Günter Tolar

Mein Mann


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auf und versenkte sie in den Abfallkübel. Alle Spuren verwischen. In Ruhe alles fertig machen und dann verschwinden. Das musste mein Geheimnis bleiben, da durfte mir niemand draufkommen und womöglich dreinreden. Norbert hieß das Vorbild. Er hatte es genau richtig gemacht. Nicht einfach umbringen, ordentlich umbringen, das war die vorläufig letzte Botschaft, die ich von ihm entgegennahm.

      Ich legte mich nieder.

      Da läutete es an der Wohnungstüre. Ich stand auf und fragte über die Gegensprechanlage, wer da sei.

      „Funkstreife“, meldete eine Stimme quäkend. Ich drückte erstaunt den Öffner. Was wollten die denn? Mir die Nachricht, die ich schon hatte, auch noch persönlich überbringen?

      Der Aufzug hielt in meinem Stockwerk, zwei Polizisten stiegen aus und kamen ins Vorzimmer.

      „Wir sind da, um Sie abzuholen. Es ist ein Zimmer für Sie in Krankenhaus Rudolfsstiftung reserviert. Wir haben Nachricht erhalten, dass Sie heute Nacht einen schweren Schicksalsschlag erlitten haben und daher schwer selbstmordgefährdet sind.“

      In bemühtem Hochdeutsch sagte der eine diese bewegenden Worte. Der andere hörte stumm zu und betrachtete mich neugierig, den Star, der da im Bademantel aus Bangkok, einem Geschenk von Hans-Peter und Toni, stand und Selbstmord begehen wollte. Ein beneidenswerter Mensch, bekannt, berühmt, beliebt und so ein armer Teufel. Das Schicksal macht eben keinen Unterschied. Das Schicksal ist gerecht. Auf das Schicksal kann man sich verlassen. Triviales war es, das mir im Namen des zweiten Polizisten durch den Kopf ging. Aber ich fühlte schon wieder den Star in mir, richtete meine sonst etwas schlampig bucklige Figur auf und bot den vom Schicksal geschlagenen Großen dar.

      „Sehe ich aus wie jemand, der Selbstmord begehen will?“, fragte ich ruhig.

      Die Ruhe war gut gespielt, denn die beiden waren verunsichert, wie ich, mein Publikum wie immer genau beobachtend, mit einem Anflug von Genugtuung feststellte.

      Da sagte der zweite: „Wir sind angerufen worden, dass wir Sie versorgen sollen.“

      Meine Frage, wer denn da angerufen habe, konnten sie nicht beantworten. Unsicher standen wir drei einander gegenüber und wussten nicht, was wir nun tun sollten.

      „Also sollen wir Sie nun mitnehmen oder nicht?“, fragte da der erste. Es wollte mir fast ein mitleidiges Lächeln auskommen. Wer sollte denn nun entscheiden, ob ich mitgenommen werden musste oder nicht? Ich selber? Es war eine der Situationen, in denen man Polizisten völlig ungerechtfertigt vorwirft, dass sie überfordert wären. Wie sollte denn der jetzt entscheiden, ob einer in Obhut gehörte oder nicht, dachte ich. Der Polizist aber löste das Problem auf die ‚menschliche’ Art, indem er zu mir ging, mich zutraulich am Arm nahm und mich herzlich bittend von unten ansah, was ihm nicht schwerfiel, da er kleiner war als ich. Dann sagte er: „Schauen Sie, wir mögen Sie alle, wirklich, meine Familie, seine Familie“ - damit deutete er auf seinen Begleiter, der eifrig nickte und mich jetzt ebenso flehentlich ansah – „wir brauchen Sie ja noch, also machen Sie bitte keinen Blödsinn, ja? Versprechen Sie mir das?“

      Er hielt mir die Hand hin, ich schlug ein und nickte, gerührt ob der spontanen Sympathiekundgebung, die, selbst in dieser Situation, meiner berufsimmanenten Eitelkeit schmeichelte.

      Als die beiden fort waren, fiel sofort die kalte Leere über mich und ich legte mich wieder hin. Es verging aber vielleicht höchstens eine Viertelstunde, da läutete es schon wieder. Ich stand wieder auf, ging zum Haustelefon, fragte, wer unten sei und bekam „Gitti“ zur Antwort.

      Einen kleinen Moment lang fragte ich mich, wer Gitti sei, dann fiel es mir ein und ich drückte den Öffner. Während ich wieder den Bademantel aus Bangkok anzog, dachte ich, wie denn die Frau von Ernst, der doch in Mitterbach sei, jetzt zu mir kommen könne. Ernst lebte von Gitti getrennt. Er war ein Mann, der die Selbständigkeit seiner Frau nicht vertrug und bitterböse war, als Gitti eine Boutique eröffnete, die anfangs, wie Ernst es vorausgesagt hatte, geschäftlich überhaupt nicht ging, mittlerweile aber, nach zwei Jahren, imstande war, Gitti zu erhalten, und sogar recht gut, wie ich von Norbert, der immer mit Gitti in Kontakt geblieben war und sogar viel bei ihr kaufte, wusste.

      Gitti kam also. Schon unter der Türe brach sie in Tränen aus, sie umarmte mich und ließ mich nicht mehr los. Es schien mir, dass nicht sie zu meinem Trost, sondern ich zu ihrem Trost beitragen musste. Gitti, das wusste ich, hatte Norbert durchaus als Mann geliebt. Wir setzten uns an den Esstisch, ich auf meine, Gitti auf die Seite von Norbert. Ich erzählte ihr den ganzen Hergang, immer wieder von schwerem Weinen unterbrochen. Auch Gitti weinte viel, schüttelte immer wieder wild den Kopf und war nicht und nicht bereit, das alles zu glauben. Insoferne war sie mir eine große Hilfe, weil die Worte des Trostes, die ich zu ihr sagte, ja auch Rückwirkung auf mich selber hatten.

      Kaum war sie da, läutete wieder das Telefon. Ernst aus Mitterbach war dran und fragte mich, ob Gitti schon da sei.

      Ich erzählte ihm von dem geheimnisvollen Besuch der Funkstreife. Ernst gestand, dass er die Polizei und die Rudolfsstiftung verständigt hatte. Ich wollte auch wissen, warum er Gitti hergeschickt hatte, wo ich doch eigentlich, hätte ich Ernsts Organisation nicht durchkreuzt, im Spital sein sollte.

      Da sagte Ernst, Gitti hätte vor der Funkstreife da sein und mit mir ins Spital fahren sollen, um mich dort zu betreuen. Er verlangte Gitti zu sprechen und schimpfte sie in seiner gewohnten Manier nieder, warum sie so lang gebraucht habe.

      Ich ging aufs Klo, um diese peinliche Debatte nicht hören zu müssen.

      Als ich zurückkam, stand Gitti mitten im Wohnzimmer und betrachtete die vierzehn Porträtfotos von Norbert, die hinter einer Glasplatte, noch von ihm selber arrangiert, die vierzehn Weihnachten, die wir miteinander verbrachten, dokumentierten. Norbert ließ jedes Jahr zu Weihnachten ein Porträt von sich anfertigen. Seine engsten Verwandten und Freunde bekamen so ein Bild von ihm. Ich hatte auf einem Teil des Bücherregals im Wohnzimmer immer alle Fotos, noch in ihren Mappen, aufgestellt. Wenn Besuch kam, räumte Norbert sie jedes Mal schnell weg mit der Bemerkung, das sähe blöd aus, wenn ich fünf oder sechs oder sieben Fotos, wie viele es eben nach Anzahl der Jahre gerade waren, von ihm herumstehen hätte. Vor ein paar Tagen aber, ich weiß nicht genau, wann es war, weil ich es erst zufällig, aber noch vor dem Tod von Norbert, bemerkte, hatte dieser die vierzehn Bilder hinter Glas geordnet und an die Wand gehängt. Jetzt fiel mir auf, dass die Fotos so angeordnet waren, dass man keines mehr hätte dazutun können. Es war die abschließende Dokumentation. Kälte durchfährt mich. Abschließend. Der Unglaube, der mich in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten noch oft mit mehr oder weniger Heftigkeit überfallen sollte, nistete sich in mir ein. Norbert war tot. Das war unumstößlich. Alles andere würde sich finden müssen.

      Es ging auf sechs Uhr zu. Um sieben Uhr zwanzig würde Mirek, der polnische Freund, am Ostbahnhof ankommen. Ich musste ihn abholen. Norbert hat mir aber geraten, ich solle vorher bei der Bahn anrufen und fragen, ob der Chopin-Express aus Warschau pünktlich ankommen würde, damit ich nicht sinnlos auf den Bahnhof fahren würde.

      Ich schüttelte den Kopf. Norbert hat mich gebeten, Mirek einzuladen. Was sollte ich jetzt mit ihm anfangen?

      Draußen begann zögernd der Morgen zu grauen. Ich wunderte mich. Da begann ein neuer Tag? Ein Tag? Nach dieser Nacht? Wie unerbittlich doch diese Vorgänge sind. Da begann einfach ein Tag. Der erste Tag ohne Norbert. Wie konnte die Welt das tun? Einfach darüber hinwegwalzen. Da fehlte doch einer. Fiel das niemand auf? Konnte man einfach so zur Tagesordnung übergehen? Da fehlte doch einer! Da fehlte doch einer!! Gitti war da, also verkniff ich es mir, zu schreien.

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