Hugo Berger

Steinreich


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genau das machen, was ich will und nichts anderes.

      Meine Vision war so real, dass ich es kaum erwarten konnte, endlich ihr Innenleben in Besitz zu nehmen, mich in das schicke Leder zu zwängen und meine Finger blind tastend über die Instrumente gleiten zu lassen. Und wenn schon, es war eine geniale Vorstellung.

      Ich musste dabei sogar an die Weissviel aus der Nachbarwohnung denken, wie sie vor Neugier hinter den zugezogenen Gardinen aus den viel zu engen Klamotten platzten würde, wenn ich mit meiner neuen Eroberung dort aufkreuzen würde. Sie hätte sich ihr Zahnprothesen-Mundwerk zerreißen können wie sie wollte, von mir hätte diese Kanaille kein Sterbenswörtchen erfahren, gar nichts.

      Und warum eigentlich nur ein Biest? Ich konnte mir auch zwei davon leisten, ein rotes und ein schwarzes. Die Zeiten, in denen ich meinen Kontoauszug am liebsten im Dunkeln angesehen habe, waren zum Glück vorbei. Jetzt, wo ich achtzehn Millionen Möglichkeiten hatte, waren das nur Peanuts. Benebelt und schwindelig vor Begeisterung an einer jungfräulichen PS-Schönheit auf vier zweihundertfünfziger Pirelli-Breitreifen mit einem Make-up aus Chrom und handpoliertem Hochglanzlack schwebte ich im siebten Porsche-Himmel und sah mich eine Vollgas-Runde auf dem Nürburgring drehen.

      Die einen behaupten zwar, Autos seien ganz böse, und doch musste ich zugeben, dass ich die Welt erst später retten wollte. Gerade, weil ich ein ganzes Leben lang damit zu tun hatte, mich selbst zu retten. Das Leben war ziemlich gemein zu mir und mit mir gewesen. Und ich hatte nie etwas, was man auch nur annähernd als Auto bezeichnen konnte. All die Schrottkübel, die ich völlig unangebracht als Fahrzeug bezeichnete, hatten unter dem Gaspedal meines rechten Fußes kein langes Auto-Leben. Stopp, ein einziges war beinahe neu gewesen, als ich es geleast hatte. Leider hatte das keinen Unterschied gemacht und letztendlich erlitt mein BMW das gleiche Crash-Schicksal wie alle seine Vor- und Nachgänger. Aber das war jetzt anders, und wenn nicht, dann stellte das nun auch kein Problem mehr dar. Geld spielte ja keine Rolle mehr.

      Abgesehen von meinen eventuellen fahrtechnischen Unwägbarkeiten war die lange Serie meiner stuntreifen Verkehrsunfälle ein echtes Paradebespiel für mein Scheißpech gewesen, das mich jeden einzelnen verdammten Fahrkilometer wie eine Seuche verfolgte, seit ich Autofahrer geworden war. Die einzige ungewollte Einschränkung im Dauerpech dabei war, dass ich jeden einzelnen Crash ohne Krankenhausaufenthalt überstand. Okay ich einigte mich mit mir selber dann auf vorsichtiges Glück im Unglück.

      Unvorstellbar, dass der ganze Mist meiner Schlamasselmeier-Laufbahn unwiderruflich hinter mir lag und ich stattdessen in einer imaginären Wolke der Leichtigkeit wie eine Feder dahinschwebte. Wie in Watte gepackt und eingehüllt in ein sphärisches Irgendwas, das sich wie ein flauschiger Bademantel anfühlte, war ich drauf und dran, mich an dieses himmlische Gefühl zu gewöhnen. Ja, ich konnte es nicht treffender ausdrücken, als himmlisch. So himmlisch, als würde ich wie ein Adler über mir selbst kreisen, erfüllt von einem irrsinnigen Gefühl von Freiheit, über mir nur ein helles Licht, das mich wärmte. Alle meine Ängste dagegen waren verschwunden.

      Die Hängematte war mein Wolkenbett. Sollte ich überhaupt noch einmal aufstehen oder mich in aller Ewigkeit der Welt dahintreiben lassen? Im Moment schien es so, als könnte ich das mit einem immerwährenden Lächeln im Gesicht tun. Und doch gab es Achtzehn Millionen Gründe, es nicht zu tun.

      Unaufgefordert schob sich plötzlich die Bleifrei-Visage in meine Erinnerung. Nicht mit dem Drang ihn anzurufen und mein Sprüchlein aufzusagen. Nein, das war nicht mehr erforderlich. Wenn ich es getan hätte, dann nur, um ihn wissen zu lassen, dass ich seinen mickrigen Tankladen kaufen wollte um ihn plattmachen zu lassen und ihn mit-samt seinen unfähigen Bediensteten in die Wüste zum Sandsackfüllen zu schicken. Zum Glück löste sich das unschöne Bleifreigesicht so schnell in der Helligkeit auf, wie es gekommen war.

      10-Traumurlaub-

      Meine Visionen wollten nicht am selben Ort verharren, sie zogen eine Station weiter. Es gab ohnehin keinerlei Grenzen in der Freiheit meiner Hängematte der Träume, nur eine unübersehbare Anzahl an Möglichkeiten. Die Vorstellung, in dieser baumelnden Liegestatt Reiseziele per Fingerschnipp auszuwählen, war atemberaubend. Und was sind schon Länder oder Kontinente, oder was heißt schon Insel-hopping für ein Multimillionär, so wie ich jetzt einer war.

      Bis vor kurzem bin ich immer an den Reisebüros mit der sicheren Gewissheit vorbeigegangen, dass ich all diese abgebildeten hochglanzblauen Poollandschaften in den Urlaubsparadiesen dieser schönen Erde nie im Leben sehen werde. Und jetzt? Nun hatte ich die Qual der Wahl, echt Scheiße. Aber ich liebte diese Art von Scheiße. Und ich liebte nicht nur diesen geilen roten Porsche, den ich mir anschaffen wollte, nein, ich liebte nun auch Reisebüros. Besonders dann, wenn es absolut keine Rolle spielte, was der Trip kostete. Und noch um ein ganz besonderes Stück mehr, wenn die Reisebürotante nett gekleidet war, etwa mit einem enganliegenden Kleidchen, möglichst kurz, ein passendes Oberteil dazu mit Ausschnitt mit Aussicht, die ganz exklusiv für mich ein Traumpaket mit allem drum und dran zusammenschnürte. Kaum dachte ich an die Reisefrau meiner Träume, waren meine sündhaften Gedanken unweigerlich wieder bei Strapsi gelandet, auch wenn sie noch so ein Miststück war, sie ließ mich nicht los. Egal, es würde bald viele Strapsis für mich geben, vielleicht eine in jedem Land, das ich bereisen werde, und das sollten nicht zu wenige werden.

      Für einen kurzen störenden Moment mischten sich ein paar unschöne Erinnerungen wie ein kleines graues Wölkchen in meine Hängematten-Visionen.

      Der Rausschmiss aus dem Elternnest. Ich war genau achtzehn, als mein Herr Stiefvater mich vor die Türe gesetzt hatte. Der Tag, an dem ich vergeblich auf Strapsi vor dem Kino gewartet habe und der andere Tag, an dem sie mich zum zweiten Mal sitzen ließ, weil dieser Mistkerl namens Fix sie mir ein zweites Mal ausgespannt hatte, die Serie meiner Auto-Unfallfahrten wie am Fließband, meine Verzweiflungsfahrt mit dem geleasten Fahrzeug, die erst am Baum ziemlich abrupt zu Ende war, der Verlust meines Führerscheins und die meisten meiner Jobs, die ich verloren hatte, das verfluchte Ding mit dem Kartenspielen und meine dazugehörenden Spielschulden, die Beinahe-Abfackelung meiner armseligen Wohnung, bei der ich wenigstens meine Haut und meinen Arsch retten konnte und zuletzt meine erfolglose Entziehungskur, die in meiner kurzen Vagabunden-Phase endete. Aber bald verschwand der Schlechte-Gedanken-Streifzug durch meine beschissene Vergangenheit wie von selbst. Die laue Pinacolada-Atmosphäre gewann wieder die Oberhand in meinem Oberstübchen und die Bleifreis, die Paulichens, der Stief-Willi und all die anderen Menschen, die es nicht gut mit mir gemeint hatten, vernebelten sich von selbst in der karibischen Luft.

      Das traumhafte Gefühl vom vollkommenen Glück in einer baumelnden Hängematte war wieder zurückgekommen. Ich konnte sogar den visionären Sand fühlen, wie er durch meine Finger lief wie durch ein feines Sieb. Immer wieder spreizte ich meine Finger, um eine Vorstellung davon zu haben und dabei zusehen zu können. Wenn jeder Cent meines Megagewinnes ein Sandkorn wäre, würde es wohl reichen für eine eigene Sanddüne? Eigentlich völlig egal. Achtzehn Millionen, so oder so, es war eine gewaltige Menge Kies.

      Angenommen, ich würde mit meinen angefangenen vierzig Jahren das Geld innerhalb der nächsten vierzig Jahren aufbrauchen wollen, dann könnte ich jedes Jahr eine knappe halbe Million davon ausgeben, also rund vierzigtausend Mäuse pro Monat, und umgerechnet mehr als eintausend an jedem einzelnen Tag meines Lebens. Das würde ich nie schaffen.

      Ich gestehe es ein. Ich habe es einfach nie in meinen Kopf bekommen, warum die Mädels hysterisch beim Shopping-queen-Shoppen ausflippen, warum sie kreischend im Schuhladen einfallen und Schuhe sammeln, wie wir als Jungs Briefmarken gesammelt haben und warum sie dann glückserfüllt mit fünf Taschen an jeder Hand die Innenstadt verlassen, als ob sie gerade ein date mit dem lieben Gott erlebt hätten -cooler Typ übrigens-. Und nun bin ich selbst in akuter Gefahr, mir diesen Kaufrausch-Virus einfangen, ohne dass ich einen einzigen Schritt in den Bauch eines Edel-Herrenausstatters riskiert hatte.

      Allein die Vorstellung an Markenhemden, -hosen, Gürtel, Jacken, Schuhe in Hülle und Fülle, wollte mich fast aus der kommoden Hängematte vertreiben. Nix mehr mit Angebotsware aus dem wöchentlichen Aldi-Prospekt oder vom Flohmarkt. Das war vorbei. Mein Gedanke galt