Leonie Graf

Das Feuer der Werwölfe


Скачать книгу

ließen sich nicht stoppen. Doch nach all der Zeit, fühlte es sich endlich befreiend an. Die Trauer um ihre Mutter, die Angst, was mit ihr passierte und die Wut darüber, dass sie nicht wusste, wo sie war, wer dieser seltsame Junge war und was er von ihr wollte, bahnten sich einen Weg nach draußen.

      Einige Zeit später lag sie einfach nur da und starrte an die Decke. Die Tränen waren versiegt und ihre Augen ausgetrocknet und rot. Sie juckten fürchterlich. Mali wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Einfach hier liegen und warten? Gegenüber vom Fenster hatte Mali noch eine weitere Tür entdeckt, die in ein angrenzendes Bad führte, das Mali sehr gelegen kam. Sie lud sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht. Das Kopfweh ließ langsam nach.

      Mali sah sich suchend nach einem Handtuch um, als sie etwas bemerkte. Es war das Fenster, das ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Die Sicht nach draußen war weder von Vorhängen noch von einem Rollladen verdeckt.

      Neugierig lief Mali zu dem Fenster und blickte nach draußen. Sie war unter dem Dach, es musste wohl das dritte Stockwerk sein. Die Häuser ringsum sahen zu Malis bitterer Enttäuschung alle gleich aus. Ihre Vermutung hatte sich bestätigt. Sie war noch nie in diesem Viertel gewesen. Allerdings konnte sie auch nicht sagen, wo ihr eigenes Viertel lag. Sie hatte komplett die Orientierung verloren und würde sie so schnell auch nicht wiederbekommen. Mit einem Seufzen drehte Mali sich vom Fenster weg. Viel hatte es ihr nicht gebracht. Das einzige, was sie dadurch erfahren hatte war, dass sie nun wusste, dass eine Fluch unmöglich war. Sie konnte nicht aus dem Fenster springen, wie sie insgeheim gehofft hatte.

      Mali seufzte noch mal und ging dann zurück in ihr Zimmer.

      Als sie dort ankam saß der fremde Junge auf ihrem Bett und blickte sie an.

      "Da bist du ja“, sagte er. Es klang vorwurfsvoll, so, hätte er schon stundenlang auf Mali gewartet.

      "Wie es aussieht hast du dich wieder etwas beruhigt", fügte er mit einem leichten Grinsen hinzu.

      Mali verlor die Nerven. Wie konnte dieser Typ nur so ruhig bleiben und sie völlig im Unklaren lassen. Er merkte doch, dass sie das wütend machte.

      "Sag mir jetzt verdammt nochmal, wer du bist und was das alles hier soll", fauchte sie.

      Zum ersten Mal, seit sie hier war, antwortete der Junge ihr etwas Sinnvolles: "Tut mir leid, aber ich darf nichts sagen. Mein Vater hat es mir verboten."

      Mali seufzte, aus diesem Typen konnte man einfach nicht schlau werden.

      "Kannst du mir wenigstens deinen Namen verraten?", fragte sie genervt.

      Der Junge zögerte. Dann schüttelte er den Kopf.

      "Nein, tut mir leid. Auch das geht nicht. Wobei, was ist schon dabei. Nenn mich Damian.“

      Damian, was für ein seltsamer Name, dachte Mali. Aus ihren Büchern wusste sie, dass Damian für 'der mächtige Mann' steht. Passend dachte sie verbissen.

      "Also gut, Damian…warum hast du meine Mutter…" Mali brachte das Wort nicht über die Lippen.

      Damian zögerte, dann schüttelte er nur den Kopf.

      "Es tut mir wirklich leid, dass du über nichts Bescheid weißt, aber ich darf dir nichts erzählen."

      Mali verlor jetzt endgültig die Geduld.

      "Verdammt nochmal!“, schrie sie wütend. „Kannst du mir nicht einfach sagen was hier eigentlich gespielt wird? Weißt du wie es sich anfühlt, von dem Mörder der eigenen Mutter gerettet und doch gefangen gehalten zu werden? Weißt du wie ich mich grad fühle?"

      "Nein", meinte Damian. "Das weiß ich nicht. Ich würde dir auch gerne helfen, aber mein Vater…" Bei dem Wort Vater stockte er kurz, wie wenn er überlegen musste, ob er jetzt nicht zu viel verraten hatte.

      "Dein Vater ist mir scheißegal. Sag mir jetzt endlich was das alles soll!" Mali konnte nur noch mit Mühe die Tränen zurückhalten.

      Unten schlug die Haustüre zu. Plötzlich wirkte Damian gehetzt. Wie ein aufgescheuchtes Tier sprang er auf.

      "Mein Vater", keuchte er.

      Wie ein in die Ecke gedrängtes Tier sah er sich hektisch um dann machte er ein Schritt auf Mali zu und packte sie am Arm.

      "Hey!", empörte sie sich.

      "Pst!", zischte Damian.

      Mit einem flehenden Blick sah er Mali an.

      "Bitte, du musst jetzt mitspielen."

      Mali kochte vor Wut. "Wieso sollte ich? Du hältst mich hier gefangen und denkst ich mache genau das was du sagst? Da hast du dich gewaltig geschnitten."

      Auf der Treppe waren Schritte zu hören. Dann eine tiefe Stimme: "Damian, bist du da oben? Ich habe doch gesagt, dass du nicht zu ihr sollst. Sie ist gefährlich."

      Damian geriet in Panik. Irgendwie tat er Mali leid. Doch sie hatte die Schnauze voll davon, immer mitspielen zu müssen. Sie wollte endlich wissen, was hier los war.

      „Sag mir endlich was hier los ist“, forderte sie kühl.

      "Ok", willigte Damian ein. "Wenn du jetzt mitspielst, bringe ich dich hier raus und erkläre dir alles. Versprochen."

      Mali nickte kurz und knapp. Sie wusste nicht warum, doch sie war sich sicher, dass er sein Wort halten würde.

      "Danke" flüsterte Damian.

      Dann passierte alles sehr schnell. Er ließ sich nach vorne auf Mali fallen. Sie hatte keine Zeit mehr zu reagieren. Der Angriff kam zu schnell, zu unerwartet. Mit einem leisen Aufschrei ging sie zu Boden. Damian zog ein Seil aus der Hosentasche und band ihr die Arme hinter dem Rücken zusammen. Sein Knie hielten ihre Beine gefangen. Mali war unfähig sich zu rühren. Damian war viel stärker als sie. Gegen ihn hatte sie keine Chance.

      "Hey!", protestierte sie. Und versuchte sich frei zu strampeln. "Lass mich sofort los!"

      "Bitte.“ Damian sah sie wieder mit diesem flehenden Blick an. Dann zog er ein Taschentuch aus der Tasche und stopfte es Mali als Knebel zwischen die Zähne. Mit einem weiteren Seil band er noch ihre Füße zusammen. Genau in dem Moment wurde die Tür aufgerissen. Damian fuhr herum. In der Tür stand ein großer Mann. Es war derselbe Mann, der Mali verfolgt hatte. Und es war derselbe Mann, der Malis Mutter erschossen hatte. Mali hatte das Gesicht sofort wiedererkannt. Und es glich dem von Damian fast aufs Haar. Man sah ganz deutlich, dass der Mann Damians Vater war. Damians Vater hatte ihre Mutter erschossen, nicht Damian. Mali musste würgen.

      Damian sah sie an und legte hinter seinem Rücken, für seinen Vater unsichtbar, eine Hand auf ihr Bein, um sie zu beruhigen. Ganz sachte streichelte er ihr Bein mit seinem Daumen. Und zu ihrem Erstaunen beruhigte Mali sich fast sofort. Was zur Hölle stellte er mit ihr an? Verärgert schüttelte Mali seine Hand ab. Er hatte ihre Mutter zwar nicht umgebracht, doch er war der Sohn eines Mörders. Sie konnte es sich nicht leisten ihm zu vertrauen. Das kleine bisschen Vertrauen, das sie ihm schon entgegengebracht hatte, hatte Damian schon vernichtet. Wie hatte sie nur annehmen können, dass er sie wirklich hier rausbrachte?

      "Was hast du hier zu suchen, Damian", donnerte Damians Vater jetzt. "Sie ist gefährlich. Sie könnte dir etwas antun."

      Damian lachte trocken auf.

      "Mir etwas antun? Sie liegt hier geknebelt und zu einem Päckchen verschnürt. Wie zur Hölle, soll die mir was antun!"

      "Rede nicht so mit mir!", schrie sein Vater. Er holte aus und gab seinem Sohn eine schallende Backpfeife.

      Mali gab einen erstickten Laut von sich. Die Erinnerung überflutete sie. Auch sie hatte die gleiche Ohrfeige von ihm erhalten.

      "Halt die Klappe", schimpfte der Mann an sie gewandt und Mali verstummte augenblicklich. Dann zog er Damian auf die Füße und verließ mit ihm zusammen das Zimmer. Er schloss hinter ihnen ab.

      Jetzt war Mali wieder alleine. Und sie wusste noch weniger als zuvor, lag hier zusammengeschnürt und geknebelt und konnte sich nicht einmal bewegen. Ihre Beine schliefen allmählich ein. Wie hatte sie nur so dumm sein können und