Paul Stefan Wolff

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gepolstert ist.

      Als ich wieder hochgehe und auf dem Balkon eine rauche, schmeckt die Zigarette nach Schweiß. Ich lasse mir ein Bad ein und als ich ins warme Wasser steige, ärgere ich mich nicht weiter darüber, dass mir die Knie auf einmal sehr nahe stehen. Was soll’s, ich weiß, ich hätte keine meiner fünf Freundinnen gekriegt, wenn ich fünf Zentimeter kleiner wäre. Na gut, ich hätte mindestens vier mehr kriegen können, wenn ich Nichtraucher wäre, aber ich bin’s nun mal nicht.

      Ich lenke mich ab und denke wieder an Katrin. Ich habe sie gefragt, wie sie es aushalte. Sie hat mir die Geschichte von den Namensvettern erzählt. Es gab einen Namensvettern-Club in Deutschland bis weit in die 90er hinein. Sie haben Namen wie Rudolf Hess, Heinrich Himmler und sogar Adolf Hitler. Sie sind alle sehr alt. Und sie alle hatten zig Jahre mit demselben Problem zu kämpfen. Ich würde nicht mit einem solchen Namen nach Frankreich in Urlaub fahren. Und die Frauen erst. Welche Frau hat die Stärke, ihrer Familie zu sagen, sie werde eine Himmler, Frau von Heinrich Himmler? Aber dieser Club war sich darin einig, dass der Name den Menschen nicht macht. Es geht um Stolz im positivsten Sinn, es geht um die Achtung vor sich selbst. Ich habe sie verstanden und leider liebt sie mich deswegen noch mehr.

      Als Hannah am Mittag wiederkommt, sagt sie mir, dass sie mit mir zum Strand gehen wird. Eine wunderbare Nachricht, wäre da nicht... Was mache ich jetzt?

      Meine Hände zittern, als ich sie eincreme, ich wünsche mir eine Kippe, aber ich habe sie daheim gelassen, was Teil des Plans ist, denn ich fingiere Bauchschmerzen. Sie geht ins Wasser, ich höre einer Deutschen zu, die ihrer Freundin erzählt, dass sie dies und jenes an ihrem Freund nicht versteht. Die Wellen plätschern an den Felsstrand, das Meer auf Gozo beruhigt ungemein, ich könnte einen halben Tag lang in den ebenen Wasserhorizont schauen, einfach nur schauen und die Ruhe einatmen.

      So weit kommt es nicht, wir gehen bereits nach zwei Stunden, weil Wind aufkommt, der Weg, dicht am Wasser, ist nass, ich beobachte ihren wunderschönen Rücken, rutsche aus und falle ins Wasser. Ich lasse die Sachen los und kämpfe um mein Leben. Eine Welle braust über mich hinweg und erstickt einen Hilfeschrei. Sie ruft mir zu, dass ich doch zum Ufer schwimmen soll, eine weitere Welle erstickt jedoch meine Antwort. Sie sieht meine hilflosen Versuche, springt ins Wasser und zieht mich an der Hand zum Ufer. Ich huste ein paar Mal das Salzwasser aus meiner Lunge, ich wische mich ab und sie fragt mich, warum ich denn mit ihr nach Gozo gefahren sei, wenn nicht schwimmen könne. „Weil ich wollte, dass du glücklich bist“, antworte ich. Sie zieht mich zu sich, sie küsst mich auf den Mund und ich weiß schlagartig, womit ich meine Nikotinsucht bekämpfen kann.

      Wir küssen uns. Am Ende sind er drei Küsse und die Zigarette schmeckt nach ihr. Am Abend gehen wir essen und ich erzähle begeistert von ihren wundervollen Küssen. Sie schweigt. Beim Spaghetti Gozitana sagt sie mir, dass das vorhin nur spontan war, dass ich doch wisse, wie es um ihre Gefühle stehe und dass es ihr leid täte. Ich drehe an den Spaghetti und sage, dass sich solche Dinge ändern könnten. Sie sagt, dass wir uns jetzt fünf Monate kennen und sie wisse, dass sie sich nicht in mich verlieben werde. Ich drehe an den Spaghetti und sage, „Sag niemals nie!“ Sie sieht mich mit ihren wunderschönen brillantschwarzen Augen an und sagt einfach nur sanft meinen Namen. Ich höre auf, an den Spaghetti zu drehen, sehe mir den Riesen-Batzen an und frage mich, wie ich das alles schlucken soll.

      Sie ist ins Bett, ich sitze an der Bar und rede mit der Bedienung. Ich war selber mal Nachtportier, wir Hotelpersonal verstehen uns. Wenn man auf Malta mit Erwachsenen reden will, ist es ratsam, einen Christen zu fingieren; die sind hier sehr gläubig. Ich muss mich nicht verstellen, ich glaube auch. Gott ist groß und heute hat er mir mit seiner gesamten Machtfülle die Fresse eingeschlagen. Als ich auf den Balkon gehe, schmeckt die Zigarette nach gar nichts.

      Ich habe Katrin vor zwei Wochen gesagt, dass es nun genug sei, sie solle sich in jemanden verlieben, der sie auch liebt. Da hat sie mit einem Spruch über den Kommunismus geantwortet: Es ist leicht für den Kommunismus zu sterben, aber schwer, ihn zu leben. Es ist leicht, sich nach einer Abfuhr abzuwenden, es ist schwer, die Liebe, so wie sie eigentlich gemeint ist, zu leben. Obschon sie Recht hatte, widersprach ich; so einfach ist das Abwenden auch nicht.

      Sechster Tag. Ich habe wundervoll geschlafen, ich träumte, ich war Hägar und wir zogen mit dem Drachenboot aus, um Deutschland auszurauben. An den Rudern Lucky Luke, die Daltons, die Peanuts, das Dorf von Asterix und Obelix und halb Entenhausen. Ich gehe zur Reling, breite meine Arme aus und schreie so laut ich kann: „Ich bin der König! Der König der Versager!“

      Ich will das Rauchen nicht mehr bekämpfen, ich will mein Leben bekämpfen. Ich hatte die Schwimmabsicht gut fingiert, ich habe ihr erzählt, dass ich schnorchle und mir sogar eine Brille gekauft. Jetzt beschließe ich, doch schnorcheln zu gehen. Von meinem letzten Geld kaufe ich eine Matratze, gehe zum Strand, blase sie auf und lasse sie zu Wasser gleiten. Mein Herz schlägt bis zum Hals, jetzt spüre ich keinen Schmerz mehr, jetzt spüre ich nur noch Angst. Ich spucke in die Brille und verteile sie gleichmäßig. Ich hatte mein Fingieren gut vorbereitet, ich habe mir sagen lassen, dass man gegen das Beschlagen innen Spucke auftragen muss. Ein paar Mal atme ich durch den Schnorchel, dann gehe ich in die Knie und lege mich quer auf die Matratze.

      Die Brille setzt im Wasser auf und ich japse nach Luft. Ich habe gehört, dass man in der Bauchlage ruhiger atmet, das nutzen die Apnoe-Taucher aus. Aber mein Atem beruhigt sich nicht, ich bin immer noch aufgeregt. Ich sehe den Grund, die Wellenkämme teilen die Strahlen in einzelne goldene Fäden, die den Boden erhellen. Die Wellen um meinen Kopf herum blubbern aufgeregt, die Gräser am Boden rührt das kaum. Unten in der Tiefe findet Ruhe statt und ich verstehe zum ersten Mal das Bild der Seele.

      In tiefem Staunen versunken betrachte ich atemlos den Boden, jetzt atme ich tief und ruhig.

      Ich sehe in zwanzig Zentimeter Entfernung eine Ansammlung gelb-schwarz-gestreifter Fische, die sich in einer flach-aufrechten Rautenanordnung treiben lassen und verstehe Hannahs Begriff von „Tapetenfischen“. Ich paddle etwas weiter auf etwas Weißes zu und es ist eine wunderschöne, durchsichtige Qualle, die so elegant und anmutig im Wasser treibt, wie es sonst nur Frauen im Auge verliebter Männer tun; einfach herrlich. Ein Schwarm winziger brauner Fische schwimmt auf mich zu und ich gluckse vor Begeisterung. Ein besonders Neugieriger schwimmt noch näher auf mich zu und sieht mich von der Seite an. Er ist so wunderschön… Hannah, sage ich zu dem Fisch, ich verstehe. Du kannst gehen, ich lasse Dich ziehen. Ich werde von nun an wieder die große Liebe suchen und ich werde sie finden. Ich rauche eine und überdenke meinen Master-Plan. Ich werde mein Programmierer-Dasein aufgeben und ein Studium anfangen.

      Mit dieser Erinnerung und dieser Entscheidung im Bauch gehe ich ins Hotel, ich packe die Sachen und wir werden vom Taxifahrer abgeholt. Der Fahrer erzählt, dass es auf Malta ca. 40 Ferraris gibt, die zwar nicht regelmäßig, weil es die Straßen nicht zulassen; aber zum Vorzeigen des Reichtums herumkutschiert werden. Wir haben Radio gehört und es kam Ronan Keating „If tomorrow never comes“. Ich habe mitgesummt; „Falls der Morgen niemals kommt, wird sie nie wissen, wie sehr ich sie geliebt habe.“ Und dann auf einmal summte der Fahrer mit und ich habe schlagartig aufgehört. Mir wurde klar, das ist der allerletzte Tag der Weltgeschichte, den ich ganz mit ihr verbringen werde. Ich habe mich nie zuvor so einsam gefühlt.

      Ich dachte, meine Seele wäre wie die Alpen, jetzt aber war sie nur noch wie das winzige Schnitzel – und sie isst kein Fleisch. Ich dachte, meine Liebe wäre eine Befreiung, aber es war nur eine Utopie.

      Im Flugzeug sehe ich wieder nach unten. Sehe Menschen, sehe Sorgen, sehe Ängste, sehe Liebeskummer. Sehe Menschen wie ich, die nicht aufhören können zu denken. Immer wieder zu wälzen und ich will nie wieder herunterkommen.

      Daheim habe ich mir eine Knolle Ingwer gekauft. Mit schmeckt das Zeug nicht. Ich bin auch nicht wirklich der Meinung, dass man zu 100 Prozent das gleiche essen muss wie der Partner. Meine Zöliakie-Ex, die mit der Gluten-Unverträglichkeit, die hat auch immer was anderes gegessen. Und selbst wenn man das gleiche isst, einige sagen, am Anfang würde ich das Ingwer dazu vor Liebe essen und nach 10 Jahren würde es mir zum Hals raushängen. Das mag schon sein, aber wenn man in der Liebe auf Kleinigkeiten achtgibt und keine Unstimmigkeiten riskiert, stirbt man allein. In einer Beziehung mit Hannah wäre Ingwer ein Ausweg-Element.