Christian Jesch

Renaissance 2.0


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stehen. Das Tier schien unsicher zu sein. Ungewöhnlich, dachte Femm. Außergewöhnlich war auch seine Statur. Es schien ihm an nichts zu mangeln. Der Körperbau war kräftig und gut genährt. Dann ein weiteres Geräusch. Das Tier blickte in die Richtung, aus der es zuvor kam und trotte dann in diese zurück. Schließlich blieb es erneut stehen und schaute scheinbar etwas entgegen.

      Femm war mehr als überrascht, was danach geschah. Ein Mädchen, ein paar Jahre jünger als sie selbst, schätzte die Magus, trat hinter dem verbrannten Gebäude an der Ecke hervor und kraulte dem Tier den Schädel. Nachdem das Kind den Kopf gehoben hatte, entdeckte es Femm, die immer noch unbeweglich an derselben Stelle stand. Sie riss überrascht sie Augen auf, machte aber keine Anstalten, wegzulaufen.

      "Hallo!", rief Femm. "Wie kommst du hierher?"

      "Und wie kommst du hierher?", antwortete das Mädchen. Langsam näherten sich die beiden an.

      "Mein Name ist Femm", eröffnete die Magus das Gespräch erneut.

      "Ich bin Grinn."

      "Was machst du hier?"

      "Ich habe hier schon immer gelebt", berichtete Grinn fröhlich.

      "Aber…", sagte Die Magus und wies dabei mit offenen, nach oben gedrehten Handflächen auf die Umgebung hin.

      "Ach das", erwiderte das Mädchen lakonisch. "Das ist schon lange her."

      "Dann kannst du mir sagen, was hier passiert ist?"

      "Ja, natürlich. Vor einigen Jahren kamen einige Männer und Frauen in Uniformen und verlangten von uns, dass wir den Ort verlassen. Die Bewohner weigerten sich, weil wir hier alle unsere Felder hatten. Da brannten sie das Dorf nieder."

      "Und…?", erneut stockte Femm. Wie konnte das Kind nur so unbeteiligt diese Geschichte erzählen, während die verkohlten Überreste der Bewohner hier noch immer um sie herum lagen? "Leben deine Eltern noch hier?"

      "Nein. Die sind bei der Säuberung mit ums Leben gekommen."

      "Und das sagst du so einfach, als wäre nichts gewesen?"

      "Am Anfang war es schwierig, darüber hinwegzukommen. Dann, im Laufe der Zeit wurde es immer leichter. Jetzt ist es für mich einfach nur Geschichte. Was soll ich auch schon groß machen?" Femm war immer noch wie vor den Kopf geschlagen. Dieses Kind hatte mitbekommen, wie ihre Familie umgebracht wurde und doch schien ihr das nichts auszumachen. "Ich weiß, was du jetzt denkst. Aber sei mal ehrlich, was nützt es mir trauernd in den Überresten unseres Hauses zu sitzen? Das ist alles schon länger her. Die Zeit geht weiter und ich muss mich darum kümmern, zu überleben."

      "Wann ist das Ganze denn passiert?", erkundigte sich Femm jetzt neugierig.

      "Ich bin mir nicht sicher. Ich glaube aber, dass es jetzt schon drei, vielleicht auch vier Jahre zurückliegt."

      "Und weißt du auch, warum alle das Dorf verlassen sollten?"

      "Das haben die Männer und Frauen nicht gesagt. Erst recht nicht, als sie in der Nacht kamen und alles niederbrannten." Femm konnte es einfach nicht glauben, was sie da hörte. Auf der anderen Seite unterstützte dies ihr Theorie, dass man am besten dort etwas versteckt, wo die Menschen glauben, der Tod würde an diesem Ort leben. Jemand hatte hier mit aller Macht ganze Arbeit geleistet, um diesen Teil des Landes als unheimlich und todbringend zu etablieren. Obwohl sie als Magus die meiste Zeit im Kloster lebte, waren ihr die Vorgänge in der Außenwelt nicht vollkommen entgangen. Und erst recht nicht, nachdem sie auf Arazeel angesetzt worden war. Für sie gab es nur eine Gruppe, die derartige Taten vollbringen würde. Auch, wenn sie es gerne der Regierung von Mår-quell angehängt hätte, konnte nur die ProTeq dafür verantwortlich sein. Das wiederum bedeutete, dass diese überdimensionierte Firma hier etwas Beträchtliches zu verstecken hatte. Und die Flugrichtung des Patrouillenhover bestätigte die Vermutung.

      "Sag mal, ist dir hier in der Gegend schon einmal etwas Ungewöhnliches aufgefallen. Bist du hier eventuell auf größere Gebäudekomplexe gestoßen?"

      "Dazu kann ich nichts sagen. Ich begebe mich meistens nicht allzu weit von dem Dorf weg. Nur, wenn wir jagen", erklärte Grinn und streichelte erneut den Kopf des Tieres.

      "Sind dir denn zumindest schon einmal diese Patrouillenhover aufgefallen, wie der eine, der vorhin an deinem Dorf vorbeigezogen ist?"

      "Du meinst diese großen, schwarzen Flugobjekte? Ja, da kommt manchmal einer. Sind aber immer nur sehr wenige. Keine Ahnung, wo die hin wollen."

      "In beide Richtungen?", hakte Femm nach.

      "Ich glaube schon. Ich mache mich immer dünn, wenn ich sie höre. Muss ja keiner wissen, dass ich hier lebe."

      "Ich würde dich ja gerne einladen, mich zu begleiten, aber ich bin auf einer Mission."

      "Oh, nein danke. Ich werde hier nicht so schnell weggehen. Das ist meine Heimat. Freiwillig gehe ich nirgendwo anders hin."

      "Kannst du mir vielleicht noch irgendetwas über diese Region hier erzählen? Etwas, das mir hilft, wenn ich mich hier bewege?"

      "Nicht wirklich. Ist eigentlich ziemlich langweilig hier. Ich hoffe für dich, du hast genügend Lebensmittel dabei. Hier gibt es nur wenig Wild oder Obst, das man jagen und essen kann."

      "Danke. Damit habe ich keine Probleme. Aber ich habe da so eine Idee. Wo ist dein Haus?" Das Mädchen schritt voran und brachte die Magus zu einem halbwegs intaktem Gebäude, in dem sie lebte. Hinten war eine Grünfläche, die Femm mit ihren Erd- und Wasserfähigkeiten zu einem Garten mit Obst und Gemüse umwandelte. Grinn war begeistert.

      Kapitel 16

      Als Isenn einige Stunden später den Raum ihrer Tochter betrat, hatte die alle wichtigen Informationen aus der Bibliothek zusammengetragen. Zumindest war sie dieser Überzeugung, da sie gefühlt einige hundert Bücher gewälzt hatte. Immer waren nur sehr wenige Details oder Beschreibungen zu finden gewesen. Das Ganze erinnerte an ein Puzzle mit zehntausend Teilen, die alle aus der Farbe Schwarz bestanden. Immerhin konnte sich die junge Magus jetzt eine bessere Vorstellung von dem machen, was sie wo suchen musste. Aus der Küche der Bastei hatte sich das Mädchen einige Vorräte geholt, die sie gerade verpackte, als sich die Tür öffnete.

      "Willst du weg?", fragte ihre Mutter erstaunt.

      "Ich muss etwas erledigen", bestätigte Shilané.

      "Hat das was mit deinen Freunden zu tun, von denen du erzählt hast?"

      "Nein. In diesem Fall ist es etwas anderes, dem ich nachgehen muss." Sie griff nach den Karten und Notizen, die auf ihrem Tisch lagen, um diese in dem Rucksack zu verstauen, als ihr auffiel, dass ihre Mutter einige der Blätter in den Händen hielt und sie studierte. Sie hielt inne und wartete angespannt, bis Isenn fertig war. Dann streckte sie ihre Hand nach den Seiten aus. Ihre Mutter zögerte.

      "Du willst die Schwesternschaft suchen?", fragte Isenn mit gemischten Gefühlen. "Warum?"

      "Es geht um Arazeel", antwortete Shilané kurz.

      "Was willst du von ihm?"

      "Ich glaube, Arazeel ist der Schlüssel zu allem. Und ich will ihn kennenlernen."

      "Aber was hat die Schwesternschaft damit zu tun? Dein Vater hat Arazeel doch in die Hauptstadt gebracht."

      "Und die Magus haben ihn dort gefunden, verloren, in Akeḿ wiedergefunden, erneut verloren und jetzt weiß niemand, wo er ist. Niemand, bis vielleicht auf die Schwesternschaft."

      "Wer sagt das?", ereiferte sich Isenn etwas zu laut für Shilanés Geschmack. Sie wurde neugierig. Normalerweise stellte ihre Mutter nicht so viele Fragen. Laut wurde sie schon gar nicht. Irgendetwas steckte dahinter.

      "Einige Mitglieder der zweiten Fraktion. Sie sind sich zwar nicht absolut sicher, sind jedoch der Meinung, dass, wenn jemand weiß, wo Arazeel ist, die Schwesternschaft die wahrscheinlichste Gruppe ist."

      "Dir ist hoffentlich klar, dass man den anderen Fraktionen nicht trauen kann", versuchte Isenn ihre Tochter zu überreden.

      "Und dir