Leonie Graf

Das Feuer der Werwölfe


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Augenlider von Malis Mutter schlossen sich und Mali blieb noch stundenlang auf dem kalten Steinboden sitzen, mit dem toten, kalten und schlaffen Körper ihrer Mutter in den Armen. Dem Menschen, den sie über alles in der Welt geliebt hatte. Der einzige Mensch der sie jemals über alles geliebt hatte.

      30.06

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      Kapitel 3

      Die Tränen, die über Malis Gesicht liefen, wollten kein Ende nehmen. Sie wusste, dass es nichts bringen würde, noch weiter so dazusitzen, doch hatte sie kein anderes Ziel im Kopf, außer ihre Mutter in den Armen zu halten. Es war, wie wenn es noch einen kleinen Lebensschimmer in ihr gab, der nie völlig verlöschen würde, wenn Malis Hände ihren Körper nie loslassen würden. Mali wusste, dass das natürlich Unsinn war. Es gab keinen Zweifel, dass ihre Mutter tot war. Alleine schon der Sturz von der Treppe hinunter hätte sie das Leben kosten können, wenn es blöd gelaufen wäre. Trotzdem wollte sie für ewig so sitzen bleiben. Doch sie wusste, dass sie die Schublade öffnen musste und ihren Inhalt an sich nehmen musste. Die vermutete Neugierde, die bei dem Gedanken an das Öffnen der Schublade aufkommen sollte, blieb jedoch aus.

      Mali zwang sich dazu wieder aktiv zu werden. Sie schaffte es nicht sich aufzuraffen, weswegen sie für sich selbst auf drei zählte. Als sie bei drei angekommen war, legte sie den schlaffen Körper ihrer Mutter ganz behutsam auf dem Boden ab. Sie beugte sich ein letztes Mal zu ihrer Mutter herunter, hauchte ihr einen Kuss auf die kalte Wange und faltete dann ganz langsam und behutsam ihre eigenen Beine auseinander. Es tat weh. Ihre Beine kribbelten stark und knickten bei der leichtesten Belastung unter ihr ein. Doch das störte Mali nicht. Sie empfand es eher als Genugtuung. Ihre Mutter war gerade gestorben und sie jammerte über eingeschlafene Beine, die etwas kribbelten. Sie konnte ruhig auch einmal etwas Schmerz aushalten. Mit zusammengebissenen Zähnen zwang sie sich aufrecht stehen zu bleiben. Sie schwankte leicht und doch befahl sie ihren Füßen, sich zu bewegen und in Richtung Treppe zu gehen.

      Als Mali den ersten Fuß auf die Treppe setzte knickte ihr linkes Bein unter ihr ein und sie stürzte. Mit einem leisen Ächzen auf den Lippen zog sie sich am Geländer hoch. Während sie nun die Treppe hochstieg, hielt sie das Geländer fest umklammert. Ihre Fingerknöchel traten weiß unter ihrer blassen Haut hervor. Nach jeder Treppenstufe musste sie ihren Körper wieder neu erinnern, wie man atmete. Schwer keuchend kam sie eine gefühlte Ewigkeit später oben an. Wieder musste sie sich zwingen, weiterzugehen. Zwingen, jetzt endlich die Tür zum Büro ihrer Mutter zu öffnen. Zwingen, die letzten Schritte hineinzutun. Zwingen, den Schlüssel, an der Kette um ihren Hals, zu nehmen und die Schublade aufzuschließen.

      Mali war noch nicht oft in dem Arbeitszimmer ihrer Mutter gewesen. Sie wusste, dass ihre Mutter nie bei ihrer Arbeit gestört werden wollte, weswegen sie das auch vermieden hatte. So setzte Mali heute zum ersten Mal bewusst ihre Schritte in das kleine Zimmer. Durch das Fenster an der gegenüberliegenden Wand fiel helles Licht herein und tauchte das Zimmer in ein helles gelbes Schimmern. In der Mitte standen der Schreibtisch und dahinter der Drehstuhl ihrer Mutter.

      Mali machte einen weiteren Schritt in den Raum hinein. Vor dem Schreibtisch blieb sie stehen und ging in die Hocke. Der Schreibtisch war alt und aus Holz. Er hatte eine feine Maserung. Das Holz war in einem sehr dunklen Braunton mit einem leichten Rotstich lackiert. Früher hätte Mali den Schreibtisch wunderschön gefunden. Heute jedoch schenkte sie ihm keine Beachtung. Ob der Schreibtisch nun hellbraun, dunkelbraun oder schwarz lackiert war, was spielte das noch für eine Rolle? Eigentlich spielte doch gar nichts mehr eine Rolle.

      Vor ihrem inneren Auge erschien ein Bild. Sie als kleines Mädchen, das um den Schreibtisch herumkrabbelte und verzweifelt versuchte die Schublade zu öffnen. Ihre Mutter, die in der Tür stand und ihr lächelnd dabei zusah. Sie machte einen Schritt in das Zimmer hinein und kam zu der dreijährigen Mali, um sie auf den Arm zu nehmen. Mali erinnerte sich, wie sie ihr geheimnisvoll lächelnd ins Ohr flüsterte: "Bald wirst du alt genug sein. Doch jetzt wollen wir essen. Ich habe dir einen Grießbrei gemacht.", und somit ihr junges Ich sofort auf andere Gedanken brachte. Gemeinsam verließen sie das Zimmer und mit ihnen war auch die Erinnerung, an diesen Tag, fort.

      Die Realität brach wie eine Sturzflut über Mali herein. Ihre Mutter war nicht mehr da, sie war allein. Völlig auf sich allein gestellt.

      Langsam rollten ihr dicke Tränen die Wangen herab. Sie blickte auf den kleinen Schlüssel in ihrer Hand und die Erinnerungen an ihre Mutter liefen an ihrem inneren Auge vorbei. Wie sie zusammen gelacht hatten oder spielten. Wie sie zusammen neue Essensideen ausprobierten und Essen kochten, das nicht schmeckte, sodass sie sich schlussendlich immer eine Pizza bestellen mussten. Wie sie gemeinsam tanzten und Musik hörten, dabei laut grölend mitsangen. Wie sie nur zu zweit, aber glücklich neben einem großen Tannenbaum saßen und leise lächelnd zusammen ihre Geschenke auspackten und anschließend zusammen Pfannkuchen aßen. All das stürzte jetzt über Mali herein und begrub sie unter sich. Die Tränen strömten ihr in Bächen die Wangen herunter als ihr bewusst wurde, wie normal alles, ihr ganzes Leben, gestern doch noch gewesen war.

      Als ihre Tränen nun zum zweiten Mal versiegten, blieb nichts als eine große Leere, die jedoch so groß und schwer war, dass sie Mali mit ihrem Gewicht zu erdrücken drohte.

      Sie nahm den kleinen Schlüssel behutsam in die Hand, wog in vorsichtig darin und drehte ihn immer wieder zwischen ihren Fingern. Dann steckte sie ihn das Schloss. Mit einem leisen Klicken ließ er sich drehen. Es war so leise, dass Mali es kaum wahrnahm. Mit einem weiteren Klicken ging die Schublade auf. Langsam, ganz langsam, streckte sie ihre Hand aus und zog die Schublade ein kleines Stückchen weiter heraus. Gerade so weit, dass sie mit der Hand hineingreifen konnte. Mit dem letzten bisschen Neugier, was noch in ihr war und nicht von dem Verlust ihrer Mutter zurückgedrängt worden war, fasste sie mit der Hand in die Schublade. Sie schien leer zu sein. Gerade als sie ihre Hand schon enttäuscht zurückziehen wollte, fühlte sie etwas. Ein kleines dünnes etwas. Etwas raschelte. Dann erkannte Mali, was es war. Eine Ecke. Eine Ecke eines Stücks Papier. Verwundert zog sie die Schublade noch ein kleines Stückchen weiter auf, um einen Blick hineinzuerhaschen. In ihr lagen ungefähr zehn Bögen fein säuberlich gefaltetes Papier. Bedruckt mit schwarzen Wörtern, die Mali jedoch nicht sofort entziffern konnte. Eine Welle der Unbegreiflichkeit brach über sie herein. Ihre Mutter war für ein paar Fetzen bedrucktes, beschissenes, normales Papier gestorben.

      02.07

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      Kapitel 4

      Mali beschloss die Papiere ihrer Mutter genauer zu untersuchen. Auf der ersten Seite stand Q=5 und anschließend war es mit einer unverständlichen Zahlenabfolge bedruckt, die sich auf den anderen Seiten fortsetzte. Die einzelnen Zahlen wurden immer durch Schrägstriche getrennt. Mali konnte Satzzeichen und Lehrstellen erkennen, was sie vermuten ließ, dass die Zahlen Wörter verschlüsselten. Aber wie?

      Auffällig war, dass über den einzelnen Absätzen Zahlen wie als Überschrift angeordnet waren. So stand da zum Beispiel 24.05, oder 12.09. Jedoch konnte Mali sich auch darauf keinen Reim machen. Waren das Daten? So wie in einem Tagebuch zum Bespiel? Aber das waren doch keine Tagebucheinträge, oder etwa doch? Hatte ihre Mutter Tagebuch geschrieben? Sie wurde nicht schlau daraus.

      Bis in die späten Abendstunden brütete Mali übe den Zahlen. Sie vermutete eine wichtige Nachricht,