Christian Jesch

Renaissance 2.0


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verkündete die militärische Führerin. "Wir sehen uns das mal an. Kann ja nicht schaden. Wir landen direkt neben der Anlage. Geben Sie über Interkom Bescheid, dass sich ein Trupp bereithalten soll. Wir gehen rein." Der Funker setzte sofort die Anordnung von Ambisi um, sodass nur wenige Minuten später, nachdem der Hover aufgesetzt hatte, eine Gruppe von zirka dreißig Mutanten mit ihrer Anführerin den Transporter verließ. Der Komplex war eine ehemalige Solarfabrik, die den Strom für die nähere Umgebung lieferte. Da jedoch die Dörfer und Siedlungen bereits seit Jahrzehnten verlassen waren, verfiel dieses Kraftwerk nach und nach. Ungehindert betrat der Trupp das Gelände und bewegte sich auf die weiter hinten liegenden Gebäude zu. Nachdem sie diese erreicht hatten, blieb die junge Frau erst einmal verwundert stehen. Die Bauten schienen ihr um einiges kleiner zu sein, als der Bereich, mit dem Farbschemata, den sie auf dem Monitor gesehen hatte.

      "Gibt es Probleme?", erkundigte sich die Kommandeurin der Einheit.

      "Probleme nicht", antwortete sie zögernd. "Es ist nur, das Gelände, auf dem wir die Thermaldarstellung von Leben gescannt haben, war weitaus größer, als dieser Gebäudekomplex. Das irritiert mich."

      "Möglicherweise finden wir die Antwort, wenn wir hineingehen", schlug die Frau vor. Ambisi nickte.

      "Es geht weiter", verkündete die stämmige Frau und trieb ihre Einheit mit einer Handbewegung in das Bauwerk. Schnell verteilten sich die Mutanten und sicherten jeden Winkel. Nachdem sie das Erdgeschoss durchsucht und für sicher erklärt hatten, stürmten sie in die darüber liegenden Etagen. Nach einer kurzen Zeit sammelten sie wieder alle in der unteren Eingangshalle. Die Räumlichkeiten waren komplett leer. Kein Hinweis darauf, dass hier jemals jemand gelebt hatte, war zu finden.

      "Sucht nach einem Zugang, der nach unten führt", befahl Ambisi. "Hier muss irgendwo etwas sein. Unsere Scanner können sich doch nicht getäuscht haben." Erneut schwärmten alle dreißig Männer und Frauen aus. Sie untersuchten jeden Raum noch einmal, klopften Böden und Wände ab. Sämtliche Schächte, die der Trupp fand, wurden geöffnet und ihre Richtungen bestimmt. Endlich, nach fast einer Stunde meldeten zwei Frauen Erfolg. Sie hatten mit ihren Fertigkeiten einen Hohlraum von etwa zwei mal zwei Metern geortet, der scheinbar eine Treppe beinhaltete. Mithilfe eines Destruktors wurde der Betonboden über der angegebenen Stelle entfernt.

      Der Gang am Ende der Treppe war stockfinster. Einer der Pyrokineten ließ eine Flamme in seiner Hand entstehen, damit die Gruppe überhaupt etwas sehen konnte. Ambisi suchte am Fuß der Treppe nach einem Hebel oder Ähnlichem, um eventuelle Lampen einzuschalten. Endlich fand sie etwas Derartiges im Bereich hinter den Stufen. Umgehend wurde alles von Strahlern erhellt, die zunächst die Anwesenden blendeten. Es dauerte eine Weile, bis sich alle an das gleißende Licht gewöhnt hatte, dann folgte ein jeder dem Gang. Lediglich ein paar wenige, die Ambisi als Wachen für das Gebiet eingeteilt hatte, blieben zurück. Das Letzte, was sie wollte, waren unerwartete Überraschungen.

      Der Flur, dem sie folgten, verlief mehrere zig Meter geradeaus, bevor er dann einen Knick nach rechts machte und in einer riesigen, unterirdischen Halle endete. Was der Trupp dort vorfand, ließ sie abrupt stehen bleiben. Auf unzähligen Tischen lagen Männer und Frauen. Auf ihrer nackten Haut war ein leichtes Glänzen zu erkennen. Keiner dieser Menschen trug auch nur ein Stück Stoff am Leib. Aufgrund der Größe der Halle und den Reihen der Tische schätzte Ambisi die Anzahl auf drei- bis vierhundert Personen.

      "Hat jemand eine Ahnung, was das hier ist?", erkundigte sich die junge Frau bei ihren Soldaten. Einer der Mutanten trat näher an die Frau heran, die seitlich auf einem Tisch neben ihm lag. Langsam hob er den Arm und berührte den Körper.

      "Die hier ist kalt", bemerkte der er verwirrt. Dann legte er die andere Hand einem Mann auf, der direkt neben der Frau lag. "Dieser hier auch."

      "Kalt?", wiederholte Ambisi fragend. Dann unternahm sie selber eines der Experimente. Auch die Frau auf dem Tisch vor ihr war kalt. "Wurden diese Menschen etwa eingefroren?", wollte die Anführerin jetzt rhetorisch wissen.

      "Es könnte sich um eine Art Cryokinese handeln", schlug ein anderer Mutant als Lösung vor.

      "Sie meinen, diese Menschen wurde für die Nachwelt erhalten?"

      "Vielleicht hatten sie keine Nahrungsmittel mehr und haben deswegen entschlossen, auf diese Weise zu überleben."

      "Aber, das ergibt doch nicht den geringsten Sinn. Warum sind sie nicht einfach woanders hingegangen?", widersprach Ambisi.

      "Vielleicht konnten sie das nicht. Wenn sie, wie wir vermuten, Metamenschen sind, wurden sie verfolgt, wie all die andern."

      "Trotzdem. Die Dædlænds sind riesig. Und seit dem biochemischen Krieg so gar noch größer, weil die meisten Menschen von hier in die Biosphären oder größeren Städte geflohen sind. Es gibt unzählige kleine Dörfer, Ansiedlungen oder Kleinstädte, in die sie hätten gehen können. Dort findet man sogar heute noch teilweise essbare Nahrung in Dosen. Ich werde das Gefühl nicht los, diese Menschen hatte einen anderen Grund, diesen Weg zu wählen. Nur welchen? Das interessiert mich."

      "Um das in Erfahrung zu bringen, müssen wir die Leute hier aufwecken. Doch da haben wir schon das nächste Problem. Selbst ich, als Cryokinet, weiß nicht, was das für Folgen hat."

      "Einen Moment", unterbrach Ambisi den Mutanten, bevor er weiterreden konnte. Sie machte eine Pause, dann schaute sie dem Mann in die Augen. "Wenn diese Menschen in einer Cryostasis sind, wo sind dann die Geräte, welche diese aufrechterhalten? Oder anders gefragt, wo ist der Cryokinet, der die Leute auf Temperatur hält?" In der gigantischen Halle wurde es totenstill. Die Kommandantin der Armee hatte vollkommen recht, mit ihrer Frage. "Könnte der Cryokinet sich ebenfalls eingefroren haben und trotzdem die Stasis bei den anderen aufrechterhalten?", erkundigte sie sich bei ihrem Eismutanten.

      "Das wäre denkbar, auch, wenn ich es selber noch nicht versucht habe. Aber das Gehirn ist immer noch aktiv. Die Menschen sind schließlich nicht tot", bestätigte der Mutant.

      "Dann müssen wir ihn finden und zusehen, dass wir ihn aufwecken, damit er uns alles sagen kann, was von Bedeutung ist." Ambisi griff nach ihrem Comtab und forderte einen ihrer Telepathen an, der sich noch auf der Finsternis VII befand. Während sie warteten, schaute sich die Anführerin die Menschen auf den Tischen in ihrer nächsten Umgebung an. Immer wieder fuhren ihre Finger über die eingefrorenen Körper. Dabei berührte sie eindeutig nur bestimmte Teile der männlichen oder weiblichen Person. Auch hatten ihre Augen einen undefinierbaren Glanz bekommen und ein seichtes Lächeln umspielte ihre Lippen. Als würde sie an einem Buffet entlanggehen, das voll mit unwiderstehlichen Speisen war. Als jedoch die Telepathin eintraf, wirkte die Anführerin erneut voll konzentriert.

      "Was soll ich machen, Kommandantin?"

      "Versuch herauszufinden, wer von den Personen, die hier auf den Tischen liegen, dafür verantwortlich ist, dass diese Menschen sich in der Cryostasis befinden. Es muss hier einen Cryokineten geben." Das Mädchen schaute sie verwirrt an, sagte aber kein Wort. Für sie war es unlogisch, einen Telepathen für diese Aufgabe anzufordern. Doch sie kannte die neue Anführerin der Liga und der Armee noch nicht persönlich und wollte daher nicht von vornherein bei ihr auf der Abschussliste stehen. Also bemühte sich das Mädchen, so gut sie konnte. Doch nach mehreren Minuten musste sie aufgeben.

      "Es tut mir leid, aber ich kann niemanden ausfindig machen, der für den Zustand der Leute verantwortlich ist. Vielleicht sollten sie aber auch besser einen Energieorter anfordern. Schließlich muss die Person ja mit dem Metanetzwerk in Kontakt stehen, um ihre Fertigkeit anzuwenden." die junge Frau trat ehrfurchtsvoll einen Schritt zurück, weswegen Ambisi lächeln musste.

      "Du brauchst keine Angst haben", sagte sie in einem beruhigendem Tonfall. "Du hast sogar vollkommen recht. Ich hätte daran denken müssen. Kannst du mir einen Orter rufen?"

      "Das habe ich bereits, Kommandant."

      "Ich danke dir…" Sie machte eine Pause, als würde sie über etwas nachdenken, während sie die Frau Hilfe suchend anschaute.

      "Arindal", sagte diese dann nach einigen Sekunden.

      "Ich würde mich gerne heute Abend noch einmal privat mit dir treffen. Wäre das möglich?" Das junge Mädchen schluckte kräftig