auch auszunehmen. Das tun doch solche Weiber. Die stellen sich doch nicht bei dieser elenden Affenhitze auf die Straße, nur um ein paar müde Euro zu kassieren. Die wollen doch mehr als ein paar Kröten für eine schnelle Viertelstunde. Warum treibt sie sich um diese Zeit überhaupt hier herum? Abends, nachts, ja, okey, da verirren sich schon mal ein paar Bordsteinschwalben auch in diese Gegend, obwohl sie es nicht dürften, aber das einschlägige Viertel ist ja ganz nahe. Dort sitzen sie in den Bars, stehen an den Straßenecken und in den Hauseingängen. Aber jetzt, hier? Am helllichten Tag, am sonnigen Nachmittag, direkt hinter dem Bahnhof? Wenn die Polizei merkt, dass sie Passanten anmacht, ist sie rasch weg, ganz fix geht das, und wenn die sehen, dass er mit ihr anbandelt, kriegt auch er noch Ärger. Aber den Cops ist es jetzt auch zu heiß. Die kommen bestimmt nicht. Überhaupt, was glaubt die eigentlich, wer um diese Zeit Lust auf sie hat.
Doch während die eine Hirnhälfte alles zusammenkramt, was gegen eine schnelle Viertelstunde spricht, fragt die andere „warum eigentlich nicht“. Er bleibt stehen. Wenn ich mich beeile, könnte es doch etwas werden mit der halbbitteren Schokolade. Aber wirklich maximal eine Viertelstunde, ein rascher Quickie, mehr geht nicht und dann zurück im Schweinsgalopp und auf den Bahnsteig. Dabei wird es ihm bestimmt noch heißer, erst diese vermaledeite Sommerhitze, dann das heiße Weib, das wilde Kopulieren auf dem heißen Bett und anschließend zum Bahnhof rennen, damit er noch rechtzeitig ankommt. Sein Frau wird auf jeden Fall merken, dass mit ihm etwas nicht stimmt, dass er sich verausgabt hat, total verschwitzt sein wird. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn, will zugleich auch seine Gedanken wegwischen, aber er kann nicht verhindern, dass sie pendeln, zwischen Zug und Schoko, hin und her, zwischen Pflicht und Verlangen. Was soll der Quatsch, sagt die Kontra-Hirnhälfte. Du hast doch gar keine Zeit. Der Zug kommt um halb fünf und jetzt ist es schon gleich vier. Wann war das noch genau? Sechzehn Uhr dreiunddreißig? Ja, sechzehn Uhr dreiunddreißig, nur das Gleis musste er noch nachschauen. Also noch eine gute halbe Stunde. Du musst pünktlich da sein, unbedingt. Quatsch, sagt die Pro-Hirnhälfte, du hast genug Zeit für ein bisschen Spaß, für diesen Quickie am Nachmittag. Was ist schon dabei? Das merkt doch niemand, deine Frau schon gar nicht. Außerdem haben die Züge doch regelmäßig Verspätung, bestimmt noch mal eine Viertelstunde und wenn sie ein paar Minuten warten muss, wird sie auch nicht sterben. Du kannst ja behaupten, keinen Parkplatz gefunden zu haben, das stimmt doch immer. Also, die Zeit ist kein Problem und die Hitze auch nicht. Wenn du es erst mal hinter dir hast, kühlst du rasch ab. Tu es einfach.
Während ihm so langsam klar wird, wer verloren hat und dass er nur noch mit dem Kopf nicken muss, wartet die Frau weiter auf genau diese eindeutige Reaktion, auf die längst überfällige Zustimmung. Zunehmend ungeduldig denkt sie genauso wie er, an die Zeit, die verstreicht und den möglichen Ärger, den sie bekommen kann. Hier ist um diese Zeit nicht viel los und es fällt sofort auf, wenn sie sich so provokativ anbietet. Sie hat sich schon viel zu lange um diesen Typ bemüht. Nur noch eine Minute, denkt sie, wenn du dann immer noch nicht weißt, was du willst, geh ich, dann kannst du mich mal am Arsch, du Arsch. Nur noch eine Minute und wenn du dann nicht kommst, suche ich mir einen anderen. Aber wen? Es sind nicht viele geeignete Männer um diese Zeit hier auf der Straße und der hier ist genau der, den ich brauche, so wie der nach mir giert und mich anglotzt, so wie der aussieht und förmlich nach Geld stinkt. Als letzte Aufforderung noch ein Tanzschrittchen, eine kurze Drehung der Hüfte, ein leichtes Arschgewackel, den Busen noch ein wenig weiter vorstrecken und zum wirklich letzten Mal diese rauchige, heisere, verführerische Stimme.
„Schatzi, come on, let's go!“
Die Minute ist um. Das Signal ist ausgeblieben. Sie dreht sich von ihm weg, geht davon, im Catwalk, jedes Bein vorsichtig aufsetzend, wegen dieser bescheuerten High-heels.
„Moment, mach mal langsam. You wait! Understand?“
Sie bleibt stehen, dreht sich wieder zu ihm hin. Er kramt sein Handy aus der Hosentasche. Drückt auf den App mit dem Zugfahrplan. Der Akku ist fast leer, die Anzeige schwach, aber er erfährt noch, dass der Zug tatsächlich Verspätung hat. Ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Eine Viertelstunde bis zwanzig Minuten hat er zusätzlich. Müsste eigentlich reichen. Jetzt ist es kurz nach vier, noch eine halbe Stunde, dazu die zwanzig Minuten, macht fünfzig, das ist ja fast eine Stunde, das reicht auf jeden Fall, sonst wird es eh zu teuer. Solche Nutten kommen ja immer schnell zur Sache, die verdienen mit den Quickies mehr als mit stundenlangem Getue. Die haben ja nur Zeit, wenn sie Geld sehen, doch von ihm werden sie nur das Nötigste bekommen, nur das, was unumgänglich ist. Er steckt das Handy wieder ein. Fasst an sein Portemonnaie in der Hosentasche. Gut, dass er noch am Bankautomat war. Was die wohl kostet?
„Wie viel? Wie viel willst du? Understand? How much money?“
„No much money. No problem. Come on. Love first. Business later. Come on Schatzi.”
Jetzt weiß sie, dass sie gewonnen hat. Er wird hinter ihr her schleichen, wie ein Pudel an der Leine. Und wenn er das doch nicht macht, hat sie Pech gehabt. Sie kann und will nicht mehr investieren, weder an Zeit noch an Geduld noch an Überredung. Sie dreht sich um und wackelt davon, mit diesem erotisch unterkühlten, durch die Schuhe bedingten Staksen und Balancieren, diesem ständigen Zwang, auf die Unebenheiten der Straße zu achten, um ja nicht umzuknicken. Schon deswegen kann sie nicht zurückblicken.Es ist aber auch nicht nötig, denn er trottet tatsächlich hinter ihr her, im sicheren Abstand, sich betont unbeteiligt gebend, aber gekettet und mitgezogen von diesem erotischen Magneten, der ein paar Meter voraus, ihn unbeirrt anzieht. Seine Gedanken kreisen nicht mehr um den Zug, den er rechtzeitig erreichen muss, nur noch um diese Frau, die er nun fast erreicht hat und bleiben dort hängen, wo männliche Blicke und Gedanken meistens enden: Arsch, Busen, Beine.
Sie geht, aber nicht dahin, wo er meinte, dass sie hingehen müsse. Nicht in Richtung des Viertels mit den etwas verwahrlosten Häusern, den maroden Hauseingänge, den etwas heruntergekommenen Straßen. Sie steuert keine von den Bars an, in der um diese Zeit vermutlich nur halbtote Fliegen anzutreffen sind und schon gar nicht zu der Gasse mit den Schaufenstern, die er manchmal aufsucht. Dass diese Frau ihn dorthin lotsen würde, hatte er auch nicht erwartet. Das ist keine, die sich in ein Schaufenster setzt, denkt er. Vielleicht würde sie ja gerne dort ihr Geld verdienen, hat aber keinen Platz bekommen oder mit ihren Papieren stimmt etwas nicht. Wenn alles legal und in Ordnung wäre, müsste sie doch nicht am hellen, heißen Nachmittag auf der Straße anbaggern. Sie stelzt weiter vor ihm her, mit diesen roten Waffen, die sich Schuhe nennen und diesen endlosen braunen Beinen, diesem knackigen Hintern, der rhythmisch in den viel zu kurzen Jeans wackelt, mit der schmalen Taille, dem dunklen T-Shirt, der schwarzen Mähne. Sie zieht ihn nach sich, ganz mechanisch, ganz automatisch, wie ein Kind ein Spielzeug auf Rädern an einem Bindfaden hinter sich her zieht. Ihm wird noch heißer. Der Schweiß rinnt ihm von der Stirn. Sein Hemd klebt. Die Anzugjacke ist viel zu schwer. Warum hat er die nicht im Auto gelassen? Warum hat er eigentlich immer noch die pinke Krawatte um mit der lächerlichen Mickymaus? Wo will sie denn hin? Wir kommen ja aus der City raus. Das Viertel ist doch hier schon zu Ende und die Brache fängt an, die Industriegegend. Hierher verirrt sich doch kein Mensch. Aber sie stolziert unbeirrt weiter. Er ist verunsichert, zögert. Soll er doch lieber zurück? Folgt ihr aber dennoch, als sie um eine Ecke biegt. Doch auch dann ist das Ziel noch nicht erreicht. Welches Ziel? Hier gibt es doch kaum noch Häuser. Durch sein Zögern hat sie sich ein beträchtliches Stück von ihm entfernt. Wo hat die nur ihre Bleibe, ihre Wohnung, ihren Arbeitsraum oder nennt man das Atelier? So weit hat er sich den Weg nicht vorgestellt. Und er muss das alles wieder zurück, das wird eng, verdammt noch mal. Wenn er das geahnt hätte, wäre er nicht mitgegangen. Er schaut auf die Uhr. Aber es sind erst fünf Minuten vergangen, es ist erst zehn nach vier. Er hätte gewettet, dass er schon eine Viertelstunde hinter ihr her läuft. Trotzdem ist es lang und dazu diese Hitze. Eigentlich lohnt sich das ganze Unternehmen gar nicht mehr. Wenn er dann noch den Zug verpasst, Mann oh Mann, dann gibt es Ärger. Parkplatz kommt ihm wieder in den Sinn. Kein Parkplatz ist immer gut als Ausrede für das Zuspätkommen. Das muss sie einfach schlucken, selbst bei dieser Hitze sind am Bahnhof alle Plätze belegt und freie Parkplätze kann man nicht einfach herbeizaubern. Er atmet wieder etwas freier, aber das lange Gehen ärgert ihn und die Hitze und dass er sich überhaupt auf das Abenteuer eingelassen hat, anstatt in einem Stehimbiss im Bahnhof ein kühles Bier zu trinken.
Er ist drauf und dran, einfach umzudrehen, doch da biegt