Johann Wolfgang von Goethe

Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen


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will angeben, wo ich den Mantelsack verkauft habe. Diese Garderobe trug ich im Barbierbeutel herüber.

      EDELMANN. Es wird sich alles finden.

      RICHTER. Glauben Sie ihm nicht!

      EDELMANN. Ich weiß, was ich zu tun habe. Findet sich alles wahr, so muß eine solche Kleinigkeit nicht gerügt werden; sie erregt nur Schrecken und Mißtrauen in einem ruhigen Lande. Wir haben nichts zu befürchten. Kinder, liebt euch, bestellt euren Acker wohl und haltet gut Haus.

      RÖSE. Das ist unsre Sache.

      GÖRGE. Dabei bleibt's.

      EDELMANN. Und Euch, Alter, soll es zum Lobe gereichen, wenn Ihr Euch auf die hiesige Landsart und auf die Witterung versteht und Euer Säen und Ernten darnach einrichtet. Fremde Länder laßt für sich sorgen, und den politischen Himmel betrachtet allenfalls einmal Sonn- und Festtags.

      MÄRTEN. Es wird wohl das beste sein.

      EDELMANN. Bei sich fange jeder an, und er wird viel zu tun finden. Er benutze die friedliche Zeit, die uns gegönnt ist; er schaffe sich und den Seinigen einen rechtmäßigen Vorteil: so wird er dem Ganzen Vorteil bringen.

      RICHTER der indessen seine Ungeduld gezeigt hat, gleichsam einfallend. Aber dabei kann's doch unmöglich bleiben! Bedenken Sie die Folgen! Ginge so was ungestraft hin –

      EDELMANN. Nur gelassen! Unzeitige Gebote, unzeitige Strafen bringen erst das Übel hervor. In einem Lande, wo der Fürst sich vor niemand verschließt; wo alle Stände billig gegeneinander denken; wo niemand gehindert ist, in seiner Art tätig zu sein; wo nützliche Einsichten und Kenntnisse allgemein verbreitet sind: da werden keine Parteien entstehen. Was in der Welt geschieht, wird Aufmerksamkeit erregen; aber aufrührische Gesinnungen ganzer Nationen werden keinen Einfluß haben. Wir werden in der Stille dankbar sein, daß wir einen heitern Himmel über uns sehen, indes unglückliche Gewitter unermeßliche Fluren verhageln.

      RÖSE. Es hört sich Ihnen so gut zu!

      GÖRGE. Wahrhaftig, Röse! – Reden Sie weiter, gnädiger Herr.

      EDELMANN. Ich habe schon alles gesagt. Er zieht Schnapsen hervor. Und wieviel will das schon heißen, daß wir über diese Kokarde, diese Mütze, diesen Rock, die so viel Übel in der Welt gestiftet haben, einen Augenblick lachen konnten!

      RÖSE. Ja, recht lächerlich sieht Er aus, Herr Schnaps.

      GÖRGE. Ja, recht albern!

      SCHNAPS. Das muß ich mir wohl gefallen lassen. Nach der Milch schielend. Wenn ich nur vor meinem Abzug die andere Hälfte der patriotischen Kontribution zu mir nehmen dürfte!

      RÖSE. So gut soll's Ihm nicht werden!

      Der Großkophta

      Personen.

      Der Domherr

      Der Graf

      Der Ritter

      Der Marquis

      Die Marquise

      Ihre Nichte

      Der Oberst der Schweizergarde

      Saint Jean, Bedienter des Domherrn

      La Fleur, Bedienter des Marquis

      Jäck, ein Knabe, Diener der Marquise

      Gesellschaft von Herren und Damen

      Zwei Hofjuweliere

      Jünglinge

      Kinder

      Ein Kammermädchen

      Sechs Schweizer

      Bediente

      Erster Aufzug

      Erster Auftritt

      Erleuchteter Saal.

      Im Grunde des Theaters an einem Tische eine Gesellschaft von zwölf bis funfzehn Personen beim Abendessen. An der rechten Seite sitzt der Domherr, neben ihm hinterwärts die Marquise, dann folgt eine bunte Reihe; der letzte Mann auf der linken Seite ist der Ritter. Das Dessert wird aufgetragen, und die Bedienten entfernen sich. Der Domherr steht auf und geht nachdenklich am Proscenio bin und wider. Die Gesellschaft scheint sich von ihm zu unterhalten. Endlich steht die Marquise auf und geht zu ihm. Die Ouvertüre, welche bis dahin fortgedauert, hört auf, und der Dialog beginnt.

      MARQUISE. Ist es erlaubt, so zerstreut zu sein? gute Gesellschaft zu fliehen, seinen Freunden die Lust traulicher Stunden zu verderben? Glauben Sie, daß wir scherzen und genießen können, wenn unser Wirt den Tisch verläßt, den er so gefällig bereitet hat? Schon diesen ganzen Abend scheinen Sie nur dem Körper nach gegenwärtig. Noch hofften wir gegen das Ende der Tafel, jetzt, da sich die Bedienten entfernt haben, Sie heiter, offen zu sehen, und Sie stehen auf, Sie treten von uns weg und gehen hier am andern Ende des Saals gedankenvoll auf und nieder, als wenn nichts in der Nähe wäre, das Sie interessieren, das Sie beschäftigen könnte.

      DOMHERR. Sie fragen, was mich zerstreut? Marquise, meine Lage ist Ihnen bekannt – wäre es ein Wunder, wenn ich von Sinnen käme? Ist es möglich, daß ein menschlicher Geist, ein menschliches Herz von mehr Seiten bestürmt werden kann als das meinige! Welche Natur muß ich haben, daß sie nicht unterliegt! Sie wissen, was mich aus der Fassung bringt, und fragen mich?

      MARQUISE. Aufrichtig, so ganz klar seh ich es nicht ein. Geht doch alles, wie Sie es nur wünschen können!

      DOMHERR. Und diese Erwartung, diese Ungewißheit?

      MARQUISE. Wird doch wenige Tage zu ertragen sein? – Hat nicht der Graf, unser großer Lehrer und Meister, versprochen, uns alle und Sie besonders weiter vorwärts in die Geheimnisse zu führen? Hat er nicht den Durst nach geheimer Wissenschaft, der uns alle quält, zu stillen, jeden nach seinem Maße zu befriedigen versprochen? Und können wir zweifeln, daß er sein Wort halten werde?

      DOMHERR. Gut! er hat. – Verbot er aber nicht zugleich alle Zusammenkünfte, wie eben die ist, die wir jetzt hinter seinem Rücken wagen? Gebot er uns nicht Fasten, Eingezogenheit, Enthaltsamkeit, strenge Sammlung und stille Betrachtung der Lehren, die er uns schon überliefert hat? – Und ich bin leichtsinnig genug, heimlich in diesem Gartenhause eine fröhliche Gesellschaft zu versammeln, diese Nacht der Freude zu weihen, in der ich mich zu einer großen und heiligen Erscheinung vorbereiten soll! – Schon mein Gewissen ängstiget mich, wenn er es auch nicht erführe. Und wenn ich nun gar bedenke, daß seine Geister ihm gewiß alles verraten, daß er vielleicht auf dem Wege ist, uns zu überraschen! – Wer kann vor seinem Zorn bestehen? – Ich würde vor Scham zu Boden sinken – jeden Augenblick! – es scheint mir, ich höre ihn; ich höre reiten, fahren. Er eilt nach der Türe.

      MARQUISE für sich. O Graf! du bist ein unnachahmlicher Schelm! Der meisterhafteste Betrüger! Immer hab ich dich im Auge, und täglich lern ich von dir! Wie er die Leidenschaft dieses jungen Mannes zu brauchen, sie zu vermehren weiß! Wie er sich seiner ganzen Seele bemächtigt hat und ihm unumschränkt gebietet! Wir wollen sehen, ob unsre Nachahmung glückt.

      Der Domherr kommt zurück.

      Bleiben Sie außer Sorgen. Der Graf weiß viel; all wissend ist er nicht, und dieses Fest soll er nicht erfahren. – Seit vierzehn Tagen habe ich Sie, habe ich unsre Freunde nicht gesehen, habe mich vierzehn Tage in einem elenden Landhause verborgen gehalten, manche langweilige Stunde ausdauern müssen, nur um in der Nähe unsrer angebeteten Prinzessin zu sein, manchmal ein Stündchen ihr heimlich aufzuwarten und von den Angelegenheiten eines geliebten Freundes zu sprechen. Heute kehre ich nach der Stadt zurück, und es war sehr freundlich von Ihnen, daß Sie mir auf halbem Wege, hier in diesem angenehmen Landhause, ein Gastmahl bereiteten, mir entgegenkamen und meine besten Freunde zu meinem Empfange versammelten. Gewiß, Sie sind der guten Nachrichten wert, die ich Ihnen bringe. Sie sind ein warmer, ein angenehmer Freund. Sie sind glücklich, Sie werden glücklich sein; nur wünschte ich, daß Sie auch Ihres Glücks genössen.

      DOMHERR.