Heidi Dietzel

DAS LEBEN DER BIENEN


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an. Er zwingt sie, die üppige Zahl der Bewerber, welche auf die Geburt der Prinzessinnen harren, herabzusetzen. Kurz, er tut mit ihnen, was er will, und erreicht von ihnen, was er fordert, vorausgesetzt, dass seine Forderungen mit ihren Tugenden und Gesetzen übereinstimmen, denn sie sehen über den Willen des unerwarteten Gottes hinaus, der sich ihrer bemächtigt hat und der zu ungeheuer ist, um erkannt, zu fremd, um begriffen zu werden, weiter als dieser Gott selbst, und sind nur darauf bedacht, in unermüdlicher Selbstverleugnung die geheimnisvolle Pflicht gegen die Gattung zu erfüllen.

      Bild 5Nachdem uns die Bücher nunmehr das Wesentlichste gesagt haben, was sie uns über eine sehr alte Geschichte zu sagen hatten, lassen wir die durch andere erworbene Erfahrungsweisheit fallen und sehen uns die Bienen selbst einmal an. Eine Stunde im Bienenstock sagt uns vielleicht Dinge, die zwar weniger gewiss, aber ungleich lebendiger und fruchtbarer sind.

       Ich habe den ersten Bienenstand, den ich zu Gesichte bekommen und an dem ich die Bienen lieben gelernt habe, noch nicht vergessen. Es ist manches Jahr darüber verflossen. Es war in einem großen Dorfe im flandrischen Seeland, jenem reinlichen und anmutigen Erdenwinkel, der noch kräftigere Farben entwickelt, als das eigentliche Seeland, der Hohlspiegel Hollands, und das Auge gefangen nimmt mit dem allerliebsten, tiefernsten Spielzeug seiner Tauben und Türme, seiner bemalten Wagen, seiner Wandschränke und Stutzuhren, die aus dem Dunkel der Korridore hervorleuchten, seiner Grachten und Kanäle mit ihren Spalier bildenden kleinen Bäumen, die auf eine fromme, kindliche Zeremonie zu warten scheinen, seiner Barken und Marktschiffe mit geschnitztem Bug, seiner buntfarbigen Fenster und Türen, seiner prächtigen Schleusen und schwarzgeteerten Zugbrücken, seiner schmucken Häuschen, die wie glänzende, zartgetönte Topfwaren leuchten, und aus denen Weiber wie große Klingeln, mit Gold- und Silberschmuck behängt, heraustreten, um auf die weiß umzäunten Wiesen zu gehen und die Kühe zu melken, oder Wäsche auf dem in Ovale oder schräge Vierecke geteilten und peinlich grünen, blumenreichen Rasenteppich auszubreiten.

      Ein alter Weiser, an den Greis Vergils erinnernd,

      »Bin Mann, den Kön'gen gleich, ein Mann, den Göttern nah,

      Und ruhig und zufrieden gleich wie diese«.

       würde Lafontaine sagen, hatte sich dorthin zurückgezogen, wo das Leben enger scheinen könnte, als wo anders, wenn es möglich wäre, das Leben wirklich einzuschränken, und hatte seinen Alterssitz dort aufgeschlagen, nicht lebensmüde zwar, – denn der Weise kennt keine Lebensmüdigkeit, – aber ein wenig müde, die Menschen zu befragen, denn sie antworten weniger einfältig als Tier und Pflanze auf die einzigen Fragen von Belang, die man der Natur über ihre wahren Gesetze stellen kann. Sein ganzes Glück, wie das des Philosophen Skytha, bestand in einem schönen Garten, und unter dessen Schönheiten liebte er am meisten und besuchte er am häufigsten einen Bienenstand von zwölf Strohglocken, die er mit hellem Gelb, Rosenrot und vor allem mit zartem Blau angestrichen hatte, denn er wusste schon lange vor den Experimenten von Sir John Lubbock, dass Blau die Lieblingsfarbe der Bienen ist. Der Bienenstand befand sich an der Hausmauer, im Winkel einer jener kühlen und leckeren holländischen Küchen mit Porzellanbrettern an den Wänden und leuchtendem Zinn- und Kupfergeschirr darauf, das sich durch die offene Haustür in einem stillen Kanal spiegelte. Und der Blick glitt über den Wasserspiegel mit seinen häuslichen Bildern, die ein Rahmen von Pappelbäumen umschloss, und fand seinen Ruhepunkt am Horizont mit seinen Mühlen und Weidetriften.

       Hier wie überall, wo man sie aufstellt, hatten die Bienenstöcke den Blumen, der Stille, der milden Luft, den Sonnenstrahlen eine neue Bedeutung verliehen. Man griff hier mit Händen das festliche Gleichnis der hohen Sommertage. Man ruhte unter dem funkelnden Kreuzweg, von welchem die luftigen Straßen ausstrahlen, die sie vom Morgen bis zum Abend, mit allen Düften der Fluren beladen, geschäftig durchsummen. Man lauschte der heiteren, sichtbaren Seele, der klugen, wohlklingenden Stimme, man sah den Brennpunkt der Freude der sommerlichen Gartenlust. Man lernte in der Schule der Bienen das geheimnisvolle Weben der Natur, die Fäden, die sich zwischen ihren drei Reichen knüpfen, die unermüdliche Selbstgestaltung des Lebens, die Moral der selbstlosen, eifrigen Arbeit, und was ebenso viel wert ist, wie diese: die heroischen Arbeiterinnen lehrten den Geschmack an der unbestimmten Süßigkeit der Muße, sie unterstrichen mit ihren tausend kleinen Flügeln wie mit Feuerzeichen die fast unstoffliche Wonne jener jungfräulichen Tage, die in ewig gleicher Reinheit und Klarheit wiederkehren, ohne Erinnerungen zu hinterlassen, wie ein zu reines Glück.

      Bild 6Wir beginnen, um die Geschichte des Bienenstaates im Kreislaufe des Jahres so einfach wie möglich zu erzählen, mit dem Erwachen im Lenz und dem Wiederbeginn der Arbeit, und wir werden die Hauptstadien des Bienenlebens in ihrer natürlichen Reihenfolge einander ablösen sehen: das Schwärmen und was ihm vorangeht, die Gründung der neuen Stadt, Geburt, Kämpfe und Hochzeitsausflug der jungen Königinnen, die Drohnenschlacht und die Wiederkehr des Winterschlafes. Jede dieser Episoden erfordert die nötigen Erklärungen der Gesetze, Eigentümlichkeiten, Gewohnheiten und Ereignisse, die sie verursachen oder sie begleiten, sodass wir am Ende des Bienenjahres, das vom April bis Ende September reicht, alle Geheimnisse des Honigstaates kennen werden.

       Vorderhand, ehe ich einen Bienenstock öffne, um einen allgemeinen Blick darauf zu werfen, mag es genügen zu wissen, dass er sich aus einer Königin, der Mutter des ganzen Volkes, vielen tausend Arbeitsbienen, d. h. unentwickelten und unfruchtbaren Weibchen, und einigen hundert männlichen Bienen oder Drohnen zusammensetzt. Aus den letzteren geht der einzige unglückliche Auserwählte der künftigen Herrscherin hervor, welche die Bienen nach dem mehr oder minder unfreiwilligen Scheiden der alten Königin auf den Thron erheben.

      Bild 8Wenn man zum ersten Male einen Bienenstock öffnet, so verspürt man etwas von der Erregung, die einen stets befällt, wenn man etwas Unbekanntes vergewaltigt, das voll von furchtbaren Überraschungen sein kann, wie z. B. ein Grab. Es spinnt sich um die Bienen eine Fabel von Gefahren und Drohungen. Man hat eine unbestimmte Erinnerung an die Bienenstiche, die einen zu eigenen Schmerz verursachen, als dass man wüsste, womit man ihn vergleichen soll; es ist ein trockenes, zuckendes Brennen, eine Art Wüstensonnenbrand, möchte man sagen, der sich bald über den ganzen Körperteil verbreitet. Es ist, als ob diese Sonnenkinder aus den glühendsten Strahlen ihrer Mutter ein leuchtendes Gift gesogen hätten, um die Schätze der Süßigkeit, die sie in ihren segenspendenden Stunden sammeln, desto wirksamer zu verteidigen.

       Freilich, wird ein Bienenstock ohne Vorsichtsmaßregeln geöffnet, von einem, der weder Charakter noch Sitten seiner Bewohner kennt und achtet, so verwandelt er sich im Nu in einen feurigen Busch von Zorn und Heldenmut. Vor kurzem lief durch die Zeitungen die Nachricht, dass ein Bauer beim Nachsehen seiner Bienenstöcke, die jeder gute Bienenzüchter zur Frühlingszeit einer Prüfung unterzieht, von einem Schwarm wütender Bienen angefallen wurde und den zahllosen furchtbaren Stichen erlag, die ihm die wild gewordenen Liebhaberinnen der Blumenwelt beibrachten. Gelegentlich dieses Vorfalls, der uns trotz seiner grausamen Folgen doch fast wie ein Stück Hirtengedicht und Frühlingsduft anmutet, gingen mir (denn seit der Veröffentlichung dieses Buches bin ich, ganz ohne mein Zutun, zu einer Art Sachwalter der Elementarbienenkunde geworden) allerhand verzweifelte und verstörte Briefe zu, in denen ich gefragt wurde, ob die Sache tatsächlich geschehen wäre, und ob sie wirklich den Tod geben können, die flinken Jungfrauen mit den durchsichtigen Flügeln, die sich mit Frühlings Anfang aufmachen, um den Veilchen, Primeln und Anemonen das zu rauben, was in der Vorstellung des Menschen wohl das Reinste des Lebens ist: den Duft und die Schönheit der Blumen.

      Mein Gott, ja, es ist möglich, und der Mensch kann den Tod auch in einem Sonnenstrahl oder einem Rosenstrauß finden. Er lauert überall, und nichts ist dem Leben ähnlicher als er. Er ist der unseren Kinderaugen furchtbar dünkende Schatten des Lebens, den es wirft, wenn es nach neuem Leben trachtet. Aber um ihn so zu finden, »im Flügelschwirren eines Bienenschwarms«, dazu bedarf es nach meiner Meinung mehr als einer gewöhnlichen Ungeschicktheit oder Schicksalstücke.

      Die näheren Umstände dieses tragischen Idylls sind mir unbekannt. Um ihnen auf den Grund zu gehen, muss man einen Blick auf