Christian Jesch

Renaissance 2.0


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ihm aus der Situation befreien konnte. Doch alle Anwesenden interessierten sich entweder nicht für das Geschehen oder bekamen es schlicht und ergreifend nicht mit. Als er wieder nach vorne blickte, war Kaziir aus seinem Sichtfeld verschwunden. Sie hatte sich einfach weiter auf den Weg zum Fahrstuhl gemacht. Als der Ferus Decam das erkannte, lief er erneut hinter der Frau her.

      "Sagen Sie mir wenigstens, wo Sie hin wollen, damit ich Sie anmelden kann", verlangte der Mann jetzt mit ruhiger Stimme.

      "Mich muss man nicht anmelden. Das sollten Sie mittlerweile mitbekommen haben. Und, wenn sie es unbedingt wissen müssen. Mein Name ist Agent Kaziir." Ein helles Ping gab die Ankunft des Fahrstuhls bekannt, den die Suprimegeneralin umgehend bestieg. Sie drückte auf den Knopf zum Schließen der Türen, um dann den für die oberste Etage folgen zu lassen. Zufrieden lächelte sie über ihren Auftritt. Auch, wenn ihr der arme Soldat ein wenig leid tat. Er konnte ja nichts dafür, dass sie sich hier so ungefragt einfach hineindrängte.

      Es dauerte ein bisschen, dann hielt die Kabine im dreiundzwanzigsten Stockwerk des Gebäudes. Hier oben befanden sich die Räumlichkeiten der hochrangigen Offiziere, wie Kaziir zumindest hoffte. Andernfalls müsste sie eine weitere Person einschüchtern, ihr die passenden Informationen zu geben. Die Frau betrat den Gang, der erstaunlich ruhig war. Man hätte den Eindruck bekommen können, die Etage sei vollkommen leer und unbenutzt. Doch dann öffnete sich am anderen Ende des Ganges eine Tür, aus der eine junge Frau trat. Ohne sich die Mühe zu machen, ihr näher zu kommen, verlangte Kaziir zu erfahren, wo sie den Kommandanten finden würde. Verwundert darüber, dass jemand sich so ungebührlich benahm, blickte sie die Renegatin abfällig an.

      "Wo finde ich ihn?", wiederholte Kaziir, während sie sich auf die Person zubewegte.

      "Was wollen Sie von dem Kommandanten?"

      "Das werde ich ihm schon sagen. Also, wo ist er?"

      "Können Sie sich erst einmal ausweisen? Was machen sie überhaupt hier im Gebäude und wie sind sie hier hoch gekommen?"

      "Mit dem Fahrstuhl", beantwortete Suprimegeneralin den letzten Teil der Frage, nachdem sie die Frau erreicht hatte. "Ich brauche mich nicht auszuweisen. Mein Name ist Agent Kaziir. Und jetzt sehen sie zu, dass Sie mir sagen, wo ich den Kommandanten finde.

      "Was ist denn hier draußen los?", erschallte plötzlich eine weitere, tiefe Baritonstimme.

      "Sind sie der Kommandant?", fragte Kaziir sofort, ohne der Frau auch nur den Hauch einer Chance zu lassen den Mann über die Situation aufzuklären.

      "Der bin ich. Und sie?" Kaziir stiefelte mit großen Schritten auf den kräftigen Mann zu.

      "Ich bin Agent Kaziir. Und wir werden uns jetzt einmal ausführlich unterhalten." Mit ausgestrecktem Arm schob sie den Mann wieder zurück in sein Büro und schloss die Tür. Nach kurzem Zögern setzte er sich erneut an seinen Schreibtisch und wartete ab, was sein Besucher vorzubringen hatte. "Wie Sie sich denken können, bin ich vom Geheimdienst. In dieser Position habe ich die Aufgabe von Ihnen alles über den Sturz der Regierung zu erfahren." Der Mann schaute verwirrt.

      "Ich verstehe nicht. Es ist doch alles nach Plan gelaufen."

      "Ist es das?", bohrte Kaziir nach. "Wir haben da etwas anderes gehört."

      "Oh", brachte der Kommandant hervor. "Was genau, haben Sie denn gehört?"

      "Das wissen Sie nur zu gut. Spielen Sie also keine Spielchen mit mir. Ich höre." Kaziir hatte sich groß vor dem Schreibtisch aufgebaut und blickte auf den Kraftprotz herab, der jetzt gar nicht mehr so eindrucksvoll aussah.

      "Alles verlief genau, wie es von Oben geplant war. Wir stürmten den Bundessenat und nahmen alle anwesenden Politiker fest, um sie unter Hausarrest zu stellen. Doch das verweigerten diese vehement. Sie wollten nicht in ihren Häusern untergebracht werden. Mittlerweile wissen wir auch, warum. Die Politiker, die wir verhafteten waren nicht die Menschen, sondern ihre Deriwate." Kaziir riss innerlich die Augen weit auf. Das war also Mår-quells Geheimnis. Sie war in den ganzen Jahren überhaupt nicht persönlich in der Hauptstadt anwesend. Und das bedeutete, dass die Regierung überhaupt nicht gestürzt wurde, da die realen Politiker immer noch irgendwo in Freiheit waren. Das wiederum besagte, sie würden alles daran setzten, die Macht zurückzuerlangen.

      "Dann stimmt das also, was wir in Erfahrung gebracht haben. Sie haben bei der Machtübernahme versagt. Können sie uns sagen, was wir Ihrer Meinung nach jetzt damit anfangen sollen. Nicht nur, dass der Widerstand mit Sicherheit mit der neuen Regierung nicht einverstanden ist und uns bekämpfen wird, nein, wir haben auch noch die alte Regierung, die alles daran setzen wird, zurückzukommen. Wie um alles in der Welt konnte ein solch eklatanter Fehler nur passieren?"

      Kapitel 13

      "Was hast du jetzt vor?" erkundigte sich Misuk bei Thevog, der sich nach dem Gespräch mit ihrem Vater in die Bibliothek zurückgezogen hatte.

      "Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Tebeel hat mir ein Angebot gemacht, über das ich schon die ganze Zeit nachdenke."

      "Hat er dir vorgeschlagen, ein Agent zu werden?"

      "Nein, ein Navigator." Misuk schaute den Jungen überrascht an. Das hatte sie nicht erwartet. Allerdings konnte sie verstehen, warum.

      "Das würde dann bedeuten, du würdest den Rest deines Lebens hier im Antiquar verbringen. Nicht gerade einen schöne Aussicht."

      "Das ist es eben. Dein Vater will mit mir eine Art neue Generation von Navigatoren beginnen. Ich soll zwar das Rempa Luak bekommen, aber mobil agieren. Das klingt erst einmal interessant, macht mir aber auch Angst. Ich will nicht da draußen herumlaufen und ständig alles, was ich sehe und höre automatisch in meinem Kopf zu einer wahrscheinlichen Zukunft umrechnen. Das würde mich vermutlich auf Dauer wahnsinnig machen."

      "Dann sag das meinem Vater", argumentierte Misuk nüchtern. "Er kann dich nicht dazu zwingen. Ich gebe zu, dass diese Art der Navigation interessant wäre, ein Navigator direkt in Mitten des Geschehens, aber dann soll er sich jemand anderes für dieses Experiment suchen. Du willst doch eh in erster Linie deine Freundin wiederfinden. Mach das und werde alt mit ihr, statt dich dieser Ungewissheit hinzugeben." Thevog betrachtete das Mädchen lange Zeit, ohne etwas zu sagen. Früher hatte er sie gruselig gefunden, weil sie immer alles im Voraus wusste. Sie hatte die Gruppe ständig in eine bestimmte Richtung geleitet und sie zum Spielball ihrer Interessen oder besser der des Ordens, gemacht. Doch nach und nach musste er feststellen, dass sie weitaus mehr war, als eine nervige Besserwisserin. Misuk besaß Tiefe. Sie war einfühlsam und hatte ein großes Wissen, welches die Jugendliche gerne teilte. Ihre soziale Kompetenz war heute eine völlig andere, als die, welche sie am Anfang kennengelernt hatten. Das Mädchen konnte sich wirklich um die Menschen kümmern, die ihr nahestanden. "Du hast die Navigatoren gesehen", fuhr sie fort. "Sie sind ein Schatten ihrer selbst. Unfähig, sich in der Außenwelt zurechtzufinden. Vielleicht würde es bei dir als neue Generation etwas anders aussehen, da du ja nicht auf einen Schalensitz fixiert bist, aber dein Gehirn wäre fixiert. Fixiert auf das ununterbrochene Berechnen der Zukunft. Und das ist kein Leben."

      "Du hast vollkommen recht", stimmte der Junge ihr zu. "Ich kann auch ohne diese Droge sehr gut Eins und Eins zusammenzählen. Obwohl ich schon sagen muss, dass es mich fasziniert, was ich wohl mit dem Rempa Luak noch erreichen könnte."

      "Dann solltest du, wie gesagt, mit meinem Vater sprechen, ob er dir so etwas wie eine Probezeit unter Aufsicht zugesteht, damit du erste Erfahrungen machen kannst. Möglicherweise stellt sich dabei sogar heraus, dass die Droge dir überhaupt nicht weiterhilft. Kann sein, dass sich bei dir nichts Neues einstellt, trotzdem du das Rempa Luak nimmst."

      "Das ist eine gute Idee. Ich werde dies mit ihm durchsprechen. Er wollte sowieso vorher einen Test mit mir fahren, wie ich auf das Zeug reagiere."

      "Dann mach das", spornte Misuk ihn an. "Wie weit bist du eigentlich mit deinen Forschungen über die Magus und ihren Aufenthaltsort gekommen?", wechselte sie jetzt das Thema.

      "Ich habe hier in der Bibliothek eine alte Karte gefunden, auf der das Blatt der Alten eingezeichnet ist. Es ist wirklich eine Felsformation, wie du gesagt hast. Mit dem Fluss und der Ruine bin ich hingegen