verweilten, dann über die Taille und den Rücken zu den schwarzen, halblangen, etwas wuscheligen Haaren. Sie hatte diese Blickabfolge schon so oft beobachtet und gefühlt, an sich selbst, an anderen attraktiven Frauen, manche Männer hatten ihr das auch gesagt, wenn sie zusammengekommen waren. Auch bei diesem Mann hatte sie gemerkt, wie seine Augen fickerig wurden, wie die Pupillen sich weiteten, ein sicheres Zeichen, dass sie es geschafft hatte, seine Gier zu erwecken, seine Geilheit anzustacheln. Dann war sie auch schon an ihm vorbei, blieb aber nach ein paar Metern stehen und drehte den Kopf zu ihm zurück. Der Mann stand immer noch wie festgenagelt, aber er hatte sich voll zu ihr hin gedreht, mit dem ganzen Körper und seine Augen flatterten immer noch, als er sie jetzt, wie vorausgesagt, von hinten abtastete, die Füße, die Waden, die Oberschenkel, den Hintern und nun auch das Gesicht. Sie beobachtete ihn aus den Augenwinkeln und war sich jetzt ganz sicher, dass sie sein Typ war, dass er sie wollte.
Sie dreht sich langsam um, wendet sich ihm zu, nimmt ihre Sonnenbrille ab, schaut ihm direkt in die Augen und wiederholt ihre Frage.
„Like it or not? Like it to come with me?“
Doch der Angesprochene bleibt stumm, gibt keine Antwort, regt sich nicht, starrt sie weiter an, direkt, unverhohlen, das Handy immer noch in der Hand, aber es ist nicht mehr interessant. Da er sich gar nicht rührt und keine Antwort gibt, ist sie sich auf einmal doch nicht mehr ganz sicher, ob er bereits angebissen hat. Um ihre Attraktivität zu erhöhen, setzt sie ihr verführerischstes Lächeln auf, ihr unwiderstehliches, nicht ganz perfektes Lächeln, denn zwischen ihren oberen Schneidezähnen klafft eine deutliche Lücke. Diese Lücke ist ihr unangenehm, passt nicht zu der Schönheit, die sie verkörpern möchte, aber sie ist da, war von Geburt an da. Es ist kein Zahn, der fehlt, sondern eine natürliche, breite Lücke, die ihr aber nicht gefällt und wenn sie merkt, dass ihr jemand auf den Mund schaut, zieht sie die Oberlippe über die Zahnreihe und verdeckt so diese Lücke. Aber sie denkt nicht immer dran und wenn sie lächelt oder wenn sie spricht, sieht man die Zähne und natürlich auch die Lücke. Der schwitzende Mann stört sich nicht an der Lücke, obwohl sie ihm auffällt, denn alles andere ist verdammt verführerisch an dieser Frau. Sie ist groß und schlank, hat ausgeprägte Körperformen, lange, nackte Beine, die Füße in roten High-heels, kräftige Hüften, einen ausgeprägten Po, eine schmale Taille, einen formidablen Busen und wilde Haare. Das Schönste aber ist, findet der Mann, dass diese ganze Pracht aus feinster Schokolade besteht: Schoko mit Sahne, Edelbitter und zugleich extra süß, genau sein Geschmack. Er ist verrückt nach solchen Frauen und diese hier kommt seiner Traumfrau verdammt nahe.
„Why you not come with me?“
fragt sie ihn nun mit einer leicht rauchigen Stimme und dabei tänzelt sie ein wenig auf der Stelle, macht ein Schrittchen vor, dreht sich halb von ihm weg, wackelt mit dem Hintern. Was für ein Hintern in diesen engen, kurzen Jeans, fest, rund, nicht zu groß, nicht zu klein, einfach perfekt. Dann wieder ein Schrittchen zurück, die halbe Drehung zurück, zu ihm hin, um ihm nun den Oberkörper provokativ hinzurecken und den Busen vorzustrecken. Diesen formidablen, festen Busen in dem schwarzen T-Shirt mit dem großen, pinkfarbenen Dreieck auf der Brust, dessen Spitze nach unten zeigt und um das herum in in großer Schrift steht: „Have you yet done it today? If not – come“. Doch auch das Busenrecken bewirkt immer noch nicht, dass er reagiert, obwohl sie genau sieht, wie sein Blick auf ihren Brüsten hängen bleibt. Sie verstärkt ihre provokativen Bewegungen, ein erneutes Zucken mit dem Oberkörper, ein zusätzliches Wackeln mit dem Hintern und ihr Lächeln ist noch einen Tick verführerischer. Jetzt endlich, grinst er zurück, ein wenig dämlich, so wie Männer grinsen, wenn die Traumfrau ihnen unerwartet gegenüber steht und sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen. Sein Blick ist nun ganz auf ihrem Gesicht angekommen. Es ist schmal, mit hohen Backenknochen, aber nicht ganz so attraktiv wie ihre Figur. Sie sieht etwas verlebt aus, denkt er, nicht mehr ganz taufrisch, aber durchaus hübsch, keine Frage. Sie hat eine überraschend gerade Nase, schmale Lippen, eine hohe Stirn und sehr schöne, sehr dunkle, sehr geheimnisvolle Augen mit langen Wimpern und gezupften Brauen. Jetzt, nachdem sie die große Brille abgenommen hat, fallen ihm auch die beiden kleinen, parallelen Narben auf der Stirn über dem linken Auge auf. Sie sind deutlich zu sehen stören ihn aber nicht, genauso wenig wie die Zahnlücke, die jetzt auch deutlich sichtbar ist, weil die Frau nun ständig lächelt. Äthiopien denkt er oder Somalia, ein Gesicht wie diese Wüstenblume in dem Film, den er erst neulich gesehen hat. Was das wohl für Narben auf ihrer Stirn sind? Sie sind symmetrisch angeordnet, vielleicht Schönheitsnarben oder doch Messerstiche, Unfallverletzungen? Vielleicht musste sie aus ihrer Heimat fliehen und hat sich die Verletzungen auf der Flucht zugezogen. Vielleicht wurden sie ihr von einem dieser Schlepper verpasst, von denen man so viel liest. Die Narben und die Zahnlücken sind kleine Makel, die diese Frau noch rätselhafter, noch interessanter machen.
Als er ihr jetzt direkt in die Augen schaut, weiß sie, dass sie gewonnen hat. Er hat angebissen, denkt sie und nun erst taxiert sie ihn genauer. Passt er? Ist er einer, den sie sucht? Mittleres Alter, schlank, gut angezogen. Trotz der Hitze trägt er einen dunklen Anzug und hat dazu noch eine Krawatte umgebunden, pink mit einer lächerlichen Figur. Sie sieht seine teure Armbanduhr, die Ringe an den Fingern. Er hat bestimmt Geld und einen ordentlichen Beruf und ordentliche Manieren. Sonst hätte er doch wenigstens die Jacke ausgezogen bei dieser Affenhitze und die Ärmel seines weißen Hemdes hochgekrempelt. Ja, er passt. Den will sie. Sie muss ihn nur noch ein ganz klein wenig anstoßen, noch ein kleiner Kick, dann hat sie ihn, diesen geilen Typ, dem gleich der Sabber aus dem Maul triefen wird und dessen Blick sich wieder von ihren Augen gelöst hat und über ihre nackten Arme, den steilen Busen, zur Taille, zur Hüfte, zu den braunen Beinen hinab wandert, auf der verführerischen Haut verweilt: Ritter Sport Vollmilch Nuss oder doch eher Zartbitter?
Während er sie immer noch abtastet, wartet sie, dass er endlich zustimmt, ihr Werben annimmt, ein Kopfnicken, ein bestätigender Blick, eine eindeutige Handbewegung, ein Schritt auf sie zu, ein Wort. Sie stemmt nun die Hände in die Hüften, schlanke Hände mit kunstvoll bemalten Nägeln und etlichen Ringen und deutet damit eine gewisse Ungeduld an. Sie ist irritiert, weil er offensichtlich immer noch nicht so recht weiß, dass auch er will. Dieser Lahmarsch, dieser Penner, denkt sie, traut sich einfach nicht am helllichten Tag.
Auch der Mann weiß, dass er sich entscheiden muss, dass er nicht ewig so dastehen und dieser Frau nachsehen kann. Soll er sie ansprechen, soll er auf ihre eindeutige Aufforderung eingehen? Sie will doch, dass er mitgeht, irgendwo hin, in ein abgedunkeltes Zimmer, in ein billiges Hotel oder in eine Absteige, für eine halbe Stunde oder noch weniger. Sie will, dass er mitkommt, sie will sein Geld, das ist doch klar, nicht ihn, nur sein Geld und eigentlich will er auch, seine Hormone, die in ihm wallen, drängen. Aber es geht nicht, nein, jetzt geht es nicht, denn eigentlich hat er gar keine Zeit für so was, für so eine. Er schaut auf seine Omega. Es ist kurz vor vier. Okey, er hat noch ein wenig Zeit, um diese Frau noch ein Weilchen anzuglotzen, aber nicht genug, um mit ihr zu gehen, nicht, um das zu machen, was sie will, was er will, was beide wollen. Denn eigentlich ist er auf dem Weg zum Bahnhof, um seine Frau abzuholen. Er muss nur noch durch die Unterführung zu den Gleisen und dann auf den Bahnsteig. Es ist nicht mehr weit, keine fünf Minuten. Er hatte seiner Frau dummerweise versprochen, selbst zu kommen, statt ihr zu sagen, sie solle ein Taxi nehmen. Seine Frau verlässt sich darauf, dass er sie abholt. Er kennt sie ja zu genüge, sie legt großen Wert auf solche Dinge, abgeholt oder weggebracht, begrüßt oder verabschiedet zu werden. Diese Rituale sind immer noch wichtig, obwohl es sonst nicht mehr zum allerbesten steht zwischen ihnen beiden. Aber das erwartet sie jetzt, sie wartet auf ihn und er muss rechtzeitig am Zug sein, sonst gibt es Ärger und Ärger kann er sich nicht leisten, nicht mit seiner Frau. Schade. Tschüss Schokomietze.
Er dreht sich langsam um, setzt seinen Weg fort in Richtung Bahnhof, aber seine Gedanken kreisen nur noch um die Schokomietze, die so verführerisch, so verdammt verführerisch da stand und wohl immer noch da steht und ihn einlädt, sie am hellen Nachmittag zu vernaschen. Er schaut noch einmal auf die Uhr, immer noch kurz vor vier, wie könnte es auch anders sein. Dann merkt er, dass er das Handy immer noch in der Hand hat. Was wollte er eigentlich? Die Uhrzeit kannte er doch. Ach ja, den Bahnsteig, den kannte er noch nicht. Doch anstatt das Handy nun zu benutzen, dreht er sich im Gehen noch einmal kurz um, ein letzter Blick, ein letztes kurzes visuelles Vergnügen und tatsächlich wartet sie immer noch, mittlerweile ein Dutzend Meter entfernt. Soll