Serena S. Murray

Celeste - Siehst du mich?


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gerufen hatte, und genau dieser Gedanke verursachte ihr regelrecht Magenschmerzen.

      „Ihr seid Feiglinge“, spie Melina hocherhobenen Hauptes aus. Die Augen der Krieger sprühten Feuer, doch die Frauen flüsterten das Wort Prinzessin, sodass sich die Männer an die Etikette erinnern mussten.

      „Auf allen Kontinenten gehen die Nachrichten von vermehrten Monsterangriffen umher, doch ihr versteckt euch lieber, anstatt euer Wissen mit euren Brüdern und Schwestern zu teilen. Stattdessen missachtet ihr das Opfer eurer gefallenen Krieger. Allein, dass euch ein Chimäre begleitet, sagt mir, dass ihr schon Söldner anheuert, weil eure Angst euch dazu zwingt, euren Stolz zu vergessen.“

      Celeste wartete mit angehaltenem Atem auf die Antwort der Waldnymphen, doch sie sahen Melina nur voller Verachtung an, ehe sie einfach an ihnen vorbeigingen. Dabei konnte sie etliche Verletzungen erkennen, die eigentlich hätten versorgt werden müssen. Der Chimäre, den Melina zu kennen schien, blieb noch stehen und beobachtete alles um sie herum ganz genau. Seine Augen waren von einem strahlenden Gelb, wobei seine etwas zu langen Haare so dunkel wie die Baumrinde hinter ihm waren.

      „Elhan?“, sagte Melina leise, so dass die Krieger sie nicht hören konnten.

      Doch der Mann schwieg und sah Melina nur durchdringend an. Als die kleine Gruppe nicht mehr zu sehen war, verschwand auch er im Dickicht des Waldes. Melina sah ihm mit gerunzelter Stirn hinterher. Celeste ließ sich ächzend auf einen umgefallenen Baumstamm sinken, was ihr Melinas Aufmerksamkeit zurückbrachte.

      „Wie geht es dir?“

      „So weit ganz gut. Diesmal habe ich nichts abbekommen.“ Nachdenklich schaute sie auf die Leichen der drei Krieger hinunter.

      „Wir können sie nicht einfach so hier liegen lassen“, sagte Celeste, während sich ihre Freundin neben sie setzte.

      „Nein, das können wir nicht.“

      Celeste warf Melina einen fragenden Seitenblick zu, ehe sie fragte: „Woher kennst du diesen Elhan. Ich hätte nicht sagen können, dass er ein Chimäre ist. Diese Mischwesen wissen, wie sie sich unauffällig verhalten können. Es ist das erste Mal, dass ich die legendäre Kampfkunst dieser Wesen aus erster Hand sehen konnte.“

      Melina seufzte laut auf. „Das ist eine lange Geschichte. Er ist mir einmal zu Hilfe gekommen, als ich in einen Hinterhalt geraten bin. Er verwandelt sich in einen Bären, doch nur, wenn es unbedingt notwendig ist. Ich schulde ihm etwas, das ist der Grund, warum es ihm erlaubt ist, sich in unserem Gebiet aufzuhalten. Doch wenn er von den Waldnymphen angeheuert wurde, dann bedeutet das nichts Gutes.“

      Celeste lachte trocken auf. „Du hast die Krieger ganz schön gereizt. Normalerweise hättet ihr euch bis aufs Blut bekämpft. Ich hätte vorher nicht gedacht, dass es mir mal mehr Angst macht, wenn ihr es nicht tut.“

      „Das war meine Absicht. Ich wollte sehen, ob sie darauf eingehen. Und trotzdem sind meine Worte wahr. Sie sind Feiglinge, die lieber zuerst sich in Sicherheit bringen, ohne den anderen Stämmen Bescheid zu geben.“

      „Lass uns am besten die Krieger beerdigen, und dann sollten wir weiterziehen.“

      Melina nickte, sagte aber: „Wir können sie nicht einfach so unter die Erde bringen. Sie sind Geschöpfte des Waldes.“

      Schweigend sah Celeste zu, wie sich die Bergnymphe auf den Boden setzte, ihre Beine übereinanderschlug und die Augen schloss. Normalweise würde eine Nymphe solch ein Ritual vor den Augen eines Menschen oder eines Dunklen nie durchführen. Wieder einmal verspürte Celeste eine tiefe Dankbarkeit dafür, dass Melina sie an so etwas teilhaben ließ. Die Seelen der Krieger waren bereits aus den Körpern gefahren. Was übrig blieb, war eine leere Hülle. Es gab unter den Dunklen eine Eliteeinheit, die sich um die Seelen derer kümmerten, die in dieser Welt starben. Sie würden dafür sorgen, dass die Krieger wiedergeboren werden konnten.

      Celeste spürte, wie Wind aufkam und die Blätter um sie herum zum Rascheln brachte. In der Luft waren die leisen Töne einer Harfe zu hören. Melinas Macht entfaltete sich. Auch wenn sie nicht als Waldnymphe geboren wurde, konnte sie doch an uralte Rituale anknüpfen.

      Leises Lachen drang an ihre Ohren. Durch die herabfallenden Sonnenstrahlen sah der Moment noch magischer aus, als sich Wesen aus den Bäumen lösten. Auch wenn Celeste noch keine Dryade gesehen hatte, wusste sie, dass es diese Baumgeister gab. Sie waren mit den Nymphen verwandt, doch zogen sie es vor, lieber im Verborgenen zu leben.

      Drei Frauen lösten sich von den Bäumen. Statt Händen wiesen sie Wurzeln auf, mit denen jede der Dryaden einen der gefallenen Krieger umschlang. Langsam zogen sie die reglosen Körper über den Boden, ehe sie sie fast schon liebevoll in die Arme schlossen.

      Melina hielt noch immer ihre Augen geschlossen, doch Celeste sog den Anblick regelrecht in sich ein. Rückwärts bewegten sich die magischen Wesen zu ihren Bäumen zurück, aus denen sie gekommen waren. Nach und nach verschmolzen sie wieder mit den Stämmen, wobei die Krieger zusammen mit ihnen verschwanden. Sie waren schon nicht mehr zu sehen, da erklang noch einmal das glockenhelle Lachen, dann war es wieder ruhig. Melina beendete ihre Magie, dann öffnete sie ihre Augen.

      Wie gebannt starrte Celeste ihre Freundin an. Das Blau ihrer Augen war nun noch dunkler und sie hätte schwören können, dass sie Sterne in ihnen erkannte. Eine bleierne Müdigkeit ergriff von ihr Besitz. Mit den Händen hielt sie sich an dem Baumstamm fest, auf dem sie saß.

      „Ist alles in Ordnung?“, fragte Melina besorgt.

      „Ich bin auf einmal so müde“, antwortete Celeste mit schwerer Zunge. Es war, als ob sich ein Nebel über ihre Gedanken legte. Sie merkte kaum, wie Melina ihren Körper auffing, ehe er auf dem Boden aufschlug.

      „Ist schon gut, schlaf ein bisschen. Wenn du aufwachst, wird es dir besser gehen.“

      Celeste verstand die Worte kaum noch, da versank sie auch schon in seliger Dunkelheit. Ihr Körper entspannte sich, während ihr Atem immer langsamer wurde.

      London

      Ian starrte in den Himmel und saugte die Geräusche um sich herum auf. Das Gezwitscher der Vögel erinnerte ihn daran, dass es Frühling war. Er hatte sich einen Mietwagen genommen und war über eine Stunde lang in den Epping Forest gefahren. Es war ein kleines Stück Grün, nicht länger als achtzehn Kilometer, aber Ian verschlug es bei jedem seiner Besuche in London hierher. Er hatte Glück, außer ihm war kaum eine Menschenseele unterwegs.

      Als plötzlich wie aus dem Nichts jemand neben ihn trat, zuckte er erschrocken zusammen. Durch einen Seitenblick erkannte er die Frau wieder, die er in Griechenland getroffen hatte. Nur trug sie heute kein Kleid, sondern war dem Londoner Wetter angepasst. Ihr langer Mantel bewegte sich leicht im aufkommenden Wind.

      „Möchtest du mich denn nichts fragen?“

      Ian schüttelte unwillkürlich den Kopf, sagte dann aber: „Ich bin mir nicht sicher, was genau ich fragen soll.“

      „Doch, das weißt du.“ Die Frau lächelte ihn aufmunternd an, doch er hielt es für besser, sich erst einmal zurückzuhalten.

      Als sie seine linke Hand ergriff, widerstand er dem Reflex, vor ihr zurückzuweichen. Immerhin befand er sich zur Mittagszeit mitten in einem Wald. Dazu war er ein Mann und sie eine Frau. Doch das unbestimmte Gefühl einer Gefahr ließ sich einfach nicht unterdrücken.

      Die Frau schaute sich nachdenklich seine Handfläche an, die nur wenige helle Linien aufwies. Die meisten Schnitte, die er sich selbst zuzog, verheilten schnell wieder. Aber bei einigen Geistern, die wirklich Schaden anrichteten, dauerte es länger. Und ab und zu blieb eben doch einmal eine Narbe zurück. Er hatte schon der ein oder anderen Frau erklären müssen, dass diese Narben aus der Zeit stammten, in der er seinen Eltern im Pub geholfen hatte.

      „Du bist einer der wenigen Sterblichen, dessen Fantasie ihm dabei helfen wird, die bevorstehende Aufgabe zu bewältigen.“ Als sie seine Hand losließ, kribbelte seine Haut an den Stellen, an denen sie ihn berührt hatte.

      „Ich