Serena S. Murray

Celeste - Siehst du mich?


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der Garde liegt es in meinem Aufgabenbereich, mich um seine und um die Sicherheit der unseren zu kümmern.“

      Celeste hegte gemischte Gefühle für den Prinzen der Bergnymphen. Er war zwar der Zweitgeborene des Königspaares, doch schon früh hatte Melina sich dagegen ausgesprochen, eines Tages zu regieren. Vielleicht hätte der Prinz dann eine andere Kindheit gehabt. Doch so wurde er seit seiner Geburt darauf vorbereitet, den Platz seiner Eltern einzunehmen.

      Wie viele Nymphen hegte er ein gewisses Desinteresse den Menschen gegenüber. Doch die Anführer der Häuser und die Generäle der Dunklen konnte er nicht einfach ignorieren. Und dieser Umstand missfiel dem Prinzen zunehmend. Dazu kam, dass seine Schwester, die jederzeit Anspruch auf den Thron erheben konnte, mit einer Dunklen befreundet war. Sie verstand zum Teil seine Beweggründe und doch gefiel ihr nicht, wie er sich ihr gegenüber verhielt.

      Als der Gang vor ihnen mit einem Mal endete, blieben sie verwirrt stehen.

      „Das ist neu“, murmelte Melina, während sie mit der Handfläche das Gestein abtastete, das ihnen den Weg versperrte.

      Das Gefühl einer nahenden Bedrohung überkam Celeste, noch bevor Ophir vor ihr anfing zu knurren.

      „Wir sollten …“ Zu mehr kam die Dunkle nicht, denn der Boden unter ihnen öffnete sich, sodass sie in die Dunkelheit hinabstürzten. Ein Schrei entwich ihrer Kehle, doch ihr Glück war, dass sie kein normaler Mensch war. Bevor sie unten aufschlug, löste sie ihren Körper auf. Erst am Boden verfestigte sie sich wieder. Azia kam mit kräftigen Flügelschlägeln direkt über ihr in der Luft zum Stehen. Mit einem dumpfen Aufprall landete auch Ophir neben ihr, mit Melina auf seinem Rücken.

      „Jetzt würde ich behaupten, das war doch eine Falle“, sagte die Bergnymphe, als sie sich kampfbereit umsah.

      Auch Celeste ließ ihren Blick schweifen und erstarrte. Vor ihnen befand sich eine Steinbrücke, die an den Seiten von Efeu berankt war. Unter der Brücke strömte ein Fluss hindurch. Sogar Fische konnte sie durch das glasklare Wasser schimmern sehen. Es roch nach Frühling und sie sah einzelne Vögel umherfliegen. Sie folgte dem Flusslauf mit den Augen und erkannte nicht weit von ihnen entfernt eine steile Felswand. Ein Wasserfall füllte den Fluss mit frischem Wasser.

      Doch was Celeste eine Gänsehaut bescherte, war die Stille. Denn obwohl sie all das sahen, hörten sie nichts.

      „Wo sind wir hier?“, fragte sie in der Hoffnung, dass Melina eine Antwort hatte.

      Doch die Bergnymphe konnte nur mit den Schultern zucken. Zumindest konnten sie miteinander sprechen.

      Neben dem Fluss erstreckte sich eine Wiese wellenartig in ein Tal hinab. In der Ferne sahen sie einen Palast, doch Celeste konnte nicht einschätzen, wie weit er wirklich entfernt war.

      Als kleine fliegende Schuppentiere sich von der Wiese erhoben, fragte Celeste angespannt: „Kannst du deine Kräfte benutzen?“

      „Ja, wenn auch etwas langsamer als sonst. Wie sieht es bei dir aus?“

      Auch Celeste versuchte die Kraft in ihrem Körper anzuzapfen und stellte beruhigt fest, dass ihre Kräfte anders als im Gebiet der Waldnymphen einsatzbereit waren. „Ja.“ Misstrauisch beäugte sie die kleinen Flugwesen, die sie nun sichtbar aufgeregt umflogen. Azia startete aus der Luft immer wieder Scheinangriffe, doch die kleinen Wesen ließen sich davon nicht beirren.

      „Das sind Drachen“, flüsterte Melina ehrfürchtig, als sie eine Hand austreckte und sich eine der fliegenden Echsen darauf niederließ.

      Intelligente Augen saßen auf einem länglichen Kopf. Die Flügel sahen so aus, als ob die kleinste Berührung ein Loch hineinreißen konnte. Der Schwanz war genauso lang wie der schmale Körper. Mit ihm hielt das kleine Wesen Melinas Handgelenk umschlungen. Als das kleine Wesen eine Flamme ausstieß, lachte die Bergnymphe erfreut auf.

      Nur Celeste hielt sich noch zurück, da sie den kleinen Wesen nicht traute. Erst als einer der Drachen direkt vor ihrem Gesicht mit schlagenden Flügeln anhielt, streckte sie vorsichtig die Hand aus, um ihn zu streicheln. Die Haut fühlte sich wie eine Rüstung an, sie war hart und angenehm warm. Sogar die Farbe der Schuppen war unterschiedlich und bei näherer Betrachtung glitzerten sie im Licht der unecht wirkenden Sonne am Firmament.

      „Was sind Drachen?“, fragte sie.

      „Das sind Wesen, von denen wir Nymphen annahmen, dass sie eine Erfindung sind. Fabelwesen sozusagen. Sie wurden von Hephaistos erschaffen, dem Gott des Feuers.“

      Als ob die Drachen beweisen wollten, dass sie eben nicht nur Fabelwesen waren, kamen nun immer mehr angeflogen, bis auch Azia ihre Versuche, sie zu vertreiben, aufgab und auf Celestes Schulter Platz nahm. Von Ophir hielten die fliegenden Wesen wohlweislich Abstand, denn der Löwe machte nicht den Anschein, dass er eines dieser Wesen in seiner unmittelbaren Umgebung dulden würde.

      Als dann doch ein lautes Geräusch die Luft durchschnitt, zuckten Melina und Celeste zusammen. Die Drachen flogen eilig davon, um sich im hohen Gras ihrer Wiese zu versteckten. Die beiden Frauen zogen kampfbereit ihre Schwerter.

      Adrenalin durchströmte Celestes Körper, als ein Streitwagen mit vier schwarzen Pferden auf sie zugerast kam. Ein hochgewachsener Mann in feinster Seide gehüllt hielt die goldenen Zügel. Da der Wagen nicht anhielt, sprangen sie zur Seite, bevor sie unter die Hufe oder die Räder kommen konnten. In einiger Entfernung wendete das Gespann, bis es dann schließlich doch stehen blieb.

      Melina stellte sich an Celestes Seite, bereit, sich zu verteidigen. Ophir und Azia hielten auf Anweisung Abstand, doch auch sie waren nervös.

      Hasserfüllte Augen musterten die beiden Frauen und es kostete Celeste alle Selbstbeherrschung, nicht erneut zusammenzuzucken, als er das Wort an sie richtete: „Wer seid ihr, dass ihr es wagt, in mein Heiligtum einzudringen?“

      „Wenn ihr uns sagt, wo genau wir hier sind, können wir darauf vielleicht eine Antwort geben“, erwiderte Celeste.

      Als der Mann eine Peitsche in die Hand nahm und mit dieser nach ihr schlug, war sie nur eine Sekunde zu langsam. Das Ende erwischte sie mitten im Gesicht, sodass eine blutige Wunde unterhalb ihres rechten Auges entstand. Ihre Wut verleitete sie beinahe dazu, zum Gegenangriff überzugehen, doch ihr jahrelanges Training brachte sie zur Vernunft. Nachdem sich der rote Schleier vor ihren Augen entfernt hatte, sah sie, dass der Fremde sie nachdenklich musterte.

      „Du blutest“, stellte er erstaunt fest.

      Celeste wischte mit dem Handrücken über ihre Wange und wich dem Blick des Mannes nicht aus, als sie antwortete: „Ist das jetzt eine Frage oder eine Feststellung?“

      Melina zischte neben ihr. Auch die Bergnymphe war sich der Gefahr bewusst, in der sie schwebten. Sie hätte wahrscheinlich weniger aufmüpfig geantwortet, doch Celeste konnte nun einmal nicht aus ihrer Haut.

      Als der Fremde den Kopf in den Nacken legte und anfing zu lachen, sahen sich die beiden Frauen irritiert an.

      „Dein loses Mundwerk ist köstlich. Es kann dich eines Tages das Leben kosten, aber ich muss sagen, dass sich schon lange kein Sterblicher mehr so frech mit mir unterhalten hat.“

      Diesmal sagte Celeste nichts. Der Mann stieg von seinem Streitwagen ab, wodurch zu erkennen war, dass er mindestens zwei Köpfe größer war als Melina, die schon eine beachtliche Größe besaß.

      „Ihr seid hier in der Unterwelt, in der es seit Ewigkeiten keine toten oder lebendigen Sterbliche mehr gegeben hat.“

      „Ich bin eine Bergnymphe und keine Sterbliche“, rutschte es nun Melina heraus.

      Das brachte ihr auch sogleich einen interessierten Blick ein. „Ja, jetzt, da du es sagst, sehe ich das auch. Und deine Freundin kommt anscheinend auch aus Edrè.“ Der Mann schüttelte den Kopf, so, als habe er zuvor etwas vergessen oder als ob er einen lästigen Gedanken abschütteln wollte. „Mein Name ist übrigens Hades.“

      „Hades, der Gott der Unterwelt?“, fragte Celeste überrascht. Sie war in ihrem ganzen Leben noch keinem Gott begegnet und nun musste