Hugo Berger

Steinreich


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Ganz ehrlich, einen Vater, der sich nicht aus dem Staub gemacht hat und einen Vater, der mehr als ein Fragezeichen gewesen wäre. Ich hätte nur einen stinknormalen Vater haben wollen, einen zum Anfassen, einem, dem ich das alles erzählt hätte, den ich um seine Meinung gefragt hätte. Doch das konnte ich eben nicht.

      Auch nicht meinen Opa, der war tot. Und meine Mutter? Nein, die hörte doch nur auf diesen Arsch von Stiefvater Willi, der King Kong aller Arschlöcher. Mein kleiner Stief- … nein er war sogar mein Halbbruder, das Herzigrazzi meiner Halbeltern, danke und auch oh nein. Mit ihnen allen hatte ich schon lange mehr kein Wort gesprochen und das aus gutem Grund. In ihren Augen war ich immer nur der Problem-Stephan, das Sorgenkind, der blöde Bengel. Echt scheiße Leute, ausgerechnet jetzt hatte dieser blöde Bengel aber verdammt viel Geld, echt blöd für Euch, dass ich Euch alle genau so wenig leiden kann…

      Warum fummelte dieser Mann mit der orangefarbenen Weste an mir herum? Das war das erste gewesen, was ich mir dachte, als ich nach meinem kurzen Knock-out versuchte mich hochzurappeln. Dann bemerkte ich auch die anderen Leute, die um mich herumstanden, sehr neugierig und sehr tatenlos. Die Lotto-Susi dagegen war aus meinem Blickfeld verschwunden.

      Restalkohol, es war der verfluchte Restalkohol, der mich im Lottoladen einen undefinierbaren Zeitraum lang zu Boden geschickt hatte. Warum hatte ich einen Kugelschreiber in der Hand? Ach ja, ich habe etwas unterschrieben oder ausgefüllt, aber keine Ahnung was und wie. Gerade noch hatte sich alles gedreht, das Susanne-Glück-Gesicht, das Formular, der Lottoschein, meine Kontonummer, alles ist plötzlich in meiner Gedanken-Wasch-maschine durcheinander gewirbelt worden mit dem Ergebnis, dass am Ende einige Erinnerungsteile verschwunden waren wie die berühmte fehlende Socke nach dem Schleudergang.

      Ich musste mir eingestehen, dass ich diese kleinen Aussetzer schon öfters gehabt habe. Es war also nicht das erste Mal und auch keine Seltenheit. In der Suchtklinik haben sie es Begleiterscheinung genannt. Verdammter Blödsinn, es kommt nicht vom Begleiten, sondern vom Saufen. Egal, ein Anlass wie dieser, Entschuldigung, das war etwas ganz -nämlich achtzehn Millionen mal- anderes.

      Immer noch quatschte der Sanitäter unnachgiebig wie ein kommunaler Parkplatzüberwacher auf mich ein. Dann sah es für einen dramatischen Moment lang so aus als ob er mir mit seiner Taschenlampe ein Auge ausstechen wollte. Aber zum Glück leuchtete er damit nur direkt in meine Augen und dann hatte ich eine Idee, warum diese Lotto-Susanne so eigenartig geworden war. Natürlich, sie hatte bestimmt deshalb geflucht, weil ich mich so idiotisch angestellt habe als ich dieses Gewinnformular ausfüllte. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, dass ich sie damit an die Verzweiflungsgrenze gebracht habe. Im Nachhinein empfand ich das sogar verflucht geil, auch wenn es genau in meinem Erinnerungsschatten passiert war. Es war meine kleine Rache für ihr jahrelanges Gehabe gewesen. Aber darauf war geschissen, ich wollte endlich weg, die Millionen spazierten von selbst auf mein Konto, was sollte mich also diese Glück-Susanne, dieser Sanitäter mit seiner Taschenlampen-Waffe und der verdammte Rest noch großartig jucken. Es war höchste Zeit für meinen Abgang.

      Ich hatte das, was ich wollte, nämlich soviel Geld, dass ich es gar nicht zählen konnte. Für jemand wie mich, dessen einziges Kapital eine XXL-Mülltonne voller überflüssiger Erfahrungen gewesen war, war das einfach irr und absolut überwältigend wie ein achtes Weltwunder. Keine Überraschung also, dass mir das alles den Boden unter den Füssen weggezogen hatte. Die Wende in meinem Leben hatte in diesem Moment begonnen, der sagenhafte Moment der absoluten Freiheit. Mir war immer noch etwas schwindelig gewesen und ich war noch etwas unsicher auf den Beinen. Aber das alles war ohne Belang. Ich wollte nur weg, nur vorbei an dem Krankenwagen, der mit eingeschaltetem Blaulicht vor dem Eingang zwecklos auf einen Mitreisenden wartete. Ich hatte nur ein einziges Ziel vor Augen.

      8-Kneipinger-

      Endlich war ich dort, wo ich hin wollte. Meine staubtrockene Kehle bekam das, was dem Rest meiner motorischen Funktionen wieder so etwas wie Leben einhauchte. Und ich war nicht alleine, alles andere als das. Zu meiner Überraschung war beim Kneipinger bereits die halbe Hölle los. Alles, was so ein wahrhaft sündiger Ort zu bieten hatte. Ein krasses Gruselkabinett eigenartiger Halbwelt-Gestalten, der Franz Schwanz, er hatte bereits die vierte Lokalrunde geschmissen, der warme Ossi und ein paar heiße Hasen, die Wuschi-Mausi, die Pamela Lippinger, die Silikon-Uschi und die Irina Vaginarovka. Die Mädels waren gekleidet wie immer, ziemlich wenig und ziemlich locker. In diesem illegalen Gruftikeller ging so richtig die Post ab, schon am hellichten Tag. Das war hier immer so. Hölle und Paradies in einem, die allererste Adresse für Alkoholleichen und solche, die es werden wollten und die Junkies, die in den anderen Kneipen nicht gern gesehen waren. Kurzum dieses unterirdische Etablissement war schlechthin die Institution für die Creme de la Creme des gesellschaftlichen Abschaums.

      Ich bin oft und trotzdem hier gewesen, weil der Kneipinger der einzige war, bei dem ich anschreiben lassen konnte. Klar, dass diese Spelunke in keinem Gastroführer zu finden war. Das war ein Geheimtipp in der Szene. Niemand kannte den Namen des Wirtes, Diabolo, Luzifer, Teufelberger, Satan oder Jesus? Das war auch völlig unwichtig, er wurde nur Kneipinger genannt, das reichte. Ich wäre bestimmt nie hier gelandet, wenn meine Kumpels aus der Klinik mich eines Tages nicht hierher geschleppt hätten.

      Kurz nach meinem Eintreffen ist noch der makabre Rest der Alkohol-Zombies aufgekreuzt, der Lukas Trinkaus, der Juri Becherovka, der Konrad Biermüller, die andere Hälfte der Hölle mit ein paar weiteren zweifelhaften Gestalten im Schlepptau. Die Hütte war voll, der Alkohol floss wie aus einer Regenwasser-Dusche und ich war mittendrin. Das Kalt-Bad mit meiner Wodka-Flasche war längst Vergangenheit und vergessen wie der Blackout bei der Lotto-Susanne. Ja, jetzt wollte ich am liebsten den Bleifrei anrufen. Jetzt genau war ich in der Stimmung dazu … Aber dann habe ich mir statt dessen doch lieber einen doppelten Gin bestellt. Ich spielte mit der Visitenkarte der Lottoberatungsstelle, Norbert Schlaumann-Armleuchter. Komischer Name, vielleicht konnte ich es auch nicht mehr richtig entziffern, vielleicht war mein Promille-Pegel schon weit fortgeschritten. Egal, achtzehn Millionen mal egal.

      Es hätte nur eine Zwei-Mann-Spontan-Party mit Bier und einem ausführlichen und vertrauensvollen Gespräch werden sollen, nur Fix und ich. Der Rest sollte sich dann von selbst ergeben. Immerhin waren wir trotz der Rivalitäten in Bezug auf ein einziges Mädchen über die Jahre dicke Freunde geworden, mal Tom und Huck, dann Tom und Stone und wieder später Fix und Steini. Kein Wunder, wir haben als Sandkastenkinder kiloweise Sand gefressen, wohnten im selben Haus, sind zusammen aufgewachsen, besuchten dieselbe Schule -wenn wir nicht gerade schwänzten- und hatten sogar am gleichen Monatstag Geburtstag. Wir waren total verrückt auf Autos, Formel Eins und die Rolling Stones und blöderweise auch auf das gleiche Mädchen.

      Ich hatte meinen Vorsatz, mit Niemandem über das Millionen-Ding zu plaudern, über den Haufen geworfen. Fix war der einzige, mit ihm und keinem anderen. Ich brauchte jemand mit dem ich mich austauschen konnte und dieser Honky-Tonky-Keller war unser konspirativer Treffpunkt, hier und nirgendwo anders. Irgendwie war diese versiffte Spelunke trotz allem immer ein vertrauter Ort gewesen, irgendwie bin ich hier nie aufgefallen und nirgend wo anders konnte ich mit ihm die Millionen-Sau herauslassen, ohne dass es aufgefallen wäre.

      Die Reisetasche stand unter dem Tresen, sie war leer. Dafür hatte ich nun ein künftiges Bankkonto, fett beladen wie ein Containerschiff. Doch je länger wie ich auf Fix warten musste, umso mehr plagten mich neue apokalyptische Gedanken von Einbrechern, die meine Kohle klauen wollten, Kidnappern, die mich gegen Lösegeldzahlung entführen könnten, Verwandte und Penner, die mich um Geld anpumpen würden und hypothetische Kreditkartenabrechnungen mit unvorstellbar teurem nicht nachvollziehbarem Kram, den ich angeblich gekauft haben soll.

      Unglaublich, aber ich war nahe am Verzweifeln, wie ich mit diesen ganzen neuen Gefahren umgehen sollte, als Fix endlich und viel zu spät eintraf. Er hörte mir zu, sagte mal „hm“ und mal „na ja“ und sein ganzer Kommentar am Ende war ein Grinsen -was immer es auch zu bedeuten gehabt hatte- und sein „Meine Fresse, lass uns saufen!“ Mehr gab es nicht zu sagen, dafür umso