Hugo Berger

Steinreich


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werden wahr-

      Welche irren Pläne haben Fix und ich gehabt. Als junger Mensch siehst du deine Welt voller Möglichkeiten. Ich wollte unbedingt zur Polizei, die bösen Jungs verhören und sie anschließend hinter Gitter bringen. Fix wollte mit aufgemotzten PS-Boliden handeln und eine Rockband gründen. Und wenn wir dann genügend Geld zusammen gehabt hätten, dann wollten wir nach Amerika auswandern, nach Florida oder auf die Bahamas, dort eine coole Bar am Meer mit jeder Menge Hängematten und Live-Musik mit den angesagtesten Weltstars betreiben. Dazu ein Haus in der Bucht, wo man mit dem eigenen Boot direkt zum eigenen Traumhaus fahren konnte. Wir wollten die Route 66 mit einem benzinfressenden Monster-Straßenkreuzer von Chicago nach L.A. fahren und eines Tages auf dem Mississippi mit einem alten Schaufelrad-Dampfer bis nach St. Louis hinaufschippern. Hätte ich damals gewusst, dass ich eines Tages tatsächlich eine ganze verdammte Million haben würde…

      Ich kann nicht sagen, ob es Halluzinationen gewesen waren oder ob ich schlicht und einfach gepennt und nur irgendwas geträumt hatte. Vielleicht war das eine Auge wach, das andere nicht. Die aufgemalte Zahl mit einer Eins und sechs folgenden Nullen füllte mich aus und kreiste in meinem Kopf herum wie ein Helikopter, der einen Vermissten suchte! Nur dieses Wort, Erfüllung und Vision, eine Million.

      Obwohl es noch stockfinster gewesen war, vielleicht noch nicht einmal ein richtiger Morgen, dieses Erwachen war zum zweifellosen Anfang einer völlig anderen Welt für mich geworden, der Welt eines neugeborenen Millionärs. Die Zweifel und Ängste der vorausgegangenen Stunden hatten sich in der Finsternis meines Blackouts aufgelöst, möglicherweise zusammen mit dem Inhalt der leeren Bierflaschen. Dafür war ich plötzlich nur noch besessen davon gewesen, mir diesen Geldscheinberg bildlich vorzustellen. Im Nachhinein betrachtet war es natürlich schon ziemlich gewagt, es hätte auch genauso gut deutlich weniger sein können. Aber diese Million hatte sich irgendwie festgefressen in meiner gutgläubigen Vorstellung und von cooler Nüchternheit war ich in diesem Moment megaweit entfernt gewesen. Dafür sah ich die Geldscheine wie einen Teppich vor mir liegen, Schein für Schein. Wie viele werden es wohl sein? Es müssten zehntausend Hunderter sein, oder? Wie hoch wäre der Turm, wenn ich die Scheine aufstapeln würde oder wie lange die Strecke, wenn ich sie nacheinander in eine Reihe legen würde? Völlig blöde Fragen, die überhaupt keine Rolle spielten, außer in meiner Fantasie und Vorstellungskraft, die absolut überfordert war. Viel eher war die Frage berechtigt, wie ich das alles transportieren sollte, ein Reisekoffer, oder zwei Aktenkoffer? Wie schwer ist eine Million in Banknoten? Konnte ich meinen Gewinn überhaupt so einfach durch die Stadt und dann in meine Wohnung schleppen? Brauche ich einen Bodyguard, einen Tresor und eine Alarmanlage?

      Auch wenn mein Verhältnis zum Geld bisher so wie das vom Teufel zum Weihwasser war, also nichts anderes als ein notorischer Pleitegeier, so hatte ich in meinem Leben wirklich mal Geld. Mein Opa Max hatte es für mich gespart, Monat für Monat, und das mit seiner kleinen Rente. Er hat mir immer die Stange gehalten, egal was ich auch ausgefressen hatte. Und wenn ich zufällig mal das Wort Familie in den Mund nehme, dann meine ich genaugenommen nur meinen Opa.

      Als Oma Luise gestorben war, waren fast alle seine Ersparnisse in der Apotheke für sie aufgebraucht gewesen. Sein bester Freund war der Fernseher und mit meiner Mutter wollte er -ebenso wie ich- nichts mehr zu tun haben, nachdem mich mein Stiefvater, dieser Arsch mit zwei Ohren, mit Achtzehn vor die Haustüre des Elternnestes gesetzt hatte. Dann ist er mit mir zur Bank um die Ecke gegangen und hat mir seine letzten Ersparnisse, von denen ich mir locker einen Kleinwagen hätte kaufen können, kommentarlos gegeben. Aber, wie hat es auch anders kommen können, ich war einfach zu blöd um zu gewinnen. Nach einer durchzechten Nacht, meinem ersten Vollrausch und einem verfluchten Scheiß-Kartenspiel, das nicht umsonst Black Jack heißt, war das ganze Opa-Geld beim Teufel. Doch selbst das hat er mir einfach verziehen, als ich ein paar Tage später bei ihm aufgekreuzt bin und eine vollständige Beichte abgelegt hatte.

      Danach habe ich sogar eine Zeit bei ihm gewohnt. Aber Opa Steinalt war auch genau so alt wie er hieß und als er an einem schlachthofgrauen Montag seine Augen für immer geschlossen hatte, ist mir außer seinem uralten Golf und die Erinnerung an einen wertvollen Menschen nichts von ihm geblieben. Mein Großvater, mein Freund und der einzige, der den Begriff Familie verdiente. Traurig ja, sehr traurig. In diesem Augenblick musste ich an ihn denken, guter alter Max.

      6-Freiheit-

      Das Weckerläuten beendete meine melancholischen Gedanken abrupt. An diesem Montagmorgen war es überflüssig gewesen, eine gefühlte Halbewigkeit lang schon jagten die Gedanken wie ein Drehkreuz durch meinen Kopf und warfen ständig neue Fragen auf. Aber eine Antwort war mir klar gewesen, ohne dass ich eine Mücke nachdenken musste: Duschen, Zähneputzen, Anziehen, einen Happen zum Früh … nein, null Appetit … aber mich in meine alte Klapperkiste setzen -bei der der TüV seit drei Monaten abgelaufen war- und in der Tankstelle zu meiner Tagesschicht erscheinen, nein. Nie mehr, höre ich mich noch selbst zu mir sagen. Warum sollte ich?

      Der Spruch fühlte sich verflucht geil an. „Nie mehr!“ Ich bin vor dem Spieglein-Spieglein-an-der-Wand-wer-geht-nicht-mehr-zur-Arbeit-im-ganzen-Land gestanden und habe es immer wieder wiederholt, bis ich lauthals lachen musste.

      So wie mein letzter Job, waren auch die meisten meiner ganzen anderen alles andere als zum Lachen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie noch alle aufzählen könnte. Es waren zu viele und zu miserable Mistjobs für weniger als einen Hungerlohn. Mein Traum, Polizist zu werden, hatte sich ziemlich schnell zerschlagen. Zuerst war ich noch zu jung und dann machte mir das polizeiliche Führungszeugnis einen Strich durch die Polizeikarriere. Mein anderer Wunsch-Job als Kranfahrer war aufgrund meiner Höhenangst auch eher ungünstig, und die Bewerbung als Taxifahrer hatte mir meine Rest-Alkohol-Fahne versaut. Das einzige was mir also blieb, waren karrierefreie Aushilfsjobs als Autowäscher, Zeitungsausträger, Essen-auf-Rädern-Fahrer, Backwaren-Zusteller und was weiß ich noch. Sogar in einem Tierpark habe ich als aushilfsweise als Tiermistwegschaufler geschuftet. Die Ausnahme davon waren ein paar wenige seriöse Arbeitsverhältnisse, die ich länger als eine Bundesliga-Saison durchgehalten habe, als Bierausfahrer, bei der Post und zuletzt den Job an der Tankstellenkasse.

      Nun war all dieser ganze Mist nur noch unrühmliche Vergangenheit und wenn ich noch so etwas wie ein Highlight als Erinnerung behalten wollte, dann war es die Zeit bei der Firma mit dem gelben Posthorn. Vielleicht der einzige bescheidene Höhepunkt meiner beruflichen Laufbahn. Aber leider hatte mein kleiner Glücksstern mit dem hoffnungsvollen Aufdruck „Krisensicherheit“ nur kurz geleuchtet, und schon warf das modern gewordene Managerwort „Umstrukturierung“ meinen Stern wieder aus der Umlaufbahn und mich auf die Straße der Arbeitslosigkeit. Bravo, da war ich wieder, Personaleinsparung sei Dank. Die Tankstelle und ihr unfähiger Chef haben schon auf der nächsten Ausfahrt auf mich gewartet.

      Ich erinnere mich, wie ich im Glücksrausch vor dem Spiegel gestanden bin in einem euphorischen Anflug von Begeisterung, meinem Brötchengeber und meinen Tankstellen-Kollegen gegenüber endlich ohne Wenn und Aber die Meinungs-Sau rauslassen zu können.

      Mein Chef Bleifrei, dieser fette, ständig meckernde cholerische Stacheldraht-Deutsche, der nie ein anerkennendes Wort über seine Lippen gebracht hat, als ob ein Lob so etwas wie eine unheilbare Krankheit wäre; Otto Pappenheimer, ein Vollidiot höchsten Grades, fühlte sich als Boss Nummer zwei, dabei machte er nur den Einsatzplan und das ziemlich beschissen. Seltsamerweise blieben dabei für mich nur die Arschkarten-Zeiten übrig, was bedeutete, Sonntage, Feiertage und Nachtschichten und damit genau da, wo die Wahrscheinlichkeit am höchsten war, dass dir mal einer die Pistole vor die Birne hält. Oder die Biggi Zicke. Ständig musste ich für diese vegane Bohnenstange einspringen, weil sie mit dem zugelaufenen Hinterhof-Kater der Skat-Freundin ihrer Stiefmutter ständig zum Tierarzt musste. Mal, weil er ein Gummibärchen verschluckt hatte, mal wegen einem plötzlichen Verdacht auf eine Katzenfutter-Unverträglichkeit. Und dann gab es noch das neongrünhaarige Azubinchen des Tankshop-Ladens. Es war nicht so tragisch, dass sie mehr Zeit mit dem Hin- und Herwischen auf ihrem Handy beschäftigt war, als mit dem Befüllen des Warensortiments. Aber als Enkeltochter des Vorgesetzten musste man vor Paulinchen Petze immer auf der Hut sein. Alle drei hatten eines gemeinsam, sie sind dem Chef,