Hugo Berger

Steinreich


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ein, es würde ja keine finanzielle Rolle spielen. Was noch? Eine Uhr? Ja, vielleicht, aber nicht um auf die Uhrzeit zu gucken, sondern nur aus optischen Gründen. Und ich könnte wieder zocken, so richtig. Aber nicht mehr im Hinterzimmer mit den Blödmännern, die mich immer ausgenommen haben. Wenn schon, dann in den Casinos in Las Vegas, auf den Bahamas, in Paris, natürlich auch in Monte Carlo. Mann, ich schwebte von einem Höhenflug zum anderen.

      Moment, ihn durfte ich auf keinen Fall vergessen. Mein bester Freund, der mich nie im Stich gelassen hat und der einzige, mit dem ich das Riesenteil fifty fifty geteilt hätte ohne mit der Wimper zu zucken. Ich hätte mit ihm eine Weltreise gemacht und auf seine alten Tage nochmal alle seine Wünsche erfüllt, auch die Reise nach San Francisco. Leider ging das nicht mehr. Er war alles gewesen, was ich Familie nennen konnte, mein Großvater Steinalt. Und längst war er nur noch ein paar hundert Gramm Asche in seiner Low-Budget-Urne.

      Das einzige, was ich jetzt noch tun konnte, war, sein verwittertes Holzkreuz gegen einen ansehnlichen Mamor-Grabstein mit einer vernünftigen Inschrift auszutauschen: „Hier ruht mein bester Freund, mein Großvater.“ Das war ich ihm schuldig. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, ihn in ein würdiges Grab umbetten zu lassen, oder doch nicht? Großmutter lag auch bei ihm. Aber wie schon Van Morrison sang: „it`s all over now Baby Blue!“

      Es war seltsam, dass ich keinen Appetit hatte. Vielleicht war allein die Vorstellung über meine künftigen kulinarischen Möglichkeiten so sättigend, dass ich kein akutes Bedürfnis nach Steaks, Happas und Tapas gehabt hatte. Und doch war der Gedanke, dass mein Speiseplan künftig ein bisschen anders war als Pizza aus der Tiefkühltruhe und Makkaronis aus der Konservendose, wie eine weitere Wolke auf der ich schweben wollte. Falls mein Appetit sich eventuell auch künftig in Grenzen halten würde -was ich mir allerdings nicht vorstellen wollte-, konnte ich zumindest meiner weiblichen Begleitung ein neunundneunzig gängiges Menü im teuersten Gourmet-Tempel der Gastro-Szene bieten, das hätte durchaus Charme.

      Ich selbst war aber alles andere als verwöhnt gewesen, auch als Kind. Meine Mutter war eher knapp bei Kasse, und Alkohol und Zigaretten nagten bestimmt überproportional am Haushaltsgeld. Später dann war es mein Stiefvater, der den größten Essenshappen abbekam, ach ja und mein Halbbrüderchen, dem die allerfeinsten Schleckereien hineingestopft wurden, bis sie hinten samt Alu-Verpackung wieder herauskamen. Irgendwann hatte ich mich daran gewöhnt. Und später konnte ich es mir nicht leisten. Umso mehr könnte ich mich nun richtig beliebt damit machen, die Leute in einen feinen Schuppen einzuladen und mich dabei nur für die linke Seite der Speisekarte zu interessieren. Genauso gut konnte ich nun selbst reinhauen so viel, so oft, und wo und wann ich gerade wollte, Tag und Nacht, bis ich kotzen müsste.

      Nur im Augenblick war es kein ungezügelter Appetit, der mich seit der Kneipinger-Party begleitete, sondern eine penetrante Übelkeit, die sich trotz meiner traumhaften Visionsbilder in meiner Pseudo-Hängematte nicht verabschieden wollte. Diese unliebsame Nachwirkung war nun mein Kneipinger-Andenken geworden.

      Was kümmerte mich mein anhaltendes Kotzgefühl im Magen eigentlich? Es gab wichtigeres, wie beispielsweise ein Harem voller Puppen, die ich bald tanzen lassen konnte. Aufreizend und ausgelassen nur für mich allein. Ich sah sie schon vor mir. Zuerst ein vielsagendes Lächeln, dann das flüchtige Grabschen ihrer Hände an meinen Armen, das Reiben ihrer halbnackten Oberkörper an meinen Schultern, ihre makellosen schlanken Körper, wie sie ihre aufgepumpten Brüste schamlos im gegenseitigen Wettstreit zur Schau stellten und die glitzernden Piercings, die ich in ihren braungebrannten Bauchnabeln bewundern konnte. Selbst wenn sie mir den Rücken zudrehten, konnte ich mich immer noch nicht sattsehen, wenn ich vergeblich nach den Bändchen der Tangas suchte, die sich mitten in ihren knackigen Hinterteilen restlos hineingefressen hatten. Und ich, Stephan Steinreich war mittendrin, der unangefochtene Star, die Nummer eins, der höchstpersönliche Hotspot, der großzügige Spender der Drinks, der Gönner, der Mäzen.

      In dieser Leichtigkeit waren meine Beschwerden eine Lächerlichkeit und die Aussicht auf ein zügelloses Vergnügen ohne Limit wie eine Droge nach einem so verdammt missratenen Liebesleben, das das Wort nicht verdiente. Für die Ladies war ich nichts als ein hoffnungsloser Looser um den man lieber einen Bogen machte. Nur zu logisch, dass meine Beziehungen von Chaos und Unglück geprägt waren. Dabei waren sie ohnehin äußert überschaubar gewesen. Ich konnte sie locker an einer Hand abzählen und selbst dann blieben noch zwei Finger übrig. Traurig, oder soll ich eher sagen überpeinlich, dass ausgerechnet die Beziehung mit Gupi die längste war. Immerhin war sie die treueste von allen und das aus gutem Grund.

      Endlich aber konnte ich nun über mich selbst schmunzeln und stellte mir dabei vor, wie sich Strapsi in ihren süßen Arsch beißen würde, falls sie es mitkriegen könnte, wie ich mir in der Karibik die Sonne auf den Pelz brennen ließ. Ich dachte daran, ihr eine Postkarte zu schicken, warum eigentlich nicht. Ja, das war eine nette Idee.

      Wie oft und wie irrsinnig hatte ich mich in dieses Mädchen mit den großen Augen, der Stubsnase und den langen blonden Haaren verknallt. Und wie oft hatte ich mir eine Abfuhr geholt, und egal welchen anderen Frauen ich auch nachsah, ich habe sie alle mit ihr verglichen. Doch keine war auch nur annähernd so hübsch wie sie, sinnliche Lippen, lange Wimpern, Topfigur und den geilsten Pfirscharsch, den man sich vorstellen kann. An ihrer Schönheit etwas auszusetzten wäre eine infame Lüge gewesen. Warum das mit ihrer Karriere trotzdem nie geklappt hatte, keine Ahnung. Wenn es nach ihrer neurotischen Mutter gegangen wäre, hätte sie einen Schönheitswettbewerb nach den anderen gewinnen müssen. Heidi Klum hat sie wohl übersehen. Stattdessen ist sie Tag für Tag in dem Friseursalon ihrer Tante gestanden, es sollte ja nur ein Übergangs-Job sein, bis sie entdeckt wird. Na ja, dazu ist es halt nicht gekommen und die Konkurrenz schläft bekanntlich auch nicht. Kurzum, aus dem Übergangsjob wurde eine Daueranstellung und auf die Karriere als Model wartet sie vermutlich heute noch. Ja, so ist das Leben. Und ich war nicht der Einzige gewesen, der mit dem Glück eine gestörte Beziehung gehabt hatte.

      Im Nachhinein konnte ich mich nur wundern, dass ich diesen ganzen Müll einfach so über mich ergehen lassen hatte ohne durchzudrehen die ganzen langen Jahre. Als Belohnung für meine Geduldigkeit standen dafür nun die Dollarzeichen in meinen Augen und ein tiefgreifendes Bedürfnis, eine ganze Menge Leben völlig ungeniert nachzuholen, Mädchen, Autos, Reisen, Plunder einkaufen und Partys feiern, bis der Arzt kommt.

      Die primitiven Kneipinger-Sauf-Orgien bis zur Bewusstlosigkeit waren Vergangenheit und ein Dreck gegen das, welche Feste ich künftig schmeißen wollte. Feste, die den Namen Fest auch redlich verdienten. Champagner, Kaviar, Hummer und alles, was die Hitliste der Delikatessen hergab, würden so selbstverständlich sein, wie das Klopapier auf dem WC. Genauso selbstverständlich wie Gogo-Girls, Live-Musik, DJs, ich könnte mir sogar die Rolling Stones kaufen. Und eine exklusive Getränkeliste, die sich gewaschen hat, schicke Klamotten, ein Feuerwerk und ein Entertainment, wie es eines Multimillionärs würdig ist.

      Ja, so stellte ich mir mein neues Leben vor, als meine Gedanken in der Zukunft spazieren gingen, während die himmlische Hängematte mit mir in der lauen Karibiknacht unspektakulär hin und her pendelte.

      11-Überholspur-

      Es war schon unglaublich, welche Gedankengänge sich durch mein glücksverseuchtes Gewinnerhirn schlängelten, jetzt, wo mir alle Türen offen standen wie ein Scheunentor. Kaum war ein Kapitel serienreif zur Umsetzung, tauchte schon das nächste Problem auf, das auf eine Lösung wartete. Nicht alle Themen waren angenehm und unkompliziert. Viele davon waren eine Wissenschaft für sich und deshalb Grund dafür, dass ich sie hasste wie eine Seuche.

      Die Angelegenheiten mit allem, was sich um Finanzen drehte, gehörten zu diesen eher unangenehmen Themen. Nicht, weil es mich nicht interessierte, sondern weil die Zusammenarbeit mit einer Bank, oder genauer gesagt die mit meinem Banker, ausnahmslos von kritischen Erfahrungen geprägt war. Für mich stand deshalb unverrückbar fest, dass die Bank um die Ecke weder mich noch meine meine Millionen noch einmal zu sehen bekommen würde. Wenn doch, dann wäre es bestenfalls mein Stinkefinger dafür, dass sie mir unaufhörlich zugesetzt haben, dass sie mir für jeden Kram Gebühren abgeknöpft haben, meine Lastschriften nicht eingelöst haben, Kredite verweigert