Hugo Berger

Steinreich


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eines Königs. Meine euphorisch berauschte Stimmung machte es mir unsagbar leicht, in die Rolle eines prunkvollen Königs zu schlüpfen, der als Portrait mit all seinen Reichtümern und Goldschätzen im Mittelpunkt eines Ölbildes eingerahmt war und von den herumstehenden Betrachtern aus meinem alten Leben bewundert wurde. Darauf musste ich anstoßen.

      Welch ein praktischer Zufall, dass in dem ganzen Gerümpel zwischen Sportsocken, Luftmatratze und Klopapier noch eine Flasche unangetasteten Cognacs aufgetaucht war, um meiner Inspiration freien Lauf zu lassen. Das einzige Haar in dieser Königssuppe war lediglich der ganze Plunder, der sich Wohnungseinrichtung nannte. Hätte ich eine Alexa gehabt, dann hätte ich an dieser Stelle gerufen „Alexa, räum die Bude auf!“ Aber ein stilgerechtes Königreich, nein, aus dieser schäbigen abgewohnten Bruchbude konnte niemals ein Palast werden.

      „Alexa, lass es, ich ziehe bald um!“

      Apropos Alexa, eine echte lebendige Alexa, mit Titten und alles was dazugehört, klar, als König konnte ich mir so viele Alexas leisten wie ich wollte und wie ich das wollte.

      Mein erste lebendige Alexa war die Bettina, zwei Sommer nach Strapsi`s Strip. Fix hatte mich gefragt, ob ich mit dem Sportwagen in meiner Hose schon mal eine Spritztour nach Bumshausen gemacht habe. Weil ich nur idiotischblöd reagierte, bohrte er nach.

      „Ob du schon mal gevögelt hast?“

      Ich vermute, dass er meine Antwort kannte und dann sofort mit dieser Bettina kam.

      „Meine Fresse, ich kenne eine, ein richtiges Boxenluder. Da kannst du deine Stoßstange versenken bis dir das Hören und Sehen vergeht, hast du Geld dabei?“

      Am selben Abend waren wir bei ihr, Betty Nymphenbacher. Zuerst hat Fix sie gebumst, danach durfte ich für Liebe zum Dumping-Preis in der feuchtwarmen Garage zwischen ihren Füssen einparken. Mein Geldbeutel und mein Samenbehälter waren leer. Was soll’s, ganz ehrlich, es war das erste Mal. Es hätte schlimmer sein können. Und wer war es, der sich einen Tripper geholt hat? Keine Frage, der ohne Verhüterli und das war natürlich ich, Shit happens.

      Was war das? Verdammt, ausgerechnet in der schönsten Phase meiner Königsgedanken läutete jemand an der Türe. Wer zum Teufel konnte das sein? Es gab niemanden, den ich in meine Underdog-Behausung hereinlassen würde, außer Fix. Es läutete noch einmal. Ich brauchte mir nicht den Kopf zerbrechen, gleichzeitig mit dem Läuten ertönte die unverwechselbare hysterische Stimme von Paulinchen.

      „Hey Stephan, bist du da? Mach auf! Stephan, hallo!“

      Da hatte der Blödmann von Bleifrei tatsächlich die Kleine losgeschickt um mich aus den Federn zu schmeißen.

      Ich kann es mir nicht erklären, warum ich das alles so Wort für Wort in meiner Erinnerung gespeichert habe wie die Blackbox eines Flugzeuges. Aber der Kilometerzähler in meinem Hirn lässt sich einfach nicht ausschalten. Er läuft und läuft, Kilometer für Kilometer, Wort für Wort.

      Paulichen antworten oder hereinlassen? Den Bleifrei anrufen und meinen Spruch aufsagen? Nein, überhaupt nicht, nicht in diesem Moment und schon gar nicht an einem Montag. Ich habe Montage noch nie leiden können. Vielleicht am Dienstag. Ja, das war viel ist besser. Der Dienstag sollte ein guter Tag werden, Lottoquittung vorlegen, Geld abholen, Auto kaufen, in den Flieger steigen, Urlaub machen und in der Hängematte in aller karibischen Ruhe nachdenken, was ich mit dem Rest meiner Million alles machen wollte. Klar, das musste der beste Tag in meinem kompletten Leben werden.

      Aber im Augenblick wollte ich meine ungestörte Ruhe. Mir war einzig und allein daran gelegen gewesen, zusammen mit einem guten alten flüssigen Freund ausgiebig den alten Erinnerungen nachzuhängen, geschissen darauf, was diese neunmalklugen Fachidioten in der Suchtklinik versucht hatten, mir einzutrichtern. Das Klopfen, Rufen und Läuten von Paulinchen entfernte sich in meiner Wahrnehmung, als der letzte Schluck der leicht nach abgestandenem Korkenbeigeschmack mundende Achtunddreißig-Prozen-ter meine Kehle hinuntergurgelte.

      Was danach kam, konnte ich nur vermuten. Das Zeitloch war groß und lange genug. Hatte Paulinchen den Bleifrei geholt, dieser die Tür eingetreten und mich bewusstlos zusammengeschlagen? Oder bin ich über mein unaufgeräumtes Gerümpel gefallen und im Suff mit dem Schädel aufgeschlagen und ohnmächtig geworden? Mein Kopf brummte wie eine geprügelte Boxerbirne und sämtliche Körperteile schmerzten. Oder war ich einfach eingeschlafen und habe die fehlenden Schlafstunden von der Nacht zuvor nachgeholt? Nein, dann wäre ich nicht klitschnass mit meinen ganzen Klamotten im eiskalt gewordenen Badewasser wach geworden. Es konnte nur einen Grund gehabt haben. So wie es aussah, hatte ich mich entschieden, mit meinem flüssigen Freund ein Bad zu nehmen und den ganzen Verlierer-Fluch innerlich und äußerlich abzuschrubbeln. Wahrscheinlich war ich zu müde gewesen, um aus den Klamotten zu kommen, vielleicht auch zu betrunken. Und dabei ist scheinbar mein Licht ausgegangen. Ja, so wird es sich zugetragen haben.

      Es war schon eine ganze Weile her gewesen, dass diese Blackouts Teil meines Normalzustandes gewesen waren. Aber meine hochprozentige Ersatzfamilie, Jim Beam, Jonny Walker, Captain Morgan, Wodka Gorbatschow, Zoladkowa Gorzka und wie sie alle heißen, ich hätte ihnen nie für alle Ewigkeit den Rücken zukehren können. Ein trockener Alkoholi wollte ich trotz der wochenlangen Gehirnwäsche in der Suchtklinik nie sein, nicht vor und auch nicht nach meinem Entzug. Das ist nichts anderes wie eine fleischfressende Pflanze, der man nur Trockenfutter gibt. Bei mir hat das verdammte Teufelszeug immer wie ein Wunder gewirkt und jeden Müll von der geistigen Seele gespült wie ein Gedankendampfsstrahler, zumindest für einen Abend oder eine Nacht. Warum sollte ich also darauf verzichten? Sollen sich die Psycho-Klugscheißer ihre Ratschläge sonst wohin stecken.

      7-Glücksfee-

      Das eiskalte Badewasser und ein Weltmeister-Kater waren am anderen Ende des Zeitlochs. Immerhin hatte die Wassertemperatur meine Gehirnzellen heruntergekühlt und den noch funktionierenden Restzellen ein Stückchen Vernunft eingehaucht. Der Rest war ein gedanklicher Blitzeinschlags, der eine Million Gründe in meinem Hirn spontan entzündete, weshalb ich endlich aus der Wanne raus und mich in einen vorzeigbaren Menschen verwandeln musste, so schwer mir das in meinem miserablen Zustand auch gefallen war.

      Hast du schon einmal versucht, mit einer klitschnassen Vollbekleidung aus einer Wanne zu kommen? Das ist alles andere als einfach, wenn die Textilien wie Blei an deinem Körper zerren wie das Biest aus der Tiefe eines Horrorfilmes. Ich gewann den Kampf mit diesem Biest und stand eine entsprechende Weile später vor dem optischen Resultat meiner Badewannennacht.

      Dem Lichtschalter hatte ich es zu verdanken, dass er das sprichwörtliche Licht ins Dunkel meiner geistigen Wiederauferstehung brachte. Die Rollos waren ritzenlos geschlossen, das schwachrote Standby-Lämpchen des unverwüstlichen Dual-Plattenspielers war mein winziger Orientierungspunkt. Ich hatte verdammtes Glück gehabt, dass die Kerzen abgebrannt waren, ohne mich dabei selbst abgefackelt zu haben. Es wäre nicht das erste Mal gewesen. Auch das wertete ich als ein Zeichen für den Beginn meiner Glücksserie. Über den zugemüllten Boden kugelten leere Flaschen. Geschirr- und Kochutensilien standen, lagen wahllos verteilt im Irgendwo des Wohn-Schlafzimmers herum, die Küchenspüle war gefüllt mit dem Inhalt des Papierkorbes, den ich auf meiner Lottoquittungssuche umgestülpt hatte. Kurz, es sah aus wie nach einer Straßenschlacht in Bagdad. Eigentlich war das verdammt egal, eigentlich wollte ich schon vor einer Woche ausziehen, aber dann hatte es sich wegen Strapsi von selbst erledigt.

      Eine komplette Kanne Kaffee, zwei Schmerztabletten und drei Rühreier später kapierte ich, dass aus dem Montag- Morgen-Vormittag ein Dienstag-Mittag geworden war. Mehr als Vierundzwanzig Stunden traumloses Niemandsland lagen hinter mir, hoffentlich mehr als vierundzwanzig Jahre in Saus und Braus vor mir. Aber davor hatte ich noch die wichtigste Aufgabe meines Lebens zu erledigen und das in meinem desolaten Zustand.

      Die warme Dusche und die notgedrungene Auswahl aus dem bescheidenen Inhalt meiner Kleiderstange machten wieder ein menschliches Wesen aus mir. Erst jetzt fiel mir auf, dass ein einziges Möbelstück von der Unordnung verschont geblieben war. Der kleine Beistelltisch war fein säuberlich