Serena S. Murray

Celeste - Siehst du mich?


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verbrannte die Angreifer zu grauer Asche, die durch den Wind in alle Himmelsrichtungen verteilt wurden. Geschockt sah Melina dabei zu, wie sich nun das Feuer an Celestes Körper hinaufschlängelte.

      „Lass sie gehen“, donnerte eine männliche Stimme vom Himmel herab.

      Die Nymphe wusste instinktiv, dass gerade ein Gott zu ihr gesprochen hatte. Doch alles in ihr schrie danach, Celeste zu helfen. Die Flammen änderten in nur wenigen Sekunden ihre Farben. Von Gelborange bis hin zu Weißblau und ehe Melina noch entscheiden konnte, ob sie dem Befehl Folge leisten sollte, war ihre Freundin verschwunden. Da Azia direkt über Celeste geflogen war, wurde auch sie von den Flammen eingeschlossen und verschwand zusammen mit ihrer Gefährtin.

      Zurück blieben nur Melina und Ophir, die sich nun ungefähr zwanzig Lamien gegenübersahen, die sie siegessicher angrinsten und sich bereits die Lippen leckten.

      Celeste hörte Azia in ihren Gedanken schreien und wusste, dass sie in Schwierigkeiten steckte. Die weißblauen Flammen nahmen ihr jede Sicht, doch zum Glück hörte das Brennen in ihrem Körper langsam auf. Nach und nach gehorchte ihr Körper ihr wieder. Es kostetet sie all ihre verbliebene Kraft, nicht zurückzuschrecken, als ein paar Schritte vor ihr eine schimmernde Gestalt auftauchte. Sie war etwas größer als Celeste und nur als Schemen wahrnehmbar.

      „Sei gegrüßt, Dunkle aus den großen Häusern“, sagte eine dunkle Männerstimme.

      „Wer bist du?“

      „Das wirst du erfahren, sobald die Zeit dafür reif ist. Ich bin hier, um dir einen Auftrag zu geben.“

      „Bist du ein Gott oder ein Monster?“ Celeste biss frustriert die Zähne zusammen, als sie das erheiternde Lachen hörte.

      „Manche würden sagen, beides. Edrè ist in Gefahr, aber das weißt du ja bereits. Eine Helle hat das gleiche Tor wie du passiert und ist auf die Erde gereist. Das gesamte Weltgefüge bekommt dadurch immer mehr Risse. Du musst sie finden, einfangen und zurückbringen. Schaffst du das nicht, wird Edrè aufhören zu existieren.“

      Celeste ahnte, dass mit diesen drohenden Worten auch gemeint war, dass somit alles Leben in ihrer Welt ausgelöscht werden würde.

      „Warum gerade ich?“, entfuhr es ihr verzweifelt. „Warum werde ich geschickt, um die Helle einzufangen? Wie kannst du von mir erwarten, die Last einer ganzen Welt zu tragen?“

      Sie spürte ein wenig Wohlwollen in der Luft, als die Gestalt antwortete: „Zweifel niemals an Entscheidungen, die du nicht ändern kannst. Für manch einen ist es ein Spiel, für andere die Nahrung für den eigenen Hass, für andere wiederum ein Anliegen des Herzens, das seit Anbeginn der Zeit existiert.“

      Und mit diesen kryptischen Worten verschwand die Gestalt und das Brennen kehrte in Celestes Körper zurück. Wie eine Woge aus reiner Lava rauschte sie durch sie hindurch, bis ihr Körper schließlich kapitulierte und sie in selige Dunkelheit tauchen ließ.

      London

      Ian starrte an die Decke seines Hotelzimmers und lauschte auf die Geräusche der Menschen, die sich trotz der späten Stunde draußen aufhielten. Er selbst würde normalerweise auch dazu gehören. Doch als eine eigentümliche Melodie an seine Ohren drang, setzte er sich kerzengerade auf.

      Ein Blick auf den Wecker sagte ihm, dass es bereits zwei Uhr nachts war und er somit seit vier Stunden wach in seinem Bett gelegen hatte. Kurz überlegte er, die Melodie zu ignorieren, die sich deutlich von der Musik der Jugendlichen draußen unterschied. Doch letztendlich siegte seine Neugierde.

      Im Hinausgehen warf er sich schnell seine Klamotten über, ehe er den Flur entlang und anschließend die dunkle Treppe nach unten lief. Allein, dass das Hotel keinen Fahrstuhl besaß, sagte allen, in was für einem Etablissement er abgestiegen war. Das kam eben davon, wenn man kurzfristig ein Zimmer brauchte und nicht bei seinem besten Freund auf der Couch übernachten wollte.

      Als er die schwere Eisentür des Hinterausgangs öffnete, quietschte diese so laut, dass es ihm in den Ohren wehtat. Seine nackten Füße in den Sneakers froren, als er wie ein Dieb in der dunklen Gasse hinter dem Hotel stand und aufmerksam lauschte. Die Melodie war jetzt lauter. Da die lauten Passanten auf der Hauptstraße nichts sagten, ging er davon aus, dass nur er sie hören konnte.

      Sein Nacken kribbelte, als er um die Ecke ging, nur um sofort in eine neue, noch kleinere Gasse zu gehen. Die Töne wurden immer lauter, bis er sich schließlich die Hände auf die Ohren drückte. Ein vorbeikommender Polizist warf ihm einen prüfenden Blick zu, doch zu Ians Glück ging er einfach weiter.

      Als sich seine Augen endlich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er eine zusammengekauerte Gestalt am Boden liegen. Es konnte ein betrunkener Obdachloser, ein betrunkener Jugendlicher oder ein Toter sein. Vorsichtig ging er weiter, wobei er gegen eine Bierflasche stieß, die klirrend davonrollte. Das Geräusch, das sie dabei verursachte, war so laut, dass er erschrocken zusammenzuckte.

      Abgesehen von den Gerüchen, die ihm fast die Tränen in die Augen trieben, quoll die kleine Gasse auch noch vor lauter Müll fast über. Doch je näher er der Gestalt am Boden kam, desto leiser wurde die Melodie in seinen Ohren. Und allein das sagte ihm, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte.

      „Eine Frau“, murmelte er leise vor sich her, als er ein Gesicht und lange Haare erkennen konnte. Eine Wolke, die zuvor den Mond verdeckt hatte, zog gerade weiter, sodass das silberne Licht feine Züge und einen großzügigen Mund offenbarte. Ihn traf fast der Schlag, als er in der bewusstlosen Frau den Geist aus dem Park wiedererkannte.

      Na ja, ein Geist konnte sie ja nicht gewesen sein, wenn er sie jetzt hier vorfand. Doch was war, wenn sie tot war? Eine unbekannte Panik ergriff von ihm Besitz. Er hatte schon unzählige Geister gesehen, war in Hunderten Spuckhäusern gewesen, doch einem toten Menschen war er seit der Beerdigung seiner Großmutter nicht mehr nahe gekommen.

      Doch im Grunde genommen glaubte er nicht, dass sie nicht mehr atmete. Er wusste auch nicht, warum er sich da so sicher war. Vorsichtig kniete er sich hin, um nach der Hand und somit dem Puls zu tasten.

      Er war spürbar, genau wie die Kälte, die von der jungen Frau ausging. Kurzerhand nahm er den leblosen Körper auf den Arm. Mit verstohlenen Blicken und schnellen Schritten brachte er sie zum Hintereingang des Hotels und schließlich hinauf in sein Zimmer. Diesmal blieb ihm die Begegnung mit einem Uniformierten erspart.

      Als er sie auf seinem Bett ablegte und die fremd aussehende Kleidung musterte, wurde ihm bewusst, was er getan hatte. Im Grunde genommen hatte er eine bewusstlose Frau auf sein Hotelzimmer gebracht, das auf seinen richtigen Namen gebucht war. So machte er das schon seit Jahren.

      Früher hatte er seinen Künstlernamen benutzt, um seine richtige Identität geheim zu halten. Doch seitdem eine junge Frau ihn aufgespürt und ihm mit Pfefferspray in einer Hotelbar aufgelauert hatte, weil sie wollte, dass er mit ihr ausging, war er dazu übergegangen, seinen richtigen Namen zu nehmen.

      Wenn also jemand jetzt reinkommen würde, dann hätte er definitiv schlechte Karten und würde im Gefängnis landen. Er konnte ja wohl kaum erklären, eine seltsame Melodie habe ihn zu ihr geführt und da sei sie schon bewusstlos gewesen.

      Als sich das Bild einer hereinstürmenden Polizeibrigade in seine Gedanken stahl, schüttelte er bewusst den Kopf, ehe er sich dem aktuellen Problem zuwandte. Was in drei Teufels Namen sollte er jetzt mit der Frau anstellen?

      Edrè

      Melina schaute schwer atmend auf die leblosen Körper, die am Boden lagen. Ophir stand neben ihr und ließ den Kopf hängen. Sie selbst konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und ihr eigenes Blut tropfte unablässig auf den steinigen Boden.

      „Celeste!“, schrie sie in die Leere, die sie nun umgab. Ein Schauer der Angst überfiel sie. Celeste war verschwunden. Einfach so, vor ihren Augen. Zusammen mit Azia. Ophir stieß ein Brüllen aus, doch auch er bekam keine Antwort. In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken nur so umher.

      Ihr rechter Knöchel