Hugo Berger

Steinreich


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behalten und meine Sorgen lösten sich mehr und mehr in der rekordverdächten Menge von Gin und Whiskeys auf. Statt in ein tiefgründiges Gespräch vertieften wir uns in den beispiellosen Irrsinn des Hier und Jetzt, bis alles egal war. Danach hatte ich ein paarmal ins Waschbecken gepinkelt und mir die Hände im Pissoir gewaschen.

      Das Geschehen wurde immer unkontrollierbarer, die Mädchen immer reizender, eine wie die andere. Wild ausgelassen haben sie alle getanzt und irgendwie war ich mittendrin, mal am Boden, mal auf dem Tisch, mal habe ich nackte Brüste im Gesicht gespürt oder war es das Hinterteil meines Nachbarn, als sich der Barhocker unter meinen Füssen selbständig gemacht hat? Zuerst sind BHs versteigert worden. Kurz darauf hat eines der Girls auf dem Tresen gestrippt, dann hatte ich ein Höschen über dem Kopf und alles hat gebrüllt „ausziehn, ausziehn“. Der Joe-Cocker-Song -you can leave your hat on- plärrte dazu verzerrt aus den Lautsprechern und plötzlich tauchte ein üppiges Mösengebüsch direkt vor meiner Nasenspitze auf. Längst war es klar geworden, dass der Irrsinn keine Grenzen kannte und mein Alkoholkonsum eine neue Rekordmarke erreichen würde. Das war keine Party mehr, das war eine ausgewachsene Wahnsinns-Orgie und noch lange nicht am gnadenlosen Höhepunkt angekommen.

      Fix stand plötzlich mit einer Sektflasche auf dem Tresen und schüttelte die Flasche wie einen Cocktail-Shaker. Dann klemmte er sich die gleich explodierende Schampuskanone zwischen die Oberschenkel, ließ den Korken an die Decke knallen und spritzte die Sektsalve gezielt in den Ausschnitt der Silikon-Uschi, dass sich ihre Nippel wie strammstehende Soldaten gegen die Innenseite der Bluse drückten. Wie auf Kommando folgten alle anderen berauscht seinem Beispiel, besessen wie ein ganzer Stall durchgeknallter Feuerwehrhäuptlinge. Jeder spritzte nur noch exzessiv um sich was das Zeug hielt, Gläser klirrten, Barhocker gingen zu Bruch, es roch nach Schweiß, sämtliche Sorten von Alkohol, Kotze, abgestandenem Parfüm und mehr.

      Die Geräuschkulisse vermischte sich mehr und mehr in ein schräges Gewummere aus Techno-Beat, Gegröhle, Frauenkreischen, undefinierbaren Sequenzen menschlicher Laute bis nur noch ein akustischer Brei und ein schrilles Pfeifen in meinen Ohren war, das schlussendlich zu einem Piepston verkümmerte. Das ultimative Finale war eine irre Höllenfahrt ins Universum, kreisend, schrill und überirdisch. Die Erdanziehungskraft hat mich zuerst durchgeschüttelt, aber dann habe ich mich endlich von der Schwerkraft befreit. Es wurde auf einmal leicht, federnd, wie ein schwebendes Dahingleiten. Überall konnte ich unbeschreibliches blaues schemenhaftes blinkendes Licht erkennen, als ob ich in einem Raumschiff unterwegs in den Weltraum wäre.

      Die nächste Erinnerung waren die außerirdischen Lebewesen. Sie hatten kein Gesicht, nur weiße Kleidung. Sie trugen mich wie einen König mit einer Sänfte ins Nichts. Ich konnte mich plötzlich selbst sehen, ruhig schlafend auf einem Bett, das im Raum schwebte. Dann kam ein neues Licht auf mich zu, außergewöhnlich hell. Es trug mich in eine andere Welt. Eine Art Zwischenwelt? Ich konnte es nicht erklären, nichts davon, was sich in meiner Fantasie abgespielt hatte, es war so unglaublich echt.

      Dieser Wahnsinns-Trip war eine völlig neue Erfahrung gewesen, unbeschreiblich intensiv. Angesichts meines persönlichen Alkohol-Weltrekordes hatte ich keine Ahnung, ob und mit welcher krassen Art von Drogen ich abgefüllt war oder ob das alles nur eine Mega-Halluzination gewesen war. Das Ende der Party hatte ich nicht mehr mitbekommen, weder wusste ich wie und ob ich nach Hause gekommen war noch, was nach meinem Ausflug mit dem Raumschiff mit mir passiert war.

      Ich kannte meine Blackouts, Filmrisse mit Überlänge, Vierundzwanzigstunden-Auszeiten, das alles war nicht neu, aber das Zeitloch in das ich nach der Party gefallen war hatte eine neue Dimension, so wie ich es noch nie erlebt hatte, nicht einmal annähernd. Das Einzige, was mich im zeitlosen Raum begleitete, war dieses eigenartige Grinsen von Fix.

      Neun gecrashte Autos

      Ich dachte immer, das muss dieser einzigarte Lebens-Moment sein, wo ein subtropischer Starksturmregen unzählige Geldscheine vor meinen geistigen Augen auf mich niederprasseln lässt, in dem ich ein Bad nehmen kann wie Dagobert Duck in seinem Geldscheinspeicher. Aber alles was ich im unmittelbaren Blickfeld erkennen konnte, war mit einem matten, milchigen Schleier überzogen wie gespenstisches undurchsichtiges Licht. Und ich hatte mir vorgestellt, ich tanze völlig ausgerastet, ausgetickt wie ein Spasti ausgelassen durch das Zimmer, stelle dabei alle Einzelteile meiner beschissenen Mindestlohnverdiener-Bude auf den Kopf, zerfetze alle Polster und lasse die Federn wie Schneeflocken durch die Luft regnen, aber mein Körper fühlte sich an wie mit Blei gefüllt und mir war so, als ob ich mich kaum von der Stelle bewegen könnte. Und ich dachte, ich würde singen, irre herumbrüllen, den Tarzanschrei von Johnny Weissmüller so gut wie geht imitieren und den Lautstärke-Regler meiner altmodischen Stereoanlage bis zum Anschlag aufdrehen. Aber alles, was ich hörte, war ein imaginärer penetrant regelmäßiger Piepston. Seltsam, beinahe unwirklich, manchmal kam es mir sogar vor, als ob das alles gar nicht passiert wäre …

      Aber dann drangen wieder diese unvergesslichen, in meinem Kopf zementierten Bilder wie ein Film durch das milchige Weiß zu mir durch, in einer Deutlichkeit, die nicht den minimalsten Zweifel an der geschehenen Wirklichkeit aufkommen ließen, lebendig, aufregend, einfach zu scheißecht. Immer wieder und immer wieder, wie ein you-tube-Video.

      Das ganze Konzentrations-Dilemma, mit dem ich zu kämpfen hatte, war nur die allzu logische Begleiterscheinung -das Wort strapazierten die Typen von der Klinik nur zu gerne- meines Kneipinger-Vollrauschkaters. Außerdem war es unter meinen Umständen so verflucht normal, durchgeknallt und unter der Wirkung einer Überdosis Glückshormone zu stehen, oder zu liegen, je nachdem.

      Meine Träume und Zukunftspläne ließen sich davon nicht aufhalten. Im Gegenteil, der Gedanken-Turbolader in meinem Kopf schaltete sich wieder ein. Wie ein Film über das sagenhafte Paradies schwirrten meine Zukunftspläne trotz meiner unklaren Verfassung unaufhaltsam durch meine Fantasien.

      Ich sah mich in einer himmlischen Hängematte schaukelnd. Nein, nicht irgendwo auf einem Balkon bei schmuddeligem Nieselregen in Sankt Peter Ording, sondern weit weg, verdammt weit weg, auf der anderen Seite des riesigen Ozeans. Umgeben von sanftem Meeresrauschen im Ohr und begleitet von leise dahinbröselnder Musik strich der Hauch des Windes wie eine sanfte Berührung über meine Haut. In meiner Illusion hielt ich die Augen fest geschlossen und genoss es, dahindösend mit meinen Gedanken zu spielen, meine Zukunftspläne in den herrlichsten Farben zu pinseln.

      Ich hatte noch weniger Geld oder alles das, was man sein Eigen nennen könnte als Strapsi, und die hatte schon nichts. Nein, stimmte nicht ganz, sie hatte wenigstens Träume und zusätzlich eine Mutter, die mit neidlosem Recht stolz auf die ebenbildhafte Schönheit ihrer Tochter war und nur ein Ziel verfolgte, einen reichen Mann für sie ausfindig zu machen. Was hätte Strapsi jetzt Augen gemacht, wenn sie ahnen könnte, mit welchen Batzen Geld ich nun gnadenlos um mich schmeißen konnte. Nun ja, in diesem Punkt meiner bislang bescheidenen Existenz hatte sich mein Spätzchen samt ihrer gut meinenden Mutter ein bisschen verrechnet. Nun hatte ich andere Pläne.

      9-Porsche-

      Weitere Tag-Träume fielen wie Sternschnuppen vom karibischen Abendhimmel, an dem die Zeit still stand und der Moment zu einer Ewigkeit eingefror, während meine Hängematte so dahinschaukelte wie von Geisterhand sanft angestoßen.

      Ja, ich konnte mir sogar vorstellen mich wieder zu verlieben. Ohne wenn und aber und auf den allerersten Blick. Eine Schönheit in teuflischem Rot wie ein blanker Wahnsinn? Liebe kann keine Sünde sein, verflucht nochmal. In meinem visionären Traum war es schon passiert.

      Meine leuchtenden Augen konnten sich einfach nicht sattsehen an diesen geilen Rundungen, an den perfekten Proportionen, wohin mein gieriger Blick auch fiel. Weich-erotische Übergänge, rassige und zugleich geschmeidige Linien, ein einzigartiges Exemplar menschlicher Vorstellungskraft. Ohne eine einzige Berührung war es glasklar, dass wir beide auf Anhieb ein traumhaftes Gespann sein werden. Es ließ keinen Zweifel offen, das heiße Biest wolles auf die harte Tour. Ich hätte um einen Regenbogen in der Einkaufstüte gewettet, dass es nur auf Vollgas abfuhr und tief am Boden kauernd wie ein gefüttertes Kätzchen schnurrte, wenn es mich im extatischen Geschwindigkeitsrausch