Serena S. Murray

Celeste - Siehst du mich?


Скачать книгу

      „Wir wissen es nicht genau. Es war nicht unsere Absicht, in euer Reich einzudringen“, erwiderte Melina.

      Der Gott schaute sie nachdenklich an. „Ich glaube dir. Dann wurdet ihr wohl von jemandem hierher gebracht. Und zwar von jemandem, der euch nicht besonders wohlgesinnt ist.“

      „Wie kommt ihr darauf?“, fragte Celeste.

      „Weil jeder, der die Kraft zu solche einer Tat besitzt, weiß, dass ich Eindringlinge normalerweise ohne zu fragen aus meinem Reich tilge.“

      „Und ich nehme an, sie sind dann nicht mehr dazu in der Lage, Fragen zu stellen oder zu beantworten“, erwiderte Melina trocken.

      „Ja, genau.“

      „Was hat euch diesmal davon abgehalten?“, forderte Celeste ihr Schicksal heraus. Ihr war durchaus bewusst, dass sie hier erst einmal festsaßen. Das hieß, entweder konnten sie Hades überreden, ihnen zu helfen, oder sie wären hier unten gefangen. Und niemand konnte sagen, ob der Gott nicht doch seinen Gewohnheiten treu blieb und sie tötete.

      „Dein Blut.“

      Erstaunt erwiderte Celeste: „Mein Blut?“

      „Ja. Das getrocknete an deiner Kleidung und das frische in deinem Gesicht. Dein Blut verrät mir etwas, das du wahrscheinlich nicht einmal weißt.“

      Als mit einem Mal ein strahlendes Lächeln auf Hades’ Gesicht erschien, schauten sie ihn misstrauisch an. In Gedanken musste Celeste Azia zur Ruhe zwingen, denn ihr Adler wollte Hades am liebsten die Augen auspicken.

      „Wisst ihr was? Ich bin gerade in der Stimmung, in diesem ganzen Spiel ein wenig mitzumischen. Das heißt, ich werde euch nicht töten. Dafür werde ich euch eine Geschichte erzählen.“

      Celeste konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass der Gott mit ihnen spielte. Doch hatten sie eine andere Wahl, als mitzuspielen?

      Als Hades einmal mit der Hand in der Luft wedelte, erschien auf der Wiese mit einem Mal eine große Decke. In der Mitte stand ein Weidenkorb, in dem sich eine Flasche Wein, Gläser und allerlei Köstlichkeiten befanden. Hades ließ sich aufseufzend nieder und schenkte sich zuallererst ein Glas der roten Flüssigkeit ein.

      „Möchtet ihr auch ein Gläschen?“

      Beide Frauen schüttelten den Kopf.

      „Aber zumindest könntet ihr die Höflichkeit besitzen, euch zu setzen.“

      Nur widerwillig kamen sie dieser Bitte nach, die sich eher wie ein Befehl anhörte.

      Zufrieden nippte der Gott des Todes an seinem Glas, ehe er zu sprechen anfing: „Kennt ihr die Legende über Lamia?“

      Melina und Celeste nickten zustimmend.

      „Gut, gut. Aber bevor wegen Lamia Edrè geschaffen wurde, existierten nur drei Ebenen. Die Welt der Götter, die Erde und die Unterwelt. Je nach Land und Kultur hat man mir und den anderen Göttern verschiedene Namen gegeben. Aber das Ergebnis war das gleiche. Alle Verstorbenen landeten in der Unterwelt und von hier aus wurden sie verteilt.

      Ich hatte Tausende Untergebene, die für Ordnung sorgten. Darunter auch niedere Götter. Da gab es zum einen Thanatos. Er kümmerte sich um die Seelen, die eines natürlichen Todes gestorben waren. Seine Schwester Ker war für diejenigen zuständig, die gewaltsam von der Oberfläche getilgt wurden.

      Doch als Zeus und die Götter, die sich um ihn geschart hatten, Lamia zu besiegen versuchten, erschufen sie unbeabsichtigt eine vierte Ebene.“ Zum ersten Mal wurde Hades’ Stimme bitter.

      „Und da es ihre erneute Aufmerksamkeit gefordert hätte, die alte Weltordnung wiederherzustellen, haben sie es so belassen, wie es war. Doch man gab einigen Menschen besondere Kräfte. Später wurden sie die Dunklen genannt. Sie wurden ausgebildet, damit die Seelen eingefangen werden konnten. Wahrscheinlich bin ich der einzige Gott, der sieht, dass eure Welt anfängt zu bröckeln. Jemand oder etwas hat einen Riss im Tartaros versursacht, der direkt nach Edrè geht.“

      „Was ist der Tartaros?“, fragte Celeste.

      „Das, kleine Dunkle, ist der Ort, an dem früher die Seelen und Monster gefangen gehalten wurden, die so viel Blut an ihren Händen kleben hatten, dass sie erst einmal ausgiebig bestraft werden mussten, bevor ich sie wieder in die Welt entlassen konnte. Manche leben dort seit Jahrtausenden.“ Erneut unterbrach Hades seine Erzählung. Genüsslich nahm er ein Stück Brot und Käse aus dem Korb.

      Jede Faser in Celeste wollte ihn dazu bringen, mit seiner Erzählung fortzufahren, doch sie wusste, dass sie ihn nicht drängen konnte. Schließlich nahm er den Faden doch wieder auf.

      „Ihr überlegt jetzt sicherlich, dass das der Grund ist, warum so viele Monster in eurer Welt auftauchen. Ja, das ist durchaus möglich.“

      „Könnt ihr das Loch wieder verschließen?“, fragte Melina vorsichtig.

      Hades lächelte die Bergnymphe nachsichtig an. Nur Celeste konnte sehen, dass ihre Freundin daraufhin die Hände zu Fäusten ballte. Äußerlich war ihr ihr Unmut aber nicht anzusehen.

      „Das könnte ich, wenn ich denn die Muße hätte, so viel Kraft zu investieren. Denn der Tartaros ist kein Ort, an dem sich ein Gott mit genügend Verstand aufhalten würde. Ich bin mächtig und doch würde ich mindestens einhundert Jahre benötigen, um den Riss zu verschließen. Thanatos und Ker haben kaum noch Kraft, da sie niedere Götter sind und ohne eine Aufgabe irgendwann einfach aufhören werden zu existieren.“ Hades legte den Kopf schräg, schaute sie an und machte ein betont unschuldiges Gesicht. Doch das kauften sie ihm nicht ab.

      „Ihr solltet euch überlegen, ob ich es nicht bin, der dabei hilft, eure Welt zu zerstören. Immerhin waren die Toten vorher meine Aufgabe. Oder es ist vielleicht jemand völlig anderes, der nicht möchte, dass ihr das eben Gehörte wisst.“ Als Hades aufstand, folgten sie seinem Beispiel.

      „Und nun verabschiede ich mich von euch.“ Celeste sah, dass der Gott vergnügt in die Hände klatschte, dann drehte sich die Welt um sie herum auch schon.

      Kapitel 3

      Edrè

      Celeste beugte sich gerade über Melina, als die Felswand vor ihr einfach zerbröckelte, bis nur noch grauer Sand auf dem Boden lag.

      „Melina, wach auf. Komm schon, du machst mir Sorgen“, sagte sie drängend, während sie Melinas Körper in eine sitzende Position brachte. Die Luft war stickig in dem Gang und Celeste zitterten noch immer die Beine. Im Grunde genommen konnten sie froh sein, dass Hades sie wirklich hatte gehen lassen.

      Endlich hörte sie von Melina ein Stöhnen, was Ophir gleich dazu brachte, sich an Celeste vorbeizudrängen und der Nymphe einmal quer über das Gesicht zu lecken.

      „Ophir, lass das“, murmelte Melina müde.

      Das brachte Celeste endlich zum Lächeln. „Komm, wir sollten weitergehen. Ich habe keine Lust, noch einmal in eine Falle zu geraten. Das nächste Mal fallen wir vielleicht in den Tartaros.“

      Das brachte Melina endlich dazu, ihre Augen zu öffnen. Irritiert sah sie sich um. „Wir leben noch, oder?“

      „Ja“, stieß Celeste lachend aus. Dann half sie ihrer Freundin beim Aufstehen, doch auch Melinas Beine wollten nicht so recht mitspielen.

      „Pass auf, ich heb dich auf Ophirs Rücken. Festhalten musst du dich aber selber.“

      Celeste unterdrückte ein Schnaufen, als sie der größeren Frau auf den Rücken des Löwen half. Zum Glück hatte Ophir verstanden, was sie vorhatte, denn er legte sich auf den Boden, sodass sie es schaffte. Doch auch so hatte er noch eine beachtliche Größe. Als Melina endlich sicher verstaut war, ging Celeste voran, während Azia auf ihrer Schulter saß und Ophir ihr folgte.

      „Glaubst du, Hades’ Geschichte stimmt?“, hörte sie Melina hinter