Worte prallen an ihm ab. Er starrt weiter sein Gegenüber an, reglos, sprachlos, angsterfüllt, wie gelähmt. Er rührt sich nicht. Er kann sich nicht rühren. Der Mann vor der Tür wartet eine Minute.
„So, jetzt ist der Schock vorbei. Fang an. Dalli, dalli. Wir haben kei Zeit.“
Dabei fuchtelt er zur Bestätigung seiner Worte mit der Pistole hin und her und stößt den Lauf auffordernd in seine Richtung. Die Lähmung ist vorbei. Er versucht es nun mit Worten, doch noch ehe er etwas sagen kann, noch ehe überhaupt ein Wort über sein Lippen kommt, herrscht ihn der Türsteher an.
„Halt's Maul und tu, was ich sag. Oder hast mich noch immer net verstanden. Zieh dich aus und halt's Maul. Also los, mach schon.“
Der Angesprochene stößt einen Fluch aus und fängt an, sich auszuziehen. Er verstreut die Kleider auf dem Fußboden, nur die Unterhose behält er an.
„Alles hab ich gsagt, hörst schlecht oder glaubst net, was ich dir sag? Alles, aber flott.“
Nun liegt auch die Unterhose auf dem Boden.
„Du hältst mich wohl für blöd oder hast immer noch net kabiert, was ich gsagt hab. Die Kette, die Ringe, die Uhr, bittschön.“
Der Pistolero redet mit einem Akzent, der auf Franken oder Sachsen hindeutet. Einer aus dem Osten, denkt der Nackte, während er schweren Herzens auch die restlichen Dinge ablegt. Einer aus dem Osten mit einem schwarzen Flittchen, einem Fliegenfänger, einem Bauernfänger, einem Lockvogel. Ein Straßenräuber, ein Wegelagerer, ein Buschjäger, einer, der auf dumme Arschlöcher wie ihn aus ist. Ein Arsch, der andere Ärsche verarscht.
„Schön, dass wir uns einig sind. Steh auf, dreh dich um, Hände auf den Rücken.“
Der Nackte zögert wieder. Jetzt wäre der Moment zu reagieren, vorzuschnellen, dem fiesen Typ eine in die Fresse zu hauen, ihn auf den Boden zu schmeißen, die Pistole an sich zu nehmen, ihn abzuknallen, zumindest einzuschüchtern, auf Distanz zu halten, sich dann an das Steuer zu setzen und abzuhauen. Doch er bleibt reglos, dafür fällt ihm plötzlich ein, das er die schwarze Nutte noch gar nicht gesehen hat. Wo ist das schwarze Flittchen? Hat sie auch eine Pistole, die heimlich auf ihn gerichtet ist? Aber es ist nicht dieser Gedanke, der ihn abhält, irgend etwas zu unternehmen, einen Vorstoß zu machen, um seine Lage zu ändern. Er macht nichts, weil er Angst hat, höllische Angst, vor diesem Mann und mehr noch vor seiner Pistole. Diese flößt ihm Respekt ein, obwohl er sich nicht sicher ist, ob sie überhaupt echt ist, aber auf diesen Nachweis will er es lieber nicht ankommen lassen. Neben der Scheißangst, traut er sich eine solche Überrumpelung auch gar nicht zu. Er wäre zu langsam, zu zögerlich, die Wut allein würde ihn nicht in die Lage eines Helden versetzen und so macht er das, was der Dicke ihm befohlen hat. Er steht auf, dreht sich um, streckt die Hände auf den Rücken, fühlt, wie ein Kabelbinder um die Handgelenke gelegt und festgezurrt wird. Das Ganze dauert nur ein paar Sekunden.
„Bleib stehn, wie du stehst. Rücken zur Tür. Bleib ganz ruhig, dann bassiert dir nichts. Bis jetzt warst ja vernünftig, bleib so.“
Erneut fragt er sich, wo die schwarze Frau abgeblieben ist. Die muss doch irgendwo sein, denn der Dicke sagt etwas mit halblauter Stimme, die nicht an ihn gerichtet ist.
„Take this and put it around his eyes. Hurry up.“
Der Nackte spürt, wie der Wagen wieder leicht schwankt, dann riecht er das Parfum und den Schweiß. Er dreht den Kopf zu Seite, doch das Einzige, was er sieht, ist die Pistole, die ihm klar bedeutet, sich wieder abzuwenden. Dann spürt er die rauen Hände an seinem Kopf und sieht, dass seine Krawatte als Augenbinde verwendet wird, das rote Ding mit der Mickymaus. Sie sitzt schief, ist lose und er kann über den Rand blinzeln.
„Not so. Silly cow. Make it better.“
Die Frau fummelt erneut, knotet noch einmal. Jetzt sitzt der Schlips stramm. Er kann nichts mehr sehen.
„And now the Daschentuch in his mouth. Look in his pocket.”
Erst will er den Mund nicht öffnen, doch dann spürt er einen Druck in seinem Rücken, den Druck der Pistolenmündung. Das Taschentuch ist schweißnass, ekelig und füllt seinen Mund voll aus. Er kann nur noch schwer atmen, er röchelt und hustet und will den Stoff mit der Zunge wieder aus dem Mund drücken. Es geht nicht, denn die Frau hat noch irgend etwas, ein Band, eine Schnur, so um seinen Kopf gebunden, dass das Taschentuch nicht ausgespuckt werden kann.
„Help him, to leave the car.“
Die Hände, die noch vor kurzer Zeit seinen Körper betastet, seine Oberschenkel gestreichelt und sein Geschlecht gedrückt hatten, fassen ihn geradezu sanft an den Schultern und ziehen ihn rückwärts in Richtung Tür. Mit ihrer gurrenden, rauchigen Stimme sagt sie leise.
„I’m sorry, darling. Take care, the step.“
Er stolpert. Sie hält ihn fest und zieht ihn sanft. Seine Füße tasten sich die kleine Steigleiter hinab. Dann ist er draußen. Er spürt das Gras an den Fußsohlen und die spitzen Zweige und die kleinen Steinchen.
„Na siehst, s'ging doch. Wir lassen dich jetzt allein. Du wirst schon zurechtkommen. Du findst schon jemand oder jemand find dich. Erfriern kannst net bei der Hitzen und a Sonnenstich wirst schon net kriegen. Tschüss und danke für’s Mitmachen. Und noch was, denk dir was Schönes aus, wie du in die Scheiße graten bist. Sag ja net die Wahrheit. Wenn ich merk, dass du mich suchst und mir Schwierigkeiten machen willst, bist du dran, aber wie, dann bin ich net mehr so sanft zu dir. Merk dir das.”
Und wieder in eine andere Richtung: “Come on baby, let’s go.“
Dann, noch einmal, zum letzten Mal, die rauchige Stimme: „Tschüss Schatzi. Next time we will have more fun. You and me.”
Die Frau hat diese Worte fast geflüstert, sie muss ganz nahe neben ihm gewesen sein, denn er riecht sehr intensiv und zum letzten Mal die Mischung aus süßem Parfüm und strengem Schweiß. Dann lacht sie, ihr kehliges Lachen und einen kurzen Moment spürt er die raue Hand auf seinem Rücken, die ihm zum Abschied einen freundschaftlichen Klaps und eine kleine Streicheleinheit verpasst. Er hört noch, wie die Tür zum Kasten zugeschoben wird und wie die beiden Wagentüren nacheinander ins Schloss fallen. Der Motor wird angelassen. Abgase treffen seine Nase. Ein kurzes Hupen zum Abschied, dann rollt der Wagen leicht knirschend auf dem Sand des Waldwegs davon.
Der nackte Mann bleibt eine Weile stehen, so wie die Frau ihn hingestellt hatte. Er zerrt an seiner Fessel, aber die gibt nicht nach. Dann setzt er sich fluchend in Bewegung, langsam, vorsichtig, die Füße tasten sich auf dem Sandweg vorwärts. Es ist ekelig und schmerzhaft. Er denkt, dass er jeden Moment in irgend eine Scheiße treten wird und diese vielen kleinen, spitzen Dinge, die sich in seine Fußsohlen bohren, nerven ihn. Wenn er an den Rand des Weges kommt und den Sand nicht mehr spürt, dafür mehr Gras, mehr Zweige, eine Böschung, einen Graben, verändert er die Richtung. Er hat keine Ahnung, in welche Richtung er gehen soll. Er hat keinerlei Orientierung, nicht einmal die helle Sonnenscheibe kann er im schattigen Wald erahnen. Während er langsam, vorsichtig dahin schleicht, die zunehmenden Schmerzen an den Füssen und die vielen Stiche blutrünstiger Mücken tapfer ignorierend, denkt er angestrengt nach. Er hat viel Zeit nachzudenken, denn er kommt nur langsam vorwärts. Seine Wut, seine Angst, seine Scham verebben und neben den Überlegungen, wie er aus diesem Schlamassel herauskommen soll, erreichen ihn die ersten Gedanken an Rache. Aber das hat Zeit, jetzt muss er Entscheidungen treffen, die unmittelbar wichtig sind: wie aus diesem Wald heraus kommen, wie zu einer Straße gelangt, auf Autos fahren, wie sich der Fessel, der Augenbinde, des Knebels entledigen. Die Rache kann warten. Obwohl ihn dieser Gedanke mehr und mehr beherrscht und ob er will oder nicht, er fängt an Rachepläne zu schmieden. Soll er zur Polizei? Aber auch das hat Zeit. Auf einmal, ganz plötzlich beherrscht wieder seine Frau sein Denken, als ob es nichts Wichtigeres gäbe. Er will sich lieber gar nicht vorstellen, wie er ihr diese Scheiße möglichst plausibel erklären soll. Aber auch das hat Zeit. Ausreden kann er sich später ausdenken. Dann versucht