Leonie Graf

Das Feuer der Werwölfe


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Wie hatte sie nur so dämlich sein können und ihm vertrauen können? Jetzt lag sie hier gefesselt und war nur noch ein leichtes Spiel für Damians Vater. Er musst nur seine Waffe auf sie richten und abdrücken. Sie konnte sich nicht mal wehren. Sie konnte nichts tun als warten. Warten, dass Damians Vater endlich kam und sie erschoss. Sie hatte schließlich nichts anderes verdient als das. Wie hatte sie nur so dumm sein können. Sie hatte doch tatsächlich geglaubt, Damian würde ihr helfen.

      Erschöpft ließ sie den Kopf auf den Boden sinken und schloss die Augen. Wenige Minuten später war sie auch schon eingeschlafen.

      Am nächsten Morgen wachte Mali davon auf, dass jemand leise die Tür öffnete. Panisch versuchte sie sich so zu drehen, dass sie die Tür im Blick hatte. Ein stechender Schmerz fuhr durch ihre Hüfte, die in einem komischen Winkel zusammengeschnürt gewesen war. Ihre Beine waren eingeschlafen und kribbelten unangenehm. Mali musste ein Wimmern unterdrücken. Die Tür öffnete sich ganz und im Türrahmen erkannte Mali eine dunkel gekleidete, große Person. Mali blinzelte. Sie konnte nicht erkennen, wer die Person war. Als diese jedoch einen Schritt auf Mali zumachte, erkannte sie Damian und seufze zu ihrem Unwillen erleichtert auf. War er hier, um sein Versprechen zu halten? Um sie doch noch zu befreien? Das konnte Mali fast nicht glauben. Und doch kam Damian zu ihr und löste ihre Fesseln. Den Knebel zog sie sich dann selbst aus dem Mund.

      „Was sollte das denn jetzt bitte schön, was habe ich dir getan?“

      „Pst.“, Damian sah sich erschrocken um. „Nicht so laut. Sonst hört mich mein Vater.“

      „Dein Vater weiß nicht, dass du bei mir bist?“, fragte Mali verunsichert. Konnte sie seinen Worten Glauben schenken?

      „Nein, und er soll es auch nie erfahren“, antwortete Damian leise. „Deswegen wäre ich dir sehr dankbar, wenn du etwas leiser sein könntest.“

      „Was hast du vor?“ Mali streckte vorsichtig ihre Beine aus und ein scharfer Schmerz durchzuckte sie. Jetzt fing auch noch das andere Bein an zu kribbeln. Mit den Händen rieb sie sich über die Handgelenke, dort wo ihr die Fesseln in die Haut eingeschnitten hatten. Rote Striemen zogen sich über ihre Handgelenke, doch nach Malis Urteil waren sie nicht tief genug, um Narben zu hinterlassen. Das war gut. Die Striemen würden in drei oder vier Stunden nicht mehr zu sehen sein. Damian streckte ihr eine Hand hin und half ihr auf. Mali schwankte leicht, doch sie schaffte es stehen zu bleiben und nicht umzufallen.

      Damian ging zum Fenster. Er öffnete als erstes das Fenster selbst und dann den Rollladen, indem er einem Code in das Tastenfeld eingab. Mit einem leisen Quietschen, er war schon längere Zeit nicht mehr geölt worden, wurde er noch oben gezogen.

      „Meinst du, du schaffst es aus dem Fenster zu klettern?“, fragte er flüsternd.

      Mali nickte nur. Was hatte er vor? Wollte er wirklich mit ihr aus dem Fenster springen? Aus dem dritten Stock? Wie verrückt war das denn bitte schön. Doch Mali wusste auch, dass es ihre einzige Chance war. Sie musste Damian vertrauen. Also trat sie entschlossen neben ihn ans Fenster.

      „Und du willst mich hier jetzt wirklich rausholen? Egal was dein Vater davon denkt?“, fragte sie immer noch nicht ganz überzeugt. Sie fragte sich, ob er nur wieder ein nächstes Spielchen mit ihr spielte und sie auf direktem Weg zu seinem Vater brachte. Doch andererseits hätte er das auch einfacher haben können. Mali wusste, dass sie auf ihr Vertrauen zu ihm angewiesen war, wenn sie die Chance ergreifen wollte von hier zu fliehen. Sie durfte jetzt nicht zweifeln.

      „Ja was denn sonst?“, antwortete Damian in diesem Moment. „Und mein Vater ist mir egal. Der erlaubt mir sowieso nichts“, fügte er bitter hinzu.

      „Und das ist nicht irgendeine Falle?“, fragte Mali trotzdem. „Du lockst mich nicht hier raus und um die Ecke wartet dann dein Vater, bereit mich umzubringen?“

      Damian sah Mali ernsthaft schockiert an.

      „Das ist es also, was du von mir denkst?“

      Mali konnte sehen, wie verletzend der Gedanke für ihn sein musste. Vielleicht war er ja wirklich nur nett und wollte ihr helfen. Sie sollte ihm mehr Vertrauen schenken. Es tat ihr wirklich leid, ihn so verletzt zu haben.

      „Nein, nein“, meinte sie schnell. „So habe ich das nicht gemeint. Aber weißt du, dein Vater hat meine Mutter“ Sie zögerte kurz. „umgebracht“, presste sie hervor. Dann sprach sie ganz schnell weiter. An ihre Mutter zu denken, tat ihr immer noch weh.

      „Und dann hat er mich verfolgt, um mich ebenfalls umzubringen. Da ist es schwer Vertrauen zu haben und nicht bei jeder Möglichkeit eine Falle zu vermuten. Das musst du doch auch verstehen, oder?“

      Sie sah Damian erwartungsvoll an, in der Hoffnung, dass… Ja das was eigentlich? Dass diese Worte ihn glücklich machen würden? Den verletzenden Satz ausradieren würden? Mali seufzte und drehte sich zum Fenster, bereit die Flucht zu wagen und Damian zu vertrauen. Damian der immer noch kein Wort sagte drehte sich auch wieder dem Fenster zu.

      Eine Weile starrten sie beide nur aus dem Fenster. Dann räusperte sich Mali und fragte mit einem Krächzen: „Können wir dann gehen?“

      Damian schien wie aus einer Trance zu erwachen. Verwirrt, wie um festzustellen, wer gerade gesprochen hatte, sah er sich um.

      „Ähm, ja natürlich. Klar doch.“

      Er stellte sich direkt unter das Fenster und formte seine Hände zu einer Räuberleiter. Mali stieg hinein und schwang ihr linkes Bein über den Rahmen. Dann kletterte sie nach draußen und setzte sie sich auf den kleinen Vorsprung, der draußen direkt unterhalb des Fensterrahmens angebracht war. Er war nicht sehr breit, doch immerhin breit genug, dass sie sich einigermaßen sicher fühlte, als sie darauf saß. Sie rutschte ein Stück zur Seite, um Damian Platz zu machen und sah dann nach unten. Es ging etwa zehn Meter in die Tiefe und unwillkürlich rutschte Mali wieder ein Stück zurück ins Zimmer. Was hatte sie auch erwartet. Schließlich befanden sie sich im dritten Stock, direkt unter dem Dach.

      „Keine Angst, du schaffst das.“ Damian war plötzlich neben ihr aufgetaucht. Ohne ein Geräusch zu machen, war er neben Mali auf den Fenstersims geklettert.

      „Siehst du das Regenrohr da?“ Er zeigte mit dem Arm links neben sich auf ein altes, verrostetes Regenrohr, das etwa einen halben Meter vom Fenstersims entfernt in die Tiefe führte.

      „Ich gehe vor und fang dich zur Not auf. Wenn es dir zu anstrengend ist, dann kannst du im ersten Stock, auf diesem kleinen Sockel da unten, kurz Pause machen, alles klar?“

      Damian sah Mali abwartend an. Mali konnte nicht nicken. Die Angst lähmte sie.

      „Und dieses Regenrohr hält mich?“, brachte sie mit einem Krächzen hervor. Ein kleines hysterisches Lachen bahnte sich den Weg von Malis Kehle nach draußen.

      „Das ist doch bestimmt schon ein halbes Jahrhundert alt. Wahrscheinlich zerfällt es in lauter Einzelteile, wenn ich es auch nur berühre.“

      Damian lachte leise.

      „Keine Sorge, das ist stabiler als es aussieht. Das kannst du mir glauben. Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass ich auf diesem Weg aus dem Haus gehe.“

      Mit einem geschmeidigen, katzenähnlichen Sprung schwang er sich an das Regenrohr und kletterte in einer unvorstellbaren Geschwindigkeit daran herunter. Das Rohr gab ein wenig vertrauenerweckendes Quietschen von sich, doch es schien zu halten.

      In der Tat sah es so aus, als ob es nicht das erste Mal gewesen wäre, dass Damian an dem Regenrohr hinuntergeklettert war. Mali fragte sich im Stillen, was für Gründe es geben könnte, dass man in seinem eigenen Haus aus dem Fenster klettert und an einem Regenrohr hinunterrutscht, um aus dem Haus zu gelangen.

      Sie sah zu dem Rohr hinüber und ganz plötzlich kam es ihr unendlich weit weg vor. Sie würde springen müssen, um es zu erreichen. Damian hatte sich nur ein ganz kleines bisschen von dem Fenstersims abstoßen müssen, es hatte so leicht ausgesehen. Doch Mali wurde plötzlich bewusst, dass sie mindestens fünfzehn Zentimeter kleiner war als er. Bei dem Sprung könnte sie abrutschen, in die Tiefe stürzen und sich das Handgelenk brechen. Sie könnte das Rohr