Serena S. Murray

Celeste - Siehst du mich?


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ohne vom dichten Wald behindert zu werden. Adrenalin verschärfte ihre Reflexe, sodass sie Steinen auswich, die so groß wie sie selbst waren und offensichtlich auf sie geworfen wurden.

      Sie hörte Azias Schrei und wusste, dass die nächste Lichtung nicht mehr weit entfernt war. Doch das Monster war schnell. Dummerweise schneller als gedacht. Sie spürte, wie ihre Beine unter ihr weggerissen wurden und sie hart auf dem Boden aufschlug.

      Benommen schüttelte sie den Kopf. Doch als Celeste den Blick hob, stockte ihr der Atem. Über ihr ragte ein Ungetüm auf, dessen weißes Fell einen üblen Gestank verströmte. Statt Klauen besaß das Tier riesige schaufelartige Enden der Arme und Beine. Der Kopf bestand aus winzigen Augen, die offensichtlich nicht zum Sehen gedacht waren. Dafür schien sich das Monster auf seine längliche Nase zu verlassen, so sehr wackelte diese umher.

      Als es das Maul aufriss und ein triumphierendes Brüllen ausstieß, sah Celeste jeweils vier lange Eckzähne und etliche kurze, dafür aber umso spitzere Zähne. Offenbar dachte das Monster, es habe sie erlegt. Dadurch erhielt Celeste wertvolle Zeit. Mit ihrem Schwert hieb sie auf beide Arme des Angreifers ein, ehe sie sich wegrollte.

      Den Schmerz in ihrem Körper ignorierend, kam sie wieder auf die Beine, nur um von einem Arm erwischt zu werden, der sie in die Luft schleuderte. Doch damit landete sie fast auf der Lichtung, die Azia ihr zuvor gezeigt hatte.

      Keuchend kam sie wieder auf die Beine. Blut und Schweiß liefen ihr über das Gesicht, während ihr Blick einzig und allein auf das Monster gerichtet war. Dieses wiederum nahm ihr den Angriff ziemlich übel, es brüllte vor Schmerz und Wut laut auf und vertrieb somit alle Tiere in der näheren Umgebung endgültig.

      Als es auf allen vieren vorwärtsstürmte, hob sie ihr Schwert, das sie zum Glück noch nicht verloren hatte. Jedes einzelne Training, jede Niederlage und jeder Erfolg halfen ihr jetzt dabei, am Leben zu bleiben. Mit geübten Bewegungen hieb sie auf Teile des Monsters ein, die sie erreichen konnte.

      Das Brüllen wurde dadurch immer lauter. Sie bekam sogar den ätzenden Speichel des Ungetüms ab, während sie unter ihm hindurchrannte. Als er zu Boden ging und diesen mit seinem Blut tränkte, konnte sie gerade noch nach hinten springen, sonst hätte es Celeste unter sich begraben.

      Schwer atmend und schwerer verletzt als sie sich eingestehen wollte gönnte sie sich eine kurze Pause, um wieder zu Atem zu kommen. Die Haut unter dem Fell schien so fest zu sein, dass sie es zwar verletzen konnte, aber nicht so sehr, dass es liegen blieb. Das hieß, ihr Überleben hing davon ab, wie lange sie durchhielt. Wenn sie das Monster oft genug verletzte, bevor es sie erwischen konnte, hatte sie eine Chance, ihm den Garaus zu machen, bevor sie ihren letzten Atemzug tat. Noch während sie erneut losstürmte, richtete das Monster sich wieder auf. Suchend wackelte seine Nase auf dem Boden, bis es ihren Duft fand.

      Mit erhobenem Schwert und Azia in der Luft, die immer wieder von oben Angriffe flog, startete Celeste neue Angriffe. Doch das Zischen eines Pfeils an ihrem rechten Ohr ließ sie zur Seite springen.

      Erstaunt sah sie, wie das Geschoss in der Brust des Monsters stecken blieb. Es brüllte und schlug mit den Armen wild um sich, da ergriff Celeste ihre Chance. Sie rannte auf das meterhohe Ungetüm zu und schlug ihr Schwert in seine Beine. Mit einem Hechtsprung und einer Rolle über den weichen Rasenboden rettete sie sich davor, von dem fallenden Monster zerquetscht zu werden.

      Weitere Pfeile kamen aus dem Wald angeflogen, ohne dass sie einen Schützen ausmachen konnte. Celeste wusste, dass die Pfeilspitzen aus reinem Silber zuvor in eine Tinktur getaucht worden waren, die das Monster lähmen sollte. Doch die Wut und der Schmerz bewirkten, dass die ganze Prozedur länger dauerte. Und so hielt Celeste es eine Weile weiter vom Boden aus in Atem, während ihr unsichtbarer Verbündeter einen Pfeil nach dem anderen abschoss.

      Als es endlich mit einem riesigen Knall bewusstlos auf dem Boden aufschlug, war Celeste völlig außer Atem und ihr Körper wies wahrscheinlich Hunderte blauer Flecken auf. Keuchend und auf den Knauf ihres Schwertes gestützt, ließ sie das Monster nicht aus den Augen. Ein letzter Pfeil wurde abgeschossen. Natürlich landete er genau im Hintern des Monsters. Allein das sagte ihr schon, wer ihr wahrscheinlich gerade das Leben gerettet hatte.

      „Haben wir jetzt ein unentschieden oder liege ich noch in Führung?“, rief Celeste laut genug, dass Melina sie hören konnte. Das glockenhelle Lachen der Nymphe war Balsam für Celestes Ohren.

      „Ich glaube, ich liege noch zwei Lebensrettungen hinter dir.“

      Endlich drehte sie den Kopf in Richtung Waldrand. Genau richtig, um die majestätische Erscheinung ihrer Freundin dabei zu beobachten, wie sie von Baum zu Baum sprang, nur um direkt neben ihr zu landen.

      „Angeberin“, kommentierte sie lächelnd den Auftritt ihrer Freundin.

      Melina grinste wissend zurück. „Der ist ganz schön groß. Meinst du nicht?“, lenkte die Nymphe das Thema zurück auf das Monster.

      Dabei schwangen ihre spitzen Ohren vor und zurück, was Celeste dazu veranlasste, nach Azia Ausschau zu halten. Doch der Adler war mittlerweile wieder die Ruhe selbst. Sie konnte keine weitere Gefahr wahrnehmen. Und auch Melina gab ihr zu verstehen, dass sie erst einmal in Sicherheit war, indem sie ihren Köcher mit Pfeilen und ihren Bogen auf dem Boden ablegte und um das Monster herumlief.

      „Ja, das dachte ich vorhin auch, als er mich quer durch die Luft geschleudert hat. Hast du so eines schon einmal gesehen?“, griff Celeste die Frage der Nymphe auf.

      „Nein. Ich habe unserem Dekan bereits ein Bild geschickt. Wir sammeln derzeit alle Informationen über das Auftauchen neuer Monster, die wir kriegen können.“

      Jeder Nymphenstamm besaß einen Dekan, der für die Gebete zu den Göttern und das Sammeln von Wissen zuständig war und zu dem jede weibliche und jeder männliche Nymph eine mentale Verbindung aufbauen konnte. Celeste hatte Melinas Dekan ein einziges Mal getroffen und hatte den Mann auf Anhieb unsympathisch gefunden. Doch auf seinem Gebiet war er eine Legende und viele andere Stämme holten sich oft Rat bei ihm ein.

      „Ist das der Grund, warum du den Berg verlassen hast?“, fragte Celeste. Jeder Fremde hätte Melina sofort als Prinzessin der Bergnymphen erkannt.

      Wie all ihre Stammesangehörigen trug sie ihr mitternachtsschwarzes Haar lang. Einzelne weiße Federn ihres Reittieres waren kunstvoll eingebunden worden. Ihre Kleidung bestand aus einem Material, das selbst den schärfsten Klingen, Pfeilspitzen und Klauen standhalten konnte. Auch hier waren die Farben Schwarz und Weiß kunstvoll vertreten. Doch Celeste hatte schon immer Melinas Augen als am auffälligsten empfunden. Die Nymphen besaßen größere Augen als die normalen Menschen und Dunklen, doch Melinas Augen hatten die Farbe des tiefsten Ozeans, was eine Seltenheit darstellte.

      „Uns erreichten Meldungen in ganz Edrè, dass die Berge, Wälder und Gewässer vermehrt von Monstern angegriffen werden. Eigentlich war ich auf dem Weg zu dir, um in Erfahrung zu bringen, ob ihr Dunklen etwas darüber wisst.“

      Celeste schüttelte den Kopf. „Nein, nicht mehr als ihr, denke ich.“

      „Und was machst du im Gebiet der Waldnymphen?“, fragte Melina.

      „Ich war auf dem Weg zum heiligen Tempel.“

      Die Nymphe lachte laut auf und warf dabei schwungvoll ihre Haare über die Schulter. „Was für ein Zufall, denkst du jetzt bestimmt.“

      Ein Kribbeln in ihrem Nacken ließen daran allerdings Zweifel in Celeste aufkommen. Deshalb antwortete sie: „Nein, diesmal gebe ich dir recht. Ich denke nicht, dass das ein Zufall ist.“

      Aus Melinas Gesicht verschwand das Lachen und nun sah Celeste sich einer ernsthaft besorgten Nymphe gegenüber stehen. Normalerweise waren Nymphen eher Wesen, die nach dem Kopf entschieden. Doch Melina war auch in dieser Sicht anders. Sie vertraute ihrem Gefühl. Und sie gab nichts auf Zufälle. Alles hatte einen Sinn, das war ihre Einstellung.

      „Wenn du mal einer Meinung mit mir bist, dann liegt etwas im Argen. Was ist los? Warum reist du zum Tempel? Dir ist doch klar, dass deine Weisen dich nicht einmal in die Nähe ihrer Heiligtümer kommen lassen.“ Melinas