Inga Kozuruba

Geschichten der Nebelwelt


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schüttelte den Kopf und lächelte beschwichtigend, während er ebenfalls Platz nahm: „Ich war nur sehr von meinem Tagwerk eingenommen, das ist alles.“

      Sie lächelte versöhnlich: „Müßiggang ist aller Laster Anfang, sagt man – umso besser, dass Ihr Euch nicht davon anstecken lasst. Nun, bei uns gibt es heute einen Gemüseeintopf mit dunklem Brot. Ich hoffe, das ist Euch genehm.“

      Eine der Schwestern deckte den Tisch, während die Oberin sprach, und füllte die einfachen Tonteller mit der Mahlzeit, ergänzt mit einer Scheibe Brot für jeden der Beiden.

      Der Richter sog den wohlriechenden Duft der Speise ein und lächelte: „Ich danke Euch für diese Speisen, mehr ist wahrlich nicht nötig.“

      Die Oberin nickte mit einem Lächeln und die Schwester ließ sie allein. Klarina faltete die Hände vor der Brust, Karl ebenso, und sie sprach ein einfaches Gebet vor dem Essen, mit dem Dank an den himmlischen Vater und die himmlische Mutter für diese Gaben. Dann verspeisten sie den Eintopf schweigend Löffel für Löffel, um im Anschluss mit dem Gespräch zu beginnen. Oberin Klarina bat den Richter, ihr dazu in den Kräutergarten zu folgen, wo sie nach dem Mahl zu spazieren pflegte und gleichzeitig nach den Pflanzen sah, die nicht nur ihre Mahlzeiten mit ihrem Aroma bereicherten, sondern auch in den heilenden Tees, Salben und Tinkturen Verwendung fanden. Es war einer der wenigen Orte, an denen in Ausnahmefällen die Anwesenheit eines Mannes gestattet war, zumindest im Falle eines Würdenträgers wie Karl einer war.

      „Nun, was wolltet Ihr besprechen, Richter?“, fragte sie ihn leise, um die wenigen im Garten anwesenden Schwestern nicht in die Versuchung der Neugier zu locken.

      Karl seufzte leise: „Ich weiß ehrlich nicht, wie ich anfangen soll. Es ist... eine neblige Sorge, die mich seit ein paar Tagen umtreibt – um genau zu sein, seit der Dämonenjäger zum Kloster aufgebrochen ist. Träume und Ahnungen sind nichts, womit ich mich bislang abgegeben habe, doch nun...“

      Klarina warf ihm einen prüfenden Blick zu: „Ihr tut gut daran, damit zu mir zu kommen. Erzählt mir von den Träumen.“

      Karl nickte und schilderte ihr alles, woran er sich erinnern konnte. Er beschrieb den Zweigesichtigen und erwähnte auch, dass er inzwischen wusste, dass das Gesicht zu einem der Wachmänner gehörte, und dass eben dieser Wachmann den verrückten Timeon in die Obhut der Schwestern gebracht hatte. Er erzählte vom geschändeten Symbol des Glaubens und dass er befürchtete, dass dies womöglich den Tod oder sogar den Fall des Dämonenjägers bedeutete. Er erwähnte auch den jüngsten Traum, der für ihn nichts anderes bedeutete als ein schreckliches Unheil, das der Stadt drohte. Seinen Besuch bei Bjarn Bärenpranke und die Warnung bezüglich dessen Familie sprach er vorerst nicht an. Er war sich zwar sicher, dass diese Leute von einer Frau wie Klarina selbst nichts zu befürchten hatten. Schließlich war sie keine Fanatikerin. Doch er konnte nicht sagen, ob sie sich nicht verpflichtet fühlen würde, das an die Rächer zu berichten, wenn diese danach fragen würden. Es war besser, keine unnötige Aufmerksamkeit auf diejenigen zu lenken, die grundlos beschuldigt werden könnten.

      Die Oberin hörte ihm zu, nickte hin und wieder mit dem Kopf, unternahm meist aber keine Anstalten, ihn zu unterbrechen. Nur hin und wieder fragte sie nach, was genau er gemeint hatte, als wollte sie sich ein besseres Bild von dem machen, was ihm in seinen Träumen erschienen war. Die Erwähnung des Zweigesichtigen hatte bei ihr zunächst keine besondere Reaktion hervorgerufen. Doch Karl merkte, dass seine Entdeckung von dessen Identität sie deutlich beunruhigte – mehr als er erwartet hätte.

      Als er zu Ende gesprochen hatte, geschah etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Klarina legte ihm ihre rechte Hand auf den linken Oberarm, knapp unterhalb der Schulter, und sah ihm ernst in die Augen. Er war überrascht über diese Geste, und noch viel mehr darüber, dass sie ihn nicht störte, wie das normalerweise der Fall gewesen wäre.

      „Was ich Euch jetzt sage, muss unbedingt unter uns bleiben, zumindest vorerst. Der Dämonenjäger hat angedeutet, dass der Wahnsinn, der Timeon in Besitz genommen hat, auf andere Personen übergehen kann, insbesondere auf die mit einem schwachen Willen, die selbst den einfachen, gewöhnlichen Versuchungen der Welt nicht widerstehen können. Doch diese... Besessenheit könnte sogar von noch stärkerer Natur sein, da wir selbst bei einigen der Schwestern ihren Einfluss hatten feststellen können.“

      Der Richter sog erstaunt und auch etwas entsetzt den Atem an und gab sich Mühe, sich die Reaktion möglichst wenig anmerken zu lassen.

      Die Oberin sprach unterdessen weiter: „Ihr müsst Euch um unser Kloster keine Gedanken machen. Wir haben alle nötigen Schritte unternommen, um zu verhindern, dass sich der Wahn ausbreitet. Die Schwestern sind außer Gefahr, unsere Kranken und anderen Schützlinge versorgt und selbst der unglückliche Timeon befindet sich auf dem Weg der Besserung und wird wohl wieder in den Schoß der Heiligen Familie zurückfinden.“

      Karl führte mit seiner Antwort den Gedanken zu Ende: „Es sind also eher die Menschen außerhalb des Klosters, um die wir uns Sorgen machen müssen.“

      Klarina nickte und hielt kurz inne, als ob sie sich nicht sicher war, wie sie weitersprechen sollte. Dann fasste sie sich schließlich: „Und ich bitte Euch um die Erlaubnis, in Euren Geist hinein zu forschen. Ich muss wissen, wo die Ursprünge der Albträume liegen, die Euch heimsuchen.“

      Karl nickte: „Das könnt Ihr gerne tun, und solltet Ihr sogar.“

      Sie lächelte: „Dann schließt Eure Augen und atmet tief und langsam.“

      Er tat wie geheißen und spürte, wie sie die andere Hand auf seinen rechten Oberarm legte und damit einen Kreis bildete. Dann glitten ihre Hände ein wenig nach unten, so dass sie sich auf Höhe seines Herzens befanden. Sie begann, eine Melodie zu summen, die für ihn einen recht klerikalen Klang hatte, von der Tonalität her an die Gesänge erinnernd, die dem Geist des Heiligen Mittlers zuzuordnen waren – der nicht zuletzt für das Aufdecken der Wahrheit verantwortlich war. Dann spürte er, wie ihre Präsenz seine Seele berührte und war überwältigt in diesem einen Moment, in dem erneut alle Emotionen auflebten, die seine Träume in ihm geweckt hatten – Verwirrung, Schrecken, bis hin zum Ekel über die Melodie des Zweigesichtigen, die er selbst nachgesummt hatte. Doch dann spürte er den Hauch einer weiteren Präsenz, die wie ein erfrischender, kühler Wind an ihm vorbeizog und den Dunst des Grauens von ihm nahm.

      „Ihr könnt die Augen wieder öffnen“, hörte er Klarinas herbe Stimme, in der trotz der Besorgnis auch eine Spur Hoffnung mitschwang. All das konnte er auch aus ihrem Gesicht herauslesen, in das er nun sah.

      Sie lächelte schwach, während sie ihre Hände von seinen Armen löste: „Ihr müsst Euch nicht fürchten vor diesen Träumen. Der Dämonenjäger selbst hat sie euch geschickt, als Warnung. Ich habe deutlich seine Präsenz und seine Absicht in ihnen gespürt. Sie sind so schrecklich, damit Ihr sie nicht zur Seite schiebt, damit Ihr nicht untätig bleibt. Er war es gewesen, der die Verderbnis im Wachmann gespürt hatte, er hatte wohl nur keine Möglichkeit, sich selbst dieses Problems anzunehmen. Es ist unsere Aufgabe, die Aufgabe der Leute hier, dafür zu sorgen, dass unsere Stadt dem Bösen nicht anheimfällt.“

      Er nickte und war zumindest etwas erleichtert: „Wenigstens etwas Gutes inmitten der schlechten Nachrichten. Doch können wir noch etwas vollbringen, bevor die Rächer hier eintreffen?“

      Sie blickte ihn an, als wäre sie sich nicht sicher: „Nun, was das Kloster angeht, kann ich Euch versichern, dass wir uns gegen jegliche Widrigkeiten halten können. Ich werde umgehend mit dem Großen Bruder Dobreon sprechen. Wenn es jemandem gelingt, ein Wunder zu wirken, dann ihm. Und Ihr solltet euch um die weltlichen Dinge kümmern.“

      Karl nickte: „Ja, ich werde heute noch mit den Stadtherren über die Angelegenheit sprechen und auch schnellstmöglich den Hauptmann der Wache aufsuchen. Sagt, worauf müssen wir achten, um die Betroffenen von den Reinen zu unterscheiden?“

      Die Oberin senkte die Augen, straffte sich und sah ihn dann wieder ernst an: „Es... ist kein Thema, über das ich gerne spreche, aber natürlich solltet Ihr das wissen. Da die Verderbtheit von den fleischlichen Teleram ausgeht... müssen wir mit allen Schwächen des Fleisches rechnen.“

      Der Richter verzog