten hinunterflog; dabei rief er: „Herr Graf, nein, bin ich nicht dumm? Ich habe doch gebeten, daß er mir über Wien erzählt. Und jetzt habe ich die ganze Zeit Sachen erzählt, die ich schon weiß und die der Herr Graf wahrscheinlich auch schon gewußt haben! Bin ich nicht dumm?“

      „Er ist nicht dumm, Gospodin“, antwortete ich, entzückt über seinen drolligen Ausbruch, „er ist höchst charmant und ich bin ihm sehr dankbar für alles, was er mir berichtet hat.“

      „Der Herr Graf sind voller Höflichkeit“, rief er abwehrend. „Das ist halt die Großstadt. Das ist halt Wien!“

      „Na“, meinte ich, „da könnt' ich ihm schon ein paar Sachen erzählen!“

      An dieser Stelle erlaubte ich ihm, mich Joseph Moritz zu nennen. Er bat mich daraufhin, ihn Ivo zu nennen.

      Dann erzählte ich dem Ivo über Wien, genau so lange wie der zweite Rundgang über die Stadtmauern von Ragusa dauerte.

      Dann begleitete er mich wieder zum Rektorenpalast. Ehe wir auf den Platz hinaustraten, hielt er mich plötzlich am Arm fest und wir blieben stehen.

      „Hat er heute nachmittag zu tun?“, fragte er mich.

      „Ja“, seufzte ich, „Gespräche über mögliche und unmögliche Handelsspannen.“

      „Und da muß er unbedingt dabei sein?“

      Ich wurde jetzt vorsichtig, schließlich stand ein Ragusaner aus einer der angesehensten Familien vor mir.

      „Ja“, sagte ich also, „wegen dieser Gespräche bin ich ja hier. Sie gehen in jedem Fall vor.“

      Es mag die leichte Schärfe in meiner Stimme gewesen sein, die ihn nur ein begüterndes „Ja, ja“, sagen ließ.

      Er nickte stumm vor sich hin, daß er mir leid tat.

      Also hob ich wieder an: „Aber morgen, morgen habe ich den ganzen Tag frei.“

      Er war gleich wieder begeistert: „Dann machen wir einen kleinen Ausflug, ja? Wir zwei. Ja?“

      „Gut“, antwortete ich. „Ich melde der Wache, daß ich einen Tag privat bei Pospis’ verbringe. Ist das recht so?“

      „Muß er denn das?“, fragte er verwundert.

      „Ja“, sagte ich, „schließlich ist die Wache für mein Wohlergehen verantwortlich.“

      „Auch auf der Liebesinsel?“, fragte er.

      Ich meinte, nicht richtig verstanden zu haben: „Liebesinsel?“

      „Er wird schon sehen, Joseph Moritz“, sagte er schalkhaft und wir traten auf den sonnenheißen Platz hinaus, wo er sich von mir verabschiedete.

      Ich bin verwirrt. Liebesinsel?

      Hier hat Joseph Moritz seinen Bericht unterbrochen. Die Handelsgespräche lagen dazwischen. Dann aber schrieb er gleich weiter mit dem Gedanken, der ihn zu entzünden scheint.

      Die Gespräche wie immer. Kein Ziel.

      Ich rufe mir immer wieder den Ivo ins Gedächtnis. Ich hätt’ mir nicht gedacht, daß hier bei diesem einfachen Volk ein junger Mann von solcher Kultur zu finden wäre. Er hat mir gesagt, daß er siebzehn Jahre alt sei. Um drei Monate älter als ich.

      „Drei Monate habe ich erlebt, von denen er nichts weiß“, hat er kokett gesagt.

      Kokett, ja, das ist es. Er ist kokett, der Ivo. Das türkisch anmutende Käppchen passt ihm gut, das er leicht schief, leicht verwegen auf seinen ganz dunkelbraunen Haaren über den ebenfalls ganz dunkelbraunen, tiefen Augen trägt. Diese Augen. Immer wenn ich hineinblicke, habe ich das Gefühl, dahinter glimmt ein Licht, in jedem Auge, weit hinten. Er kann so leuchten mit den Augen, der Ivo. Ein schneller Blick in den Spiegel zeigt mir, daß man mit blauen Augen nicht leuchten kann. Blaue Augen leuchten offen, gerade, hilflos, weil sie nichts verbergen können. Braune Augen, je dunkler sie sind, sind so tief, leuchten so von weit innen. Und er weiß dieses Leuchten einzusetzen, der Ivo.

      Kokett, ich sagte es schon.

      Ansonsten meine Größe, schlank, wie ich; wir haben einander im Äußerlichen nichts nachstehendes.

      Ein koketter Mann ist mir etwas Neues.

      Ab nun folgt keine Zeile mehr über Geschäfte oder Gespräche. Stattdessen ein beinahe Kapitel, das Joseph Moritz - vielleicht absichtlich - sogar als solches geformt hat.

      Hier finde wieder eine Anmerkung Platz. Wir geben das Kapitel bis auf wenige Streichungen so wieder, wie es geschrieben ist. Die Streichungen, daran sei hier erinnert, entsprechen wohl dem, das man als Wunsch des Joseph Moritz interpretieren kann. Wir wollen ihn nicht bloßstellen. Zudem sind manche intime Details so drastisch geschrieben, dass sie wirklich nur ins Privatissimum gehören.

      Die Liebesinsel.

      Ich bin noch immer von viel Unruhe bewegt.

      Wir trafen uns heute vormittag vor dem Rektorenpalast. Ivo holte mich ab und bat mich, den Weg zum Hafen doch zu Fuß nehmen zu wollen. Ich wunderte mich, dass er das fragte, der Weg zum Hafen ist nämlich keine fünf Minuten lang.

      Dort führte er mich zu einem Schiff, das von zwei Männern gerudert wird. Das Schiff hat ein kleines Verdeck, oder wie das heißt, aus kostbarem, teppichartig gewebtem Tuch, sodaß man wie in einer Kutsche sitzen konnte, von niemandem eingesehen, auch nicht von den beiden Ruderknechten. Der wichtigste Zweck schien mir hier aber der Schutz vor der sehr heißen Sonne.

      Ruderknechte - das war übrigens ganz falsch. Ivo stellte mir die beiden mit Namen vor, sie reichten mir die Hand - nicht ich ihnen, aber ich mußte wohl zugreifen -, wobei sie eine galante, mäßig tiefe Verbeugung machten. Dann sind wir losgefahren. Hinaus aus dem Hafen und vorerst gerade auf die Insel zu, die Ragusa geradewegs vorgelagert ist. Schon recht nahe an der Insel machten wir einen rechten Winkel nach links und fuhren jetzt die Insel entlang.

      Ivo erzählte mir von einem Kloster, das sich auf der Insel befindet. Auf der Seite, von der wir uns soeben wegbewegten. Er erzählte mir von einigen sehr stillen, sehr abgelegenen Häusern, die auf der Insel sein sollen.

      „Diskret?“, fragte ich vorsichtig.

      „Diskret, ja“, stimmte er begeistert zu, „das ist das Wort, das mir entfallen ist.“

      „Das ist aber wichtig“, gab ich mich weltmännisch. Währenddessen - ich gebe es ja zu - beschlich mich ein Gefühl gewaltiger Unsicherheit. Ich hatte nämlich nicht vor, mein erstes Erlebnis hier bei den einfachen Menschen auf einer Liebesinsel zu haben.

      Unser Boot umrundete jetzt die Insel an ihrer Südseite gerade so, daß Ragusa nicht mehr zu sehen war.

      Gleich darauf bogen wir in eine Bucht ein, legten dort auf einem recht guten Holzsteg an und stiegen aus. Ich sah mich kurz um und stellte Gespenstisches fest: nichts war auf der Insel zu sehen, kein Mensch. Sehr weit allerdings reichte mein Blick auch nicht, da die Insel dicht mit Pinien bewaldet ist und die Küste steil und felsig recht hoch anstieg, bis sofort der dichte Wald beginnt.

      Ivo sagte den beiden Ruderern etwas in seiner Sprache, sie nickten, machten das Boot fest, nickten auch mir aufmunternd zu und verließen uns. Während sie jedoch sich nach rechts wandten, führte Ivo mich nach links in den Wald.

      Der Weg führte uns immer im Wald, aber doch so nahe beim Ufer, daß wir immer das Meer sehen konnten. Wir wanderten stumm. Ich hatte zum Glück meine derberen Schuhe an, sodaß ich auf dem Wege gut vorangekommen