Leonie Graf

Das Feuer der Werwölfe


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die neun.

      Mali saß auf dem Fußboden ihres Zimmers und löste ein Sudoku, das vor ihr auf dem Boden lag. Eilig kritzelte sie die neun in eines der Felder.

      Malis Zimmer war sehr klein und gemütlich eingerichtet. Direkt neben der alten, braunen Holztür stand ihr ebenso altes Bett. An der Wand standen drei riesige Regale, alle bis oben hin voll mit Büchern. Alte Schulbücher, aber auch Liebesromane, Thriller, Fantasyromane und vor allem Rätselbücher. Mali liebte Rätsel. Manchmal verbrachte sie den ganzen Tag damit eines ihrer Rätsel zu knacken. Vor Mali auf dem Boden lag auch ein kleines Papier mit komischen Zeichen, die aussahen, als wäre es eine fremde Sprache mit eigenen Schriftzeichen. Meistens blickte Mali nur von ihren Rätseln oder Büchern auf, wenn es Essen gibt, oder wie heute, wenn ihre Mutter an die Zimmertür klopft und mit ihr reden will.

      „Amalia, ich muss mit dir reden“, begann sie.

      Für Mali war das kein gutes Zeichen. Immer wenn ihre Mutter sie mit vollem Namen anspricht, läuft das Gespräch auf etwas sehr Unangenehmes hinaus. Sie haben sich beide daran gewöhnt, dass sie den Namen nicht benutzen. Seit Malis Vater eines Tages abgehauen ist bedeutete ihr voller Name, dass gleich etwas sehr Ernstes geschehen würde.

      Malis Mutter setzt sich zu ihr auf den Boden. Mit einer Hand streichelte sie über den weichen, roten Teppich. Sie sah Mai an.

      „Leg mal kurz dein Rätsel weg, mein Schatz. Ich möchte, dass du mir mit deiner ganzen Aufmerksamkeit zuhörst. Es ist nämlich sehr wichtig“

      Widerwillig blickte Mali von ihrem Blatt auf. Ihr Blick schweifte durch ihr Zimmer. Sie wollte ihre Mutter nicht anschauen, denn als sie Mali das letzte Mal mit vollem Namen angesprochen hatte, gab es zwei Wochen Hausarrest, weil Mali die Tische in der Schule bekritzelt hatte. Normalerweise kam Mali sehr gut mit ihrer Mutter aus. Die beiden verstanden sich sehr gut, aber manchmal konnte ihre Mutter sehr streng sein. Auch nachdem Mali damals eingesehen hatte, dass sie einen Fehler gemacht hatte, blieben die zwei Wochen Hausarrest. Das hatte sie ihrer Mutter bis heute nicht verziehen, obwohl das jetzt auch schon über anderthalb Jahre her war.

      Nur ganz entfernt hörte Mali die Stimme ihrer Mutter.

      „Ich möchte, dass du mir versprichst, dass niemand davon erfährt.“

      Es war als würde ihre Mutter am anderen Ende der Welt stehen. So, dass Mali sie weder hören noch sehen konnte. Nur gelegentlich trägt der sanfte Wind ein paar Worte zu ihr, die sie in Gedanken versunken, und ohne große Bedeutung aufnimmt.

      „Mali, hör mir bitte zu.“ Sanft drückt Malis Mutter Malis Kopf nach oben, sodass sie sich beide in die Augen blickten. Mali wollte ihren Kopf zurückziehen, doch irgendetwas hielt sie auf. War es die Hand ihrer Mutter, die sanft ihren Kopf stützte? Doch wahrscheinlich war es, weil Mali merkte, dass es heute keinen Hausarrest geben würde. Irgendetwas an dem Tonfall ihrer Mutter sagte ihr das. Sie klang besorgt und nervös, so als ob sie auf etwas sehr Unangenehmes warten würde. Sanft schob Mali die Hand ihrer Mutter zur Seite, blickte aber weiter in die schönen hellblauen Augen ihrer Mutter.

      „Mali, du weißt sicher, dass wir alle mal sterben müssen.“

      Mali nickte. Natürlich wusste sie das. Sie war schließlich fünfzehn und nicht fünf. Immer wenn ihre Mutter so komische Fragen stellte, wusste Mali, dass ihre Mutter es ihr eigentlich schon hätte früher sagen wollen, aber sich nicht getraut hatte. Jetzt war es allerdings an der Zeit, dass Mali es erfahren musste, doch ihre Mutter wusste nicht wirklich, wie sie es erklären sollte, geschweige denn, wo sie anfangen sollte.

      „Naja, also…ähm…, wenn ich dann irgendwann nicht mehr da bin…“

      „Nein, Mama! Du wirst nicht sterben!“, Mali griff nach der Hand ihrer Mutter. Was war das denn? Sie hatte doch vorhin zu gegeben, dass alle Menschen einmal sterben müssen. Aber allein schon der Gedanke, dass sie irgendwann alleine für sich sorgen musste, machte Mali so Angst, dass sie die Hand ihrer Mutter nie wieder loslassen würde. Damals, als ihr Vater von heute auf morgen verschwunden war hatte Mali sich geschworen ihre Mutter nie im Stich zu lassen. Sie hatte gesehen welche Schmerzen es Malis Mutter damals bereitet hatte einfach verlassen zu werden. Mali war damals zwar noch sehr klein gewesen, doch seit diesem Tag wusste sie, was es bedeutete, dass man füreinander da war.

      Vorsichtig lockerte ihre Mutter Malis Hand, ließ sie dennoch nicht ganz los.

      „Also, wenn ich mal nicht mehr da bin, möchte ich, dass du etwas tust“, sagte sie jetzt.

      Dass du etwas tust! Wie klang das denn bitte schön. Dass du etwas tust. Natürlich musste sie etwas tun. Das war doch völlig klar. Essen, schlafen, Haushalt, sich um sich kümmern. Da konnte man so viel aufzählen, dass einem irgendwann mal bewusstwird, wieviel man eigentlich den ganzen Tag macht.

      Aber das war natürlich nicht das, was Malis Mutter meinte. Es musste irgendetwas Besonderes sein, sonst würde sie jetzt kein langes, unangenehmes Gespräch mit Mali führen. Allerdings dachte Mali, dass sie, wenn ihre Mutter tot wäre, so viel machen müsste, dass sie ziemlich sicher keine Zeit für irgendwelche großen Aufgaben hätte.

      „Wenn ich nicht mehr da bin, musst du die dritte Schublade bei mir im Schlafzimmer öffnen.“

      „Aber wie soll ich sie öffnen, wenn du sie abgeschlossen hast, und den Schlüssel nicht mehr findest?“

      „Ich habe den Schlüssel.“

      „Aber du sagtest immer, dass du ihn nicht mehr findest!“ Mali klang vorwurfsvoll.

      „Das sagte ich doch nur, dass du nicht immer nachfragst. Du warst früher immer so neugierig.“

      „Aber ich bin fünfzehn, warum hast du mir nie früher gesagt, dass du den Schlüssel hast? Ich hätte dich auch schon mit zehn oder elf Jahren verstanden. Kennst du mich etwa so schlecht?“ Malis Blick war anklagend, doch ihre Mutter machte keine Anstalten unter ihrem Blick nachzugeben. Sie hielt Malis Blick mit ebenso einer Intensität stand.

      „Ach bitte, mein Liebling. Mach mir keine Vorwürfe. Ich weiß inzwischen auch, dass es ein Fehler war es dir nicht früher zu sagen.“

      Malis Mutter seufzte laut. Sie nahm Malis Hand und öffnete sie. Dann nahm sie ihre Kette ab und legt sie in Malis Hand. Behutsam schloss Mali die Finger darum. Die Kette war kalt. Es war eine schöne, schlichte Kette mit einem dünnen silbrigen Band, an dem ein klitzekleiner Schlüssel baumelte. Mali hatte diese Kette an ihrer Mutter schon oft gesehen, wusste aber nie, dass an ihr ein Schlüssel hing, da ihre Mutter sie immer von der Kette ferngehalten hatte, mit der Ausrede, die Kette sei zu wertvoll und könne kaputtgehen, wenn Mali sie in die Hände bekam.

      Mali strich sich die Haare aus dem Gesicht. Langsam und mit zitternden Händen nahm Malis Mutter die Kette und hängte sie ihr um den Hals. Sie passte wunderbar zu dem T-Shirt, das sie heute trug.

      Einen kurzen Moment schauten sie sich beide tief in die Augen. In den schönen, hellblauen Augen ihrer Mutter, spiegelten sich Malis grüne Augen, die sie von ihrem Vater geerbt hatte, wider.

      Die Augen von Malis Mutter wurden feucht. Die Tränen glitzerten leicht. Malis Mutter lehnte sich leicht nach vorne und umarmte Mali so, als würde sie sie nie wieder loslassen wollen.

      Jetzt erst wurde Mali bewusst, wie wichtig ihrer Mutter dieses Gespräch gewesen sein musste.

      Lange Zeit lagen sich die beiden in den Armen, während Malis Mutter eine Träne nach der anderen vergoss. Mali reichte ihr ein Taschentuch.

      Doch, sosehr Mali am Anfang nichts Gutes geahnt hatte, es war nicht so schlimm, wie sie es sich vorgestellt hatte.

      Sie hielten sich so fest sie konnten, beide mit demselben Gedanken: Dass sie sich niemals verlieren und für immer und ewig zusammen bleiben wollten.

      29.06

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