Leonie Graf

Das Feuer der Werwölfe


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blinkte rot. Mali drückte auf die Wiedergebetaste. Es ertönte die hohe Stimme einer Polizistin, die Mali darum bat zur Wache zu kommen, um eine Zeugenaussage zu machen. Als der Anrufbeantworter mit einem Piepen zu verstehen gab, dass die Aufnahme zu Ende war, drückte Mali auf die Löschtaste. Sie hatte keine Zeit irgendwelche Zeugenaussagen abzugeben.

      Sie drehte sich um und ging zurück ins Wohnzimmer. Halb hatte sie schon vergessen, dass Damian ebenfalls noch da war.

      „Ich schaue mal nach, ob ich noch etwas finde, was mir hilft die Aufzeichnungen meiner Mutter besser zu verstehen“, sagte sie.

      Damian nickte.

      „Willst du mitkommen?“, fragte sie zögerlich.

      Damian antwortete ihr nicht. Er trat einfach zu ihr und nahm ihre Hand, als würde er wissen, dass Mali gerade jemanden an ihrer Seite brauchte.

      Mali ging langsam auf die Treppe zu, Damian folgte ihr. Sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte mit suchen, doch irgendwie schien es ihr richtig, sich das Büro ihrer Mutter vorzunehmen, um einen Hinweis auf die verschlüsselten Papiere zu bekommen.

      Als Mali den Treppenabsatz erreichte, zögerte sie. Damian verstärkte kurz den Druck um ihre Hand, um ihr zu zeigen, dass er bei ihr war. Mali holte tief Luft, dann stieß sie vorsichtig die Tür zum Arbeitszimmer ihrer Mutter auf. Sie erinnerte sich an den Tag, als sie die Papiere aus dem Schreibtisch genommen hatte. Der alte, hölzerne Schreibtisch, dessen Schönheit ihr damals so unbedeutend vorgekommen war, stand an einer Wand. Durch das Fenster darüber fiel helles Licht darauf. Damals war sie blind gewesen für seine Schönheit, doch heute empfand sie anders. Der Schreibtisch kam ihr unglaublich schön und wertvoll vor. Außerdem hielt er Erinnerungen für sie bereit. Erinnerungen an ihre Mutter. Doch Mali war nicht bereit sie zuzulassen. Sie wollte nicht anfangen zu weinen. Nicht hier vor Damian.

      Mit den Fingern ihrer freien Hand strich sie zärtlich über die Maserungen.

      „Er ist wunderschön“, flüsterte sie leise.

      Damian nickte.

      Mali trat einen Schritt vor und öffnete die dritte Schublade wieder mit dem Schlüssel. Sie hatte ihn die ganze Zeit um den Hals hängen gehabt. Die Schublade war jedoch leer. Auch in den anderen Schubladen, die nicht verschlossen waren, war nichts zu finden. Enttäuscht zuckte Mali mit den Schultern. Sie wusste nicht genau, was sie erwartet hatte.

      „Nichts“, meinte sie nur und stand auf.

      „Willst du noch bleiben?“, fragte Damian vorsichtig. Sie beide wussten, dass sich diese Frage nicht nur auf das Arbeitszimmer ihrer Mutter bezog, sondern allgemein gemeint war. Wollte sie noch länger in ihrem Haus bleiben? Eine weitere Nacht, bevor sie ihre Aufgabe in die Hand nehmen sollte, diesen Carlos Vendris zu suchen? Wollte sie das wirklich noch länger aufschieben? Irgendwann, das war Mali klar, musste sie sich der Aufgabe widmen, so unerreichbar deren Lösung auch scheinen mag.

      Mali zuckte unschlüssig mit den Schultern.

      „Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Eigentlich will ich den Ort hier nicht wieder so schnell verlassen, aber ich habe Angst, dass die Erinnerungen zu stark sind und mich erdrücken werden.“

      „Verstehe“ Damian sah zu Boden.

      „Nein ich glaube nicht, dass du das verstehst“, antwortete sie eine Spur bissiger als beabsichtigt. Sie war zwar nicht in der Stimmung schon wieder zu streiten, aber sie konnte Damians Art nicht leiden, wie er immer meinte, er würde alles wissen und verstehen. Er hatte nicht so etwas durchgemacht wie sie, er hatte nicht erst vor kurzem seine Mutter verloren. Mali ärgerte sich schon wieder, wie sie hatte so dumm sein können, einzuwilligen, dass er mitkam. Er machte doch bloß Ärger oder nervte sie.

      „Gut, vielleicht, habe ich nicht gerade vor ein paar Tagen meine Mutter verloren, aber glaube ja nicht, dass du die einzige bist, die einen geliebten Menschen verloren hat“, schoss Damian zurück. Mali merkte, dass er verletzt war. Er war rot geworden. So viele Gefühle hat er bisher noch nie gezeigt. Noch nie hatte er etwas so Persönliches von sich preisgegeben. Schnell blickte er zur Seite.

      „Tut mir leid“ Mali fühlte sich schlecht. Dauernd bildete sie sich Vorurteile über Damian und beurteilte ihn anhand dessen. Dauernd beurteilte und verurteilte sie ihn, obwohl sie ihn kaum kannte.

      „Hast du auch deine Mutter verloren?“

      Damian sah Mali überrascht an. Dann drehte er wieder den Kopf weg.

      „Ich will nicht darüber reden“, murmelte er.

      „Damian, wie soll ich dir vertrauen, wenn du dich dauernd vor mir verschließt?“ Mali war wütend. Dauernd wollte dieser Typ etwas über sie erfahren, doch wenn es ihm zu persönlich war, wechselte er sofort das Thema.

      Damian raufte sich die Haare.

      „Mali, ich verspreche dir, dass ich es dir irgendwann erzähle, aber ich kann es noch nicht. Nicht jetzt, ok?“ Er sah Mali flehend an. „Bitte Mali“

      Schließlich willigte Mali ein.

      „Gut, wenn du es versprichst.“

      „Versprochen.“

      Es entstand eine lange Pause. Damian brach das Schwiegen irgendwann.

      „Willst du eine Nacht hierbleiben?“

      Mali schüttelte den Kopf.

      „Nein, ich muss weiter. Ich muss…“ Sie stockte. Sie wusste nicht, wie viel sie Damian anvertrauen konnte. Sollte sie ihm jetzt schon die ganze Wahrheit erzählen? Sie konnte es nicht riskieren. Also entschied sie sich für ein Bruchstück.

      „Ich muss in den Wald. Meine Mutter hat mir aufgetragen etwas zu suchen.“ Dass es sich bei diesem Etwas um eine Person handelte, verschwieg Mali.

      „Was musst du suchen?“, fragte Damian.

      „Ich weiß es nicht“, log Mali.

      Damian überlegte.

      „Das könnte eine interessante Suche werden, wenn wir nicht mal wissen, wonach wir suchen.“ Er lachte. Mali verstand zwar nicht was an dieser Situation so lustig war, jedoch war sie froh, dass Damian nicht weiter nachfragte.

      „Hier finden wir wahrscheinlich nichts mehr“, meinte sie nur und verließ das Zimmer. Damian folgte ihr. Sie gingen wieder nach unten in die Küche. Im Türrahmen blieb Mali kurz stehen. Sie erinnerte sich an ihr letztes Frühstück mit ihrer Mutter. Sie verbannte diese Erinnerung jedoch sofort wieder aus ihrem Kopf. Dafür hatte sie jetzt echt keine Zeit.

      „Was ist?“, fragte Damian, der ihr Zögern bemerkt hatte.

      „Nichts“, log Mali wieder. Und während sie sich und Damian etwas zu essen machte, fragte sie sich unwillkürlich, ob sie beide jemals an den Punkt kommen würden, dass sie dem anderen so weit vertrauten, dass sie keine Geheimnisse voreinander hatten. Wenn, dann würde das jedoch noch lange gehen, wenn sich Damian weiterhin so benahm, dachte Mali grimmig.

      Sie brachen bald auf. Mali holte ihren Rucksack vom Schrank und suchte auch noch den ihrer Mutter. Beide Rucksäcke packten sie voll mit Essen, das sie noch in der Vorratskammer gefunden hatten, vollgefüllten Trinkflaschen und ein paar Wechselklamotten. Mali wusste nicht, wie lange sie unterwegs sein würden, doch sie rechnete mit ein paar Tagen. Hoffentlich nicht mehr, dachte sie verzweifelt.

      Gegen Nachmittag standen die Rucksäcke gepackt im Hausflur und Mali und Damian waren gestärkt.

      Mali holte ihre Wanderschuhe aus dem Regal und zog sie an. Ein Blick zu Damian zeigte ihr, dass er selbst schon einigermaßen festes Schuhwerk anhatte. Das war gut, so musste sie sich wenigstens nicht auf die Suche nach passenden Schuhen für ihn machen. Mali bezweifelte nämlich stark, dass sie Schuhe in seiner Größe finden würde. Sowohl sie als auch ihre Mutter hatten beide sehr kleine Füße.

      Als letztes zog Mali die Papiere ihrer Mutter aus der Jackentasche, faltete sie vorsichtig zusammen und verstaute sie in ihrem Rucksack.

      An der Tür blieb sie noch