Hugo Berger

Steinreich


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hätte.

      Was soll`s. Dank meiner zweiten Lebens-Vernunftsphase habe ich die Arschbacken zusammengekniffen und das alles über mich ergehen lassen. Wenigstens konnte ich so meine Miete und die Stromrechnung bezahlen, den Lottoschein und ab und zu ein Pornoheft. Vor allem aber hatte ich damit wenigstens ein Stückchen Regelmäßigkeit in mein chaotisches Leben gebracht. Und Chefs, es gab auch schlimmere.

      Altes Leben, das war nun plötzlich wie kalter Kaffee gewesen. Der Rückblick in dieses Arme-Sau-Dasein hatte mir ein nochmaliges -Nie mehr- entlockt und das Gesicht im Spiegel grinste mich immer noch hämisch an. Ein wohltuendes Gefühl von Überlegenheit und Genugtuung war in mein Hirn gekrochen und hatte dort nach einem filmreifen Text gesucht, den ich ihnen ins Gesicht spucken wollte, wie übelriechende schleimige Galle. Genau das war die unangefochtene Nummer Eins auf meiner Hitliste der Wünsche.

      Es brauchte dazu nur noch einen kurzen alkoholhaltigen Muntermacher und ein bisschen Übung, bevor ich ins Telefon lallen wollte. Klar, dass der Abgang professionell werden sollte, das war die ultimative Gelegenheit, die Revanche meines Lebens für den ganzen Scheiß und diesmal war ich nicht der Looser.

      Irgendwo mussten noch spärliche Reste von angebrochenen Schnapsflaschen im Durcheinander meiner vorangegangenen Suchaktion gewesen sein. Prost, ich trank auf mein neues Leben und dann war dieser Text wie auf Befehl in meinem Kopf gekommen: „Hallo Bleifrei, ich habe heute keinen Bock … und morgen auch nicht. Im Übrigen kannst du dir deine Tanke mitsamt deinen Zapfsäulen in den Arsch stecken, wenn du zwischen dem Pappenheimer, deinem Paulinchen und der Biggi noch einen Platz findest. Aber dein Arsch ist ja groß genug, da hat sogar dein bisschen Hirn noch Platz…“

      Am liebsten hätte ich es gleich aufgeschrieben, das war eine starke Ansage. In Zukunft sollte das mein Umgangston für all die Leute werden, die mich angepisst haben. Ich war mir so sicher gewesen, dass nun alles anders werden würde und ich wusste, dass ich ab sofort einen neuen Job hatte und dieser Job hieß Freiheit. Meine Flügel begannen zu wachsen.

      Genau in diesem wunderbaren Moment der Erkenntnis, den ich gerne eine weitere Viertel-Ewigkeit ausgekostet hätte, läutete das Telefon. Ich war nicht erbaut gewesen, die Telefon-Nummer kannte ich nur zu gut, es war der Pappenheimer…

      Wenn ich in diesem glückseligen Augenblick Bilanz über mein bisheriges Leben, mit all den tragischen Unglücksmomenten gezogen hätte, dann wäre es arschklar gewesen, dass alles, was bisher gewesen war, keinen Sinn gehabt hatte. Ich war nichts anderes als der allerkleinste Fisch am Ende der Nahrungskette, bestenfalls noch ein bedauernswerter Goldfisch im runden Fünfliter-Glas. Eigentlich war es mehr als ein Wunder, dass ich nie aufgegeben habe, bis auf das eine Mal, wo ich wirklich kurz vor der Kante zum over-and-out gestanden bin.

      Nun aber war das ganz anders und zwar ziemlich oder, genauer gesagt, völlig anders. Ich hatte immer diesen alten Spruch im Ohr gehabt -das Glück liegt auf der Straße-! Nun wusste ich, dass das absoluter Quatsch war. In Wahrheit liegt das Glück nämlich in der Luft, eine Luft die ich bisher nicht schnuppern durfte oder konnte. Dabei bin ich nicht der Einzige, viele können das nicht, weil sie in ihrer eigenen Co2-Blase aus Ängsten und schlechten Erfahrungen eingeschlossen sind und nichts von dem mitbekommen wollen, was sich außen herum abspielt. Wow, je mehr ich trank, desto mehr tat sich die Welt der Philosophie auf. Mein Weltbild war dabei, sich in eine fremdartige Galaxie zu verwandeln, Prost. Es war mir egal, es war schon ausreichend, dass meine Welt nun ein neues Gesicht bekommen würde, ein ziemlich luxuriöses. Genau diese Welt würde mir künftig zu Füssen liegen wie die Frauen soweit das Auge und die Kohle reichte.

      Hätte ich den Pappenheimer zurückrufen sollen? Nein, es war nicht nötig gewesen, nicht sofort, weder den Pappenheimer noch weniger den Bleifrei. Ich wollte den Text noch üben, davor und dazu noch ein oder mehrere Schlückchen schlürfen; die Ansage sollte schließlich so flüssig und souverän von meiner Zunge rollen, dass ihm die Klappe offenblieb. Vielleicht machte ich es später, es war noch viel zu früh am Morgen. Und überhaupt kam ich mir dabei echt cool vor, dieses blöde Mülltütengesicht mit einem Matterhorn von Nase zappeln zu lassen, ehrlich. Mein Vorsatz war, ab sofort nur noch so zu cool sein, ich hatte ja schließlich eine Million Gründe dazu …

      Weder ein Wunder noch ein Geheimnis, ich hatte nie die Pole-Position bei der Hasenjagd gehabt und vom letzten Startplatz war es echt unmöglich, ein Rennen zu gewinnen. Kurz, meine sexuellen Erfahrungen konnte ich an einer Hand abzählen und dazu brauchte ich nicht einmal alle Finger.

      Die Bettina, die Nicki und die Strapsi waren die einzigen gewesen, auf deren feuchten Wiesen sich mein stürmischer Hengst in der Hose austoben durfte. Für die Gupi habe ich mich, ehrlich gesagt, immer geschämt, obwohl sie mir jahrelang treue Dienste geleistet hat. Dazu bin ich auch noch ein richtiger Spätzünder gewesen. Es hat gedauert, bis sich in meiner Hose etwas zu bewegen begonnen hat und ich dann endlich den interessanten Unterschied bei den Mädchen begriffen hatte.

      Angela oder lieber Strapsi, sie war mein ein und alles, genaugenommen ist und war sie meine heimliche Traumfrau, meine pretty woman. Ein absolut heißes Mädchen. Allein ihre Beine waren der Oberwahnsinn. Sie hatte die Oberschenkel unter ihrem Röckchen bis zum Ansatz ihres schwarzen Höschens vollgeschrieben, wenn wir eine Schularbeit hatten. Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen, sie ist eine Schulbank neben mir gesessen. Am Ende unserer Schulzeit war sie ausnahmslos der Schwarm aller Jungs. Und ich? Ich war nicht pummelig, nicht hässlich, auch nicht irgendwie abstoßend, sondern ganz normal und nett, vor allem zu den Mädchen und bestand aus knappen einsachtzig Schüchternheit. Ob mir das gefiel oder nicht, aber damit schon als Teenager auf der Looser-Spur.

      Der Pappenheimer ließ nicht locker, das Telefon läutete ein zweites Mal. Es nervte. Nein, ich täuschte mich, diesmal war es sogar der Bleifrei persönlich, der es wohl nicht gewohnt war, dass ich nicht zur Arbeit erschienen war. Der Typ konnte nicht ahnen, wie gewaltig mir das Telefonläuten auf die Eier ging. Meine Gedanken waren ganz woanders. Er würde sich wohl noch gedulden müssen, dieser blöde Sack, bis ich Lust hätte, ihm mein nettes Verschen aufzusagen. Von mir aus konnte er sich seine ungepflegten Wurstfinger wundtelefonieren. Die Erinnerungen an die Mädchengeschichten und meine alkoholhaltigen Erinnerungsbeschleuniger machten mich zunehmend entspannter.

      Fix hatte es eingefädelt. Es war an ihrem 17. Geburtstag. Er hat mich mit zu Angela geschleppt, sie hatte sturmfreie Bude und gab eine Party. Sie nannte sich jetzt nicht mehr Angela, sondern nannte sich Angelina-Julia und stand nur noch auf den Kinostreifen „Pretty Woman“ mit Julia Roberts. Ihr erklärtes Ziel war eine Karriere als Filmschauspielerin und ihr Verhalten ließ keinen Zweifel daran, dass sie es ernst damit meinte. Die Party hatte also viel mehr zu bieten, als harmlose Soft-Drinks, Flaschendrehen und knutschen. Es war Nebensache, dass ein paar andere aus unserer Schule da waren, denn die eindeutige Hauptrolle an diesem Abend hatte Angela. Sie war die Überraschung des Abends mit einem profihaften Strip in den roten Strapsen ihrer Mutter, der sich gewaschen hatte. Sie hatte kein Problem damit, dass sie danach nur noch Strapsi genannt wurde.

      Irgendwann an diesem besagten Abend saß ich neben ihr auf der bequemen Couch und beinahe wäre es mein erstes Mal gewesen … aber das Karma meinte es nicht gut mit dem kleinen Teufel in meiner engen Hose. Ich hätte meine Hände nur dazu benützen müssen, an ihr herum zu fummeln, wenn ich nicht so schüchtern gewesen wäre. Als Trostpflaster haben wir uns am nächsten Abend ins Kino verabredet. Dumm und unerfahren konnte oder wollte ich allerdings nicht wissen, dass nicht nur ich ein Auge auf dieses Biest geworfen hatte.

      Meine auf den Kopf gestellte Bude sah echt krass aus, mein optisches Äußeres vermutlich auch nicht viel besser. Sah so ein frischgebackener Millionär aus? Ungepflegt, ungewaschen, seit mehr als vierundzwanzig Stunden in den gleichen Klamotten, der seit einer erfolgreichen Suchaktion nach der verdammten Lottoquittung nicht in der Lage war, auch nur den kleinen Finger zu rühren? Die Szene muss ein beschämendes Bild abgegeben haben, es kümmerte mich nicht. Vor mir sah ich die Vision eines Zukunfts-Lebens ohne Regeln, ohne Uhrzeit, ohne Verpflichtungen. Ab jetzt würde ich Essen gehen, wann ich Hunger hatte, Pennen, wenn ich müde war, Ausgehen, wenn ich