Günter Tolar

Mein Mann


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ich das hörte, fuhr ich fünf Tage in die ewige Stadt - mit einem anderen Freund.

      Mein Herz zieht sich zusammen bei diesen Gedanken. Ordnung machen? Ich schäme mich zutiefst. Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen und spüre die Tränen, die über meinem ganzen Gesicht hängen. Mit Norbert habe ich das alles längst besprochen. Ausgeredet. Norbert wollte nie darüber reden, weil es ihm weh tat, in der Erinnerung und im Gespräch. Und weil es ihm leid tat, wenn ich mich zu Tränen schämte.

      Dann aber war der Widerstand irgendwann einmal gebrochen und ich sank hinein in die Wohligkeit der zweisamen Häuslichkeit. Mittlerweile hatte ich eine neue Wohnung gekauft und eingerichtet, in die dann Norbert, kaum war sie fertig, mit mir einzog.

      Als wir einander kennenlernten, war ich siebenunddreißig Jahre alt, Norbert einunddreißig. Mag sein, dass Norbert noch jung war, obwohl ich ihn immer als ganzen Mann in Erinnerung habe. Ich jedenfalls war nicht mehr jung. Alt genug, um keine ‚Jugendtorheit’ mehr zu begehen. Was ich da einging, war für immer bestimmt, für die Ewigkeit, wie man sie sich halt vorstellt, wenn man mit ihr nicht in Berührung kommt.

      In der neuen Wohnung lebten wir dann miteinander unsere fünfzehn Jahre, die uns gegeben waren. Bis zu dem Abend, als das Telefon in eben dieser Wohnung läutete. Das braune Telefon, dessen Farbe Norbert nicht mochte, und mir das Ende unseres Beisammenseins mitgeteilt wurde.

      Kapitel 4

      AM DONNERSTAG, DEM 14. MÄRZ 1991

      hatte ich sehr viel zu tun. Es war ein Tag außer der Norm. Wie sehr, das sollte ich erst nach Mitternacht erfahren.

      An normalen Tagen werkte ich im Büro und telefonierte mit Norbert zumindest einmal um die Mittagszeit herum, oft auch öfter. An diesem, eben unüblichen, telefonierten wir weder am Vormittag noch um die übliche Mittagszeit. Meine Sekretärin hatte sich einen Urlaubstag genommen, da ging es im Büro immer etwas störrisch her.

      Was mich gerade beschäftigte, notierte ich am Vormittag in meinem Tagebuch:

      „14.3.1991 - Im Büro - Sekretärin auf Urlaub.

      Ist ja nicht wahr, sage ich mir, das mit der Sex-Steuerung. Prof. Funo“ - in meinen Privatnotizen kürzte ich meinen Chirurgen Funovic so ab – „hat mir attestiert, dass ich gesundheitlich eine Art Midlife-Stabilität erreicht habe, die unbedingt gehalten werden müsse. Das mache aber auch Kräfte frei, meinte er. Und, ob ich das merke, fragte er.

      Aha. Das sind die Kräfte, die aus meiner Stabilität kommen. Und ich habe erhöhtes Sex-Bedürfnis immer eher für ein Zeichen der Instabilität gehalten.

      Was Letzteres betrifft, fühle ich mich wirklich nicht stabil. Schwach, zum Umfallen neigend, blödsinnig geil, blödsinnig.

      Je nach Gemütslage offensichtlich ein anderes Urteil. Wenn ich ‚drauf’ bin, dann ist alles in Ordnung und muss in Ordnung sein, weil ES sein MUSS.

      Stabilität. Stabil ist nur meine Instabilität.

      Was der Funo mit der Einführung dieses Begriffes angerichtet hat.

      ‚In unserem Alter’, sagte er, ‚setzt die Vernunft des Weglassens ein!’

      Weglassen, ja. Aber Vernunft? Ich habe mich noch selten so unvernünftig gefühlt.

      Ich hab’s dermaßen NICHT in der Hand, dass ich neugierig bin, was jetzt wieder kommt.“

      Infantile Sorglosigkeit im Tagebuch, Oberflächlichkeit, Darüber-Hin-Gleiten über alles, - und neugierig auf das, ‚was jetzt wieder kommt...’

      Ich hatte Besprechungen in der Stadt und ab Mittag Dreharbeiten mit dem beliebten Sänger Holecek in dessen Garten. Die Aufnahmen waren mühsam, weil Holecek sich dauernd versprach, dafür aber immer allem und jedem die Schuld gab, nur sich selber nicht. Ich fuhr noch vor Beendigung der Arbeiten weg, weil ich zu meinem Verleger musste, der sich eben anschickte, mein Buch über die Geschichte des ‚Theaters an der Wien’ zu veröffentlichen. Die Bilder waren noch auszusuchen. Die Besprechung war kurz nach fünfzehn Uhr zu Ende. Ich bestieg mit seinem Mitautor Josef Sills mein Auto und fand es höchste Zeit, den einzigen täglich feststehenden Anruf bei Norbert zu tätigen. Norbert hatte um halb vier Dienstschluss, knapp vorher telefonierten wir in jedem Fall, um zu besprechen, wie es am Abend würde, wer früher, wer später, wer von uns beiden wann nach Hause käme. Ich rief also, noch geparkt, vom Auto aus an und hatte sofort die Sekretärin von Norbert am Apparat.

      Sie war sehr aufgeregt und redete grell, wie froh sie sei, dass ich anriefe, Norbert sei um halb ein Uhr Mittag weggegangen mit der Bemerkung, er müsse für eine Stunde nach Meidling. Er habe noch gefragt, ob er etwas aus der Bäckerei zum Kaffee mitbringen solle, seine Mitarbeiterinnen hätten nein gesagt, es wäre noch was im Kühlschrank. Dann sei er gegangen. Sie hätten ihm noch nachgerufen, dass er seine Zigaretten auf seinem Schreibtisch liegen gelassen habe, aber er habe zurückgerufen, für die eine Stunde brauche er wohl keine Zigaretten. Das war das letzte, was sie von ihm gehört hätten. Jetzt sei es halb vier und er sei noch immer nicht da. Er sei doch der Chef des Büros und müsse als letzter alles absperren.

      Aber damit nichts aufkomme, bleibe sie noch bis halb fünf da.

      Ich versuchte sie zu beruhigen, Norbert würde schon kommen.

      Nein, beharrte sie, wenn er sich nur um fünf Minuten verspäte, rufe er immer an. Sie habe solche Angst. Die Befunde. Er habe nichts gesagt. Sie habe solche Angst, dass etwas in den Befunden stünde.

      Ein ferner Krampf, weither klirrendes Entsetzen fühlte ich kurz, ganz kurz, ganz weit weg. Norbert hatte einige Tage zuvor eine medizinische Durchuntersuchung über sich ergehen lassen.

      Ich fragte, ob sie wisse, dass er die Befunde schon erhalten hätte. Nein, antwortete sie, ich müsste ihn doch selber kennen, der Herr Norbert rede ja nichts darüber.

      Der ‚Herr Norbert’, dieser Respekt, er brachte die ferne Angst wieder ganz kurz in Bewegung.

      Ich spürte nun doch Unruhe in mir, aber noch keine Hysterie. Mein Gott, er würde schon auftauchen, wo sollte er denn sein!

      Ich bat die Sekretärin, sie möge gleich bei mir zuhause anrufen, sobald Norbert da sei. Notfalls solle sie auf das Tonband sprechen.

      Herr Sills fragte vorsichtig, ob da Grund zur Unruhe wäre. Ich war mir nicht sicher. Norbert war immer penibel pünktlich. Nicht immer im Privaten, aber immer im Beruflichen.

      Nachdem ich Herrn Sills vor dessen Wohnung abgesetzt hatte, fuhr ich sofort nach Hause. Mein erster Blick galt dem Anrufbeantworter. Er zeigte sieben Anrufe an, sechs waren nicht besprochen, aber der Anrufer hatte längere Zeit gehorcht, das Horchen war aufgezeichnet und zu hören. Der siebente war besprochen, es war die Sekretärin, die genauso grell wie vorhin berichtete, es sei halb fünf, sie gehe jetzt nach Hause, den Aktenkoffer von Norbert und seine Schlüssel sperre sie in den Schrank und er möge sie gleich, wenn er nach Hause käme, anrufen, sie mache sich solche Sorgen um ihn.

      Jetzt begannen meine fernen Ängste, das kalte Entsetzen, die mühsam weggedachte Unruhe sich zu nähern und in meinem Körper auszubreiten. Ich zwang mich, dennoch logisch vorzugehen. Fragen waren es, die ich mir stellte: Was hielt Norbert davon ab, im Büro anzurufen, was hielt ihn davon ab, zu Hause anzurufen, was hielt ihn davon ab, ins Büro oder nach Hause zu kommen.

      Ich beriet mich telefonisch mit unserem Freund Peter, dem Klavierdisponenten, der sich erbötig machte, Polizei und Rettung anzurufen. Er meinte, wenn ich das täte, mit meinem Namen, dann würde das Aufmerksamkeit erregen.

      Peter rief nach einer halben Stunde zurück und meldete, dass kein Fall mit dem Namen von Norbert anhängig war. Ich fragte dann noch im amtlichen Leichenschauhaus nach, ob irgendwo eine unidentifizierte Leiche sei. Auch der Bescheid war negativ. Ich befürchtete einen Verkehrsunfall, was sonst konnte es sein?

      Die Befunde! Hatte Norbert die Befunde schon? Stand da etwas drinnen? Er hatte eine panische Angst vor Krebs. Die Befunde! Ich wischte alle diese Gedanken beiseite, wer wollte denn so etwas wahr haben? Ich rief alle Bekannten, die mir einfielen, an und fragte, ob Norbert dort sei. Ich