Leonie Graf

Das Feuer der Werwölfe


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würde. Konnte man einen Sturz aus dem dritten Stock überleben? Höchstwahrscheinlich nicht, dachte Mali verbittert.

      Von unten sah Damian erwartungsvoll zu ihr hoch und gab ihr minder hilfreiche Tipps.

      „Du musst dich nur leicht abstoßen und dann das Rohr ganz festhalten, sonst fällst du runter.“

      Ach, was du nicht sagst, dachte Mali bissig.

      Nichtsdestotrotz fixierte sie das Rohr und machte sich zum Absprung bereit. Sie saß in der Hocke auf dem Fenstersims. Mit einer Hand hielt sie sich am Fensterrahmen fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und schon vor dem Sprung in die Tiefe zu stürzen.

      In ihrem Kopf lieferten sich zwei Gedanken eine Rauferei darum, welcher ihren Kopf besetzen würde. Der erste war: Spring, du schaffst das. Glaub an dich. Der zweite eher nicht ermutigend, nämlich, du wirst dir alle Knochen brechen, wenn nicht sogar sterben.

      Bevor eine der Gedanken gewonnen hatte, beschloss Mali zu springen. In ihrem Kopf zählte sie bis drei. Eins. Zwei. Drei. Auf drei stieß sie sich so kräftig vom Fenstersims ab, wie sie nur konnte. Im Flug streckte sie die Arme aus, um nach dem Regenrohr, das immer schneller auf sie zugeflogen kam, zu greifen. Wie von selbst schlossen sich ihre Hände um das Rohr und klammerten sich daran fest. Mali hatte etwas zu viel Schwung geholt. Verzweifelt diesen Schwung abzufedern, so dass sie nicht am Rohr vorbeiflog, rutschten ihre Hände ein Stück an dem Regenrohr herunter. Mit einem Schrei, unfähig ihren Fall entlang des Regenrohrs zu verhindern, rutschte Mali immer weiter in die Tiefe. Ihre Handflächen, die sie immer noch an das Regenrohr gepresst hielt, brannten, als sie daran herunterrutschten. Jedoch bremsten sie Mali so weit, dass sie fast sanft von Damian unten aufgefangen wurde. Mali keuchte erleichtert auf.

      „Das müssen wir noch mal üben“ Damian lachte leise. Dann stellte er Mali auf ihre eigenen Füße und nahm sie bei der Hand. Er zog sie hinter sich her die Straße hinunter.

      Plötzlich hörten sie einen Schrei. Es war Damians Vater. Er hatte ihre Flucht bemerkt und stand jetzt im Türrahmen. In der Hand hielt er zu Malis Entsetzen eine Pistole. Sie hatte nur kurz einen Blick über die Schulter geworfen, was jedoch nicht stehen geblieben. Sie musste es bis zu der Ecke da vorne schaffen, dann könnte Damians Vater nicht auf sie schießen.

      „Bleibt sofort stehen, oder ich schieße“, schrie er ihnen hinterher. Doch sie beide dachten gar nicht daran.

      Plötzlich knallte es direkt neben Mali. Sie schrie laut auf. Damians Vater hatte tatsächlich auf sie geschossen. Er hatte tatsächlich auf seinen eigenen Sohn geschossen. Die Kugel hatte sie beide nur knapp verfehlt.

      Damian zog an Malis Arm und sie rannten nur noch etwas schneller. Damian fluchte leise, als die nächste Kugel neben ihnen einschlug. Sie liefen jetzt im Zick Zack, um ein nicht so leichtes Zeil für die Pistole abzugeben.

      „Das werde ich dir nie verzeihen, du Verräter“, schrie Damians Vater jetzt. „Ich bring dich um, wenn ich dich in die Finger kriege!“

      Er schoss noch wieder. Zwei Kugeln schlugen in die Hauswand neben ihnen ein.

      Da die Ecke, es waren noch fünf, vier, drei Meter.

      Sie bogen gerade um eine Ecke, als eine Kugel in die Hauswand hinter ihnen einschlug und kleine Splitter regnen ließ. Die Schreie von Damians Vater wurden leiser, und obwohl sie sich sicher waren, dass er sie nicht verfolgte, rannten sie immer noch.

      Um eine Ecke, dann um eine weiter, dann noch eine. Mali hatte die Orientierung verloren, doch sie ließ sich von Damian leiten. Scheinbar hatte er ein Ziel.

      Mali keuchte schwer. So ein Sprint war ihre Ausdauer nicht gewohnt und sofort zogen sich ihre Lungenflügel krampfhaft zusammen, um nach Luft zu schnappen. Damian machte jedoch erst langsam, als sie vor einer kleinen baufälligen Scheune standen. Sie mussten sich inzwischen schon etwas außerhalb der Stadt befinden, denn Mali hatte diese Scheune noch nie bewusst wahrgenommen. Es war ein Schuppen, in der Größe eines kleinen Unterstandes für Tiere. Und genauso roch er auch. Als Damian die quietschenden Scheunentore öffnete schlug Mali sofort der Geruch von Bauernhof ins Gesicht. Die Scheune war jedoch leer. Überall lag Stroh und Heu, auch auf dem kleinen Heuboden. Die kleine Leiter, die auf den Boden hinaufführte, sah vertrauenerweckender aus als das Regenrohr fand Mali und kletterte beruhigt hinauf als Damian ihr offenbarte, dass das ihr Nachtlager werden würde.

      Mali wunderte sich inzwischen über fast nichts mehr. In weniger als ein paar Tagen war ihr Leben so aus den Fugen geraten, dass es ihr nur recht war, wenn jemand anderes die Entscheidungen traf. Sie war sehr müde und freute sich darauf, schlafen zu können, auch wenn es nur ein paar Stunden auf einem Heuhaufen bedeutete. Damian folgte ihr, als er sich vergewissert hatte, dass das Scheunentor verriegelt war. Er setzte sich neben Mali ins Heu.

      „Hier wird uns niemand finden“, sagte er. Dessen war sich Mali ebenfalls sicher.

      Auch wenn sie gerne sofort die Augen geschlossen hatte, war sie doch neugierig, wie es weitergehen sollte.

      „Was ist der Plan?“, fragte sie deshalb.

      Damian schwieg eine Weile. Mali erwartete schon wieder keine Antwort zu bekommen, als er sich schließlich doch noch räusperte.

      „Der eigentliche Plan war, dich hier abzuliefern, dann kannst du dorthin gehen, wohin du willst und ich würde wieder zu meinem Vater zurückkehren. Er würde nie etwas davon bemerken, dass ich dir zur Flucht verholfen hätte. Ich hätte am Morgen einfach gesagt, dass ich keine Ahnung hätte, wo du seist und, dass du wohl aus dem Fenster abgehauen bist. Jetzt, wo mein Vater durch deinen Schrei auf deine Flucht aufmerksam geworden ist, muss ich wohl oder übel hierbleiben. Zurück kann ich jetzt jedenfalls nicht mehr. So viel ist klar. Mein Vater reißt mir den Kopf ab, wenn ich mich wieder blicken lasse, das hast du ja gehört.“

      Mali sah betreten zu Boden.

      „Tut mir leid“, murmelte sie leise.

      „Ist schon ok.“ Damian zuckte mit den Schultern. „Ganz ehrlich, so toll ist es bei meinem Vater auch nicht, dass ich unbedingt zurück möchte. Hier erlebe ich wenigstens Abenteuer. Oder so etwas wie ein Abenteuer. Kommt ganz darauf an.“

      „Worauf?“, fragte Mali neugierig.

      „Darauf, was du jetzt vorhast. Wenn du zurück nach Hause gehst, wird das ziemlich langweilig für mich, denke ich. Dann muss ich mir irgendwas suchen, wo ich blieben kann. Wenn du jedoch irgendeinen geheimen Auftrag zu erledigen hast, dann denke ich würde das schon spannender werden.“

      Mali fasste sich ertappt an die Jackentasche. Dort hatte sie die Papiere ihrer Mutter versteckt. Es war, wenn man es genau nahm, schon eine Art Geheimauftrag, den sie da zu erledigen hatte. Und da sie keine Ahnung hatte, wie sie diesen Carlos Vendris finden sollte, kam es ihr nur Recht, dass sie etwas Hilfe hatte.

      „Du willst mich also begleiten, bei dem was ich tun muss?“

      „Du hast also tatsächlich einen Geheimauftrag?“, fragte Damian mit einem Grinsen. „Das passiert einem nicht alle Tage, dass da ein Mädchen angelaufen kommt, mit dem man aus dem dritten Stock springen muss, um dann eine geheime Mission zu erledigen. Ich dachte sowas gibt es nur in Büchern“, sagte er immer noch grinsend. Mali fand, dass es tatsächlich komisch klang, wenn Damian die Ereignisse so kurz zusammenfasste. Und doch war es genauso passiert.

      Damian wurde wieder ernster und dachte über Malis Frage nach.

      „Kommt drauf an, was dein Geheimauftrag ist.“, antwortete er ihr dann, wobei er wieder grinste, als er das Wort Geheimauftrag mit Gänsefüßchen untermalte.

      Mali erinnerte sich daran, dass sie ihm vertrauen wollte. Also entschied sie sich für die Wahrheit.

      „Ich muss eine Art Geheimbotschaft von meiner Mutter überbringen.“

      „Ah eine Geheimbotschaft also. Und was steht da drin? Wie man eine Atombombe baut, oder irgendwelche Rachepläne?“

      Mali musste ebenfalls grinsen, es machte Spaß mit Damian herumzualbern. So war die Wahrheit, die sich immer hinter ihren Sätzen verbarg, besser zu ertragen.

      „Um