Inga Kozuruba

Geschichten der Nebelwelt


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      Der Richter grinste schief: „Zumindest letzteres fällt in meinen Zuständigkeitsbereich und auch in den der Stadtwache. Für das erstere sollte wohl eher der Große Bruder eine Lösung finden. Wir können unmöglich allen Leuten hier Keuschheitsgürtel anlegen.“

      Karl hatte es nicht erwartet, aber der Oberin entwich tatsächlich ein kurzes Lachen: „Das wäre eine zu einfache Lösung. Gebt gut auf Euch Acht, Herr Richter. Und möge die Heilige Familie uns beistehen.“

      Er verbeugte sich abermals vor ihr, diesmal zum Abschied: „Ich danke Euch. Ich werde mein Möglichstes tun.“

      Mit diesen Worten machte er auf dem Absatz kehrt und eilte hinaus. Er wollte nicht einen Augenblick vergeuden und sich sofort auf den Weg zum Hauptmann der Wache machen. Die Oberin schlug das Schutzzeichen über sich und wandte sich ebenfalls zum Gehen. Sie instruierte die Schwestern mit den bevorstehenden Aufgaben und begab sich zur Kirche. Und dann nahm sie sich vor, nach dem Gespräch mit dem Großen Bruder in den Teil der Stadt zu gehen, in den sie bisher noch nie auch nur in Gedanken einen Fuß gesetzt hatte. Sie musste wissen, wie es um die größten Sünder und Sünderinnen in dieser Stadt stand.

      ***

      Um Hauptmann Forster zu sprechen musste Karl wohl oder übel den Marktplatz überqueren, auf dem jetzt schon ein geschäftiges Treiben herrschte und der Markt wie gewohnt erst am nächsten Tag der Woche, dem Bûrtan, angesetzt war. Die aus größerer Entfernung angereisten Händler waren jetzt schon damit beschäftigt, ihre Stände aufzubauen und die Waren soweit einzuräumen, dass sie diese am Markttag nur noch verkaufen mussten. Der eine oder andere übereifrige Kunde war zudem jetzt schon vor Ort und versuchte, möglicher Konkurrenz zuvorzukommen – oder schlicht und einfach jetzt schon Dinge wieder aufzufüllen, die im Haushalt oder in der Werkstatt nicht mehr vorrätig oder kaputt gegangen waren. Normalerweise würden ein paar Ordnungsleute in der Stadt das Treiben beaufsichtigen und dafür sorgen, dass der Handel in geordneten Bahnen erst am nachfolgenden Tag begann. Doch wie es schien, fühlte sich in diesem Augenblick keiner für diese Aufgabe zuständig.

      Karl runzelte die Stirn. Dann fiel ihm auf, dass es wohl am anderen Ende des Marktplatzes eine handfeste Auseinandersetzung zwischen ein paar Männern gab, bei der die Stadtwachen eingegriffen hatten und die Streithähne gerade auseinanderzogen. Je nachdem, wie die Angelegenheit sich weiterentwickelte, würden die beiden Männer möglicherweise mit einem blauen Auge davonkommen und nur ein Bußgeld zahlen. Bei schwerwiegenderen Vergehen konnten die Wachleute vor Ort eine Prügelstrafe erteilen, wie das so üblich war. Sofern kein größerer Schaden entstand, würde es sich damit bewenden. Die Wachleute hatten gewisse Handhabe bei Ruhestörungen und Tunichtguten, als nächste Instanz war der Hauptmann angesprochen, und bei schwerwiegenden Verbrechen hatte dann er als Richter eine Entscheidung zu treffen. Diese Leute würden dann in den Kerker gebracht, wo sie auf die Verhandlung zu warten hatten. Karl schätzte die Situation aber als nicht so schwerwiegend ein, als dass er am nächsten Tag davon hören würde. Es sah nicht so aus, als ob einer der Männer eine Waffe gezogen oder schwere Verletzungen erlitten hätte. Also setzte Karl seinen Marsch zum Hauptquartier der Wache fort.

      Das Gebäude lag an einer größeren Kreuzung, über die man alle drei Stadttore gut erreichen konnte, und von der aus die verschiedenen Patrouillen starteten. Erstaunt sah Karl, dass genau zum Zeitpunkt seines Eintreffens ein gebundener Mann von zwei Wachleuten in Richtung Kerker geschleppt wurde. Der Mann wirkte sehr ungehalten und versuchte immerzu, sich loszureißen und möglicherweise sogar einen der Wachleute zu beißen. Es sah sogar so aus, als hatte er sogar Schaum vor dem Mund, doch dessen war sich Karl nicht sicher. Im Zusammenhang mit dem, was die Oberin ihm anvertraut hatte, weckte der Anblick ein starkes Gefühl der Besorgnis in ihm.

      Karl fragte sich eilig zum Hauptmann durch, der wohl gerade ein paar der Wachleute instruierte. Hauptmann Forster war ein Mann um die Vierzig. Er hatte ein markantes, wenn auch nicht besonders gutaussehendes Gesicht, war großgewachsen und von kräftiger Statur, und machte damit durchaus einen Eindruck. In den letzten Jahren hatte er allerdings ein wenig um die Leibesmitte zugelegt und Geheimratsecken entwickelt. In seinem dunkelbraunen Haar und Bart waren außerdem auch schon die ersten grauen Haare zu sehen. Doch er war noch immer so kräftig und kampferfahren wie eh und je, wurde von seinen Männern stets mit viel Respekt bedacht und von seiner Ehegattin durchaus eifersüchtig gehütet.

      Der Richter wartete ab bis der Hauptmann seine Besprechung abgeschlossen hatte und ihn bemerkte. Der ohnehin schon missmutige Gesichtsausdruck von Forster verdunkelte sich noch etwas mehr.

      „Ich grüße Euch, Herr Richter“, sprach er ihn mit seinem dunklen Bass an. „Ich vermute, es sind keine guten Neuigkeiten, die Euch zu mir führen.“

      Karl schüttelte den Kopf: „Unglücklicherweise nein. Können wir irgendwo unter vier Augen miteinander sprechen?“

      Der Hauptmann zog die Augenbrauen zusammen, nickte dann aber und deutete dem Richter an, er möge ihm folgen. Die beiden zogen sich in einen ruhigen, gut gesicherten Raum zurück, in dem der Hauptmann Aufzeichnungen bearbeitete und sich um die Verwaltung der Bußgelder kümmerte.

      Ohne Umschweife begann Forster zu reden: „Also, was gibt es in der Stadt, dass der Richter zum Hauptmann kommt? Sagt mir bitte nicht, dass die Ereignisse der letzten Tage damit zu tun haben. Wir geben uns alle Mühe, die Dinge unter Kontrolle zu halten.“

      Der Richter zog eine Augenbraue hoch: „Meint Ihr etwa den Besuch des Dämonenjägers?“

      Der Hauptmann sah ihn verdutzt an: „Ich meine die vielen Prügeleien und Beschwerden über aufdringliche Männer und Frauen bis hin zu Vergewaltigungen. Was soll der Dämonenjäger damit zu tun haben?“

      Karl atmete tief durch und fasste sich an die Stirn. Dann sah er den Hauptmann an: „Der Dämonenjäger hatte durchblicken lassen, dass der unglückselige Glücksritter Timeon eine dämonische Verderbnis in die Stadt eingeschleppt hat, und dass zumindest einer der Wachleute betroffen ist. Doch mir scheint es jetzt, als ob die Sache größere Ausmaße angenommen hat als befürchtet.“

      Der Hauptmann gab einen wütenden Aufschrei von sich und schlug mit der Hand auf die Tischplatte. Der Richter zuckte zusammen und fragte sich sofort, ob der Hauptmann nicht möglicherweise selbst schon betroffen war. Doch andererseits hatte Forster schon immer ein aufbrausendes Temperament – er hatte es nur stets gut genug unter Kontrolle. Vielleicht hatte auch er einen Nordmann-Vorfahren in seiner Ahnenlinie, von dem niemand mehr etwas wusste.

      Forster knurrte unterdessen: „Falls das stimmt, dann haben wir vermutlich keine Möglichkeit mehr, etwas zu unternehmen. Wie zeigt sich diese Verderbnis? Und welcher Wachmann soll betroffen sein?“

      Karl seufzte: „Durch Gewalttaten und Zügellosigkeit. Und die Rede war von Lans.“

      Der Hauptmann verengte die Augen: „Nun, was Gewalttaten und Zügellosigkeit angeht, die Schwierigkeiten haben wir seit knapp einer Woche. Wir haben allerdings vermutet, dass das grässliche Leuchten im Kloster im Dunkeln die Ursache dafür ist, dass so viele Leute sich ungehörig benehmen – weil die meisten Gewalttaten bei Nacht passiert sind. Was Lans angeht kann ich nicht glauben, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Sein Verhalten ist tadellos, und er hatte noch nie auch nur eine andere Frau unangemessen angeblickt. Er ist ein wirklich sehr treuer Ehemann, seit Jahren verheiratet und noch immer wie frisch verliebt.“

      Karl zog eine Augenbraue hoch und sah Forster skeptisch an: „Noch immer?“

      Forster rollte mit den Augen: „Um genau zu sein, war es in den letzten Jahren ruhiger gewesen und Lans hatte mehr Zeit mit den Männern beim Bier verbracht als bei seiner Frau, aber jetzt scheint bei den beiden alles wieder in bester Ordnung zu sein. Ich glaube, sie machen sich sogar Hoffnung auf Nachwuchs, der ihnen bisher verwehrt blieb.“

      Der Richter seufzte und dachte sich, dass sich eine so plötzlich wieder entflammte Leidenschaft für ihn schon sehr verdächtig anhörte, wollte aber nicht weiter nachbohren: „Na schön, wie auch immer. Falls Euch ein unangemessen grausames oder lüsternes Verhalten der Wachleute zu Ohren kommen sollte, dann wendet Euch bitte an Oberin Klarina oder an den Großen Bruder persönlich. Sie werden sicherlich wissen, was zu tun ist, um der Verderbnis