Wolf ins Fleisch, zog eine Spur aus frischem Blut hinter sich, das über die Erde und das Gras spritzte. Das Tier heulte auf vor Schmerz und zog sich zurück. Dann gab sie Kari erneut das Zeichen, weiter zu reiten, brüllte laut und knurrte dann mit gefletschten Zähnen, um den Wölfen begreiflich zu machen, dass sie keine leichte Beute war. Dann verteilte sie Hiebe nach links und rechts, um diejenigen Räuber abzudrängen, die nach ihren Beinen schnappten. Der linke Hieb verfehlte den Wolf, der geschickt nach Hinten zurückwich. Der rechte jedoch traf zielsicher, und der nächste Räuber musste Blut lassen, heulte auf und winselte sogar. Kari schlug noch einmal mit ihren Hinterläufen aus, dann preschte sie nach vorne, bevor die nächsten Wölfe nachrücken und ihr abermals den Weg versperren konnten.
Feli drückte sich an das Tier, um dem Wind weniger Widerstand zu bieten, und warf einen Blick nach hinten über die Schulter, während Karis Überlebensinstinkt sie nach vorne über die Straße trieb. Sie sah, dass die unverletzten Wölfe ihnen zuerst noch nachjagten, doch dann die Verfolgung aufgaben und von der Finsternis der Nacht verschluckt wurden. Kari raste durch die Nacht, und erst als die Hütte in unmittelbarer Nähe war, gab Feli ihr das Zeichen zur Entwarnung. Sie stieg ab und strich der Stute beruhigend über den Hals, während sie ihr leise zusprach. Dann führte sie das Tier zum Bach, hängte die Laterne an einen nahen Ast, und ließ sie trinken, während sie ihr den Sattel abnahm und mit einem Tuch den Schweiß abwischte. Sie nahm sich auch die Zeit, die Läufe der Stute auf Verletzungen zu prüfen, und stellte mit Erleichterung fest, dass das flinke, wendige Tier in der glücklicherweise kurzen Auseinandersetzung mit den Wölfen nichts abbekommen hatte. Sie trank selbst etwas, aufmerksam lauschend, und füllte ihren Wasserschlauch mit dem klaren Wasser auf. Dann führte sie die Stute in Richtung Hütte.
Feli glaubte zwar nicht, dass das kleine Wolfsrudel ihnen nachsetzen und ihnen womöglich auflauern würde, doch um sicher zu sein ließ sie Feli nicht in der Nacht draußen grasen, sondern nahm sie mit unters Dach. Die Hütte war groß genug, um auch ein Pferd reinzulassen und zu beherbergen. Als kleine Aufmerksamkeit gab Feli ihrer Stute eine Möhre zu fressen, und hing ihr einen Beutel mit Hafer um, während sie selbst noch etwas Dörrfleisch und einen Apfel verspeiste. Danach stellte sie sicher, dass die Tür und die Fensterläden fest verriegelt waren, und hing für sich selbst zum Schlafen eine Hängematte an den in die Wände eingelassenen Haken auf. Sie schlief wie gewohnt schnell ein und wurde bis zum Morgengrauen von keinen Träumen gestört, weder guten noch bösen.
Kapitel 9
Der Richter erwachte am Morgen zur gewohnten frühen Stunde und fühlte sich kaum erfrischt. Die scheußlichen Albträume machten ihm zu schaffen. Mit dieser Art Schreckgespenstern hatte ihn der Schlaf bisher noch nie gequält, und jetzt suchten sie ihn gleich zwei Nächte in Folge heim. Doch da musste er jetzt durch. Leicht benebelt und mechanisch aß er sein Frühstück, verabschiedete sich von seinem Hausdiener, und machte sich auf den Weg zum Rathaus. Er setzte wie gewohnt einen Fuß vor den anderen, nickte gedankenverloren der Bäckerwitwe zu, und bemerkte erst dann, dass er deutlich langsamer unterwegs war im Vergleich zu seinem gewohnten Tempo. Als ob etwas ihn ihm die kommenden Dinge von sich schieben, noch etwas Zeit schinden wollte. Er atmete tief durch, um sich zusammenzureißen, und begann, schneller zu gehen. Er musste noch einiges erledigen, bevor er sich mit der Oberin zum Mittagessen treffen würde. Denn am Nachmittag würde er die Stadtherren aufsuchen müssen, um mit ihnen die noch anstehenden Vorbereitungen zu besprechen. Und auch wenn nur zwei von ihnen derzeit in der Stadt waren, so würde die Angelegenheit dennoch einiges an Zeit benötigen.
Frau Petrana Eisenmeister, eine verbitterte und strenge Witwe, neigte dazu, sich pedantisch mit allerhand Details aufzuhalten. Sie war zudem dem Klerus wohlgesonnen und würde gewiss verlangen, dass die Stadt im besten Licht erscheinen müsste – wozu auch gehörte, dass die hochrangigen Mitglieder des Rächerordens die bestmöglichen Unterkünfte erhielten. Karl hoffte insgeheim, dass sie den ranghöchsten von ihnen eine persönliche Einladung auf ihr Anwesen aussprechen würde. Dann könnte ihr straff geführter Haushalt, in dem es angeblich strenger zuging als in einem Kloster, sicherlich alles nötige dafür tun, damit die Herrschaften des Ordens nichts auszusetzen hätten.
Für Femeon Waldherr würde Karl ebenfalls einiges an Zeit benötigen, allerdings aus anderen Gründen. Dieser Stadtherr war so ziemlich das genaue Gegenteil von Frau Eisenmeister – ein weicher, freundlicher Mann, der dazu neigte, ständig abzuschweifen und nie auf den Punkt zu kommen. Er war eine recht unterhaltsame Gesellschaft bei geselligen Zusammenkünften, doch wann immer es um wichtige Themen ging, war der Mann in seiner Inkompetenz nicht zu ertragen. Seine Frau Daria war diejenige, die sich um alle Geschäfte kümmerte – unglücklicherweise hielt sie sich häufig nicht in der Stadt auf sondern sah persönlich und zusammen mit ihrem Sohn nach den Holzfällern und dem Holztransport über den Fluss. Wenn man der Gerüchteküche glauben konnte, so verließ mit der Hausherrin auch jegliche Disziplin den Haushalt des Waldherr-Anwesens, da Femeon selbst den Leuten allerhand durchgehen ließ und sich nicht im Geringsten um die Dinge kümmerte, die eine Frau Eisenmeister als verderbten Verfall der Sitten bezeichnet hätte.
Auf den Straßen der Stadt war mit dem guten Wetter nun definitiv die gewohnte Geschäftstüchtigkeit eingekehrt. Der Richter achtete nicht besonders auf das Treiben der Leute um ihn herum, da er sich so schnell wie möglich im Rathaus einfinden wollte. Er hatte aber auch nie Interesse daran gezeigt, sich mit den Menschen auf einer so nahen Weise zu befassen. Ihr Geschnatter, ihre Gerüche, ihre oft zu aufdringliche Nähe bereiteten ihm Unbehagen. Er fand keinen Vergnügen daran, sich darüber zu unterhalten, wer mit wem zugange war, wo schon wieder ein Kind geboren wurde, oder mal wieder jemand verstorben war. Verbrechen interessierten ihn, weil das sein Beruf und seine Verantwortung war, aber mit allem anderen konnten die Leute ihm wirklich gestohlen bleiben. Und jetzt, wo es erneut warm wurde und die Leute immer öfter miteinander in Berührung kamen, war er froh, sich so schnell wie möglich wieder in seine Stube zu seinen Dokumenten zurückziehen zu können. Es gab nur sehr wenige Menschen auf der Welt, mit denen er irgendeine Form von Nähe unterhalten wollen würde, und dazu zählte keiner der Leute um ihn herum.
Auf seinem Schreibtisch häuften sich die Rückmeldungen, die ihm von den Boten gebracht wurden. Karl inspizierte sie sorgfältig eine nach der anderen und seine innere Unruhe legte sich ein wenig. Die Stadt hatte genug Vorräte vorzuweisen, um einige Tausend zusätzlicher Münder für ein bis zwei Wochen versorgen zu können – das, was die Pilger nicht hatten aufbrauchen können, da ihre Rückkehr aus dem Kloster nicht stattgefunden hatte. Alternativ würde man mit den vorhandenen Vorräten eine längere Belagerung überstehen können, sollte sich aus irgendeinem Grund ein solcher Notfall einstellen. Der letzte große Krieg lag zwar dankenswerter Weise schon etliche Jahrhunderte zurück, doch man konnte ja nie wissen, was die Zukunft mit sich brachte.
Auch hinsichtlich der möglichen Unterkünfte gab es nichts zu befürchten. Den „Lustigen Bären“ setzte Karl bewusst möglichst weit nach unten auf die Liste, mit dem Vermerk, dass dort nur einfache Leute und Söldner einkehrten und man den ranghöchsten Rächern eine ihres Standes würdigere Unterkunft anbieten wolle. Die Gaststätten rund um die Kirche der Stadt setzte Karl dagegen möglichst vorn auf die Liste, da die Mitglieder des Klerus sicherlich die Nähe des heiligen Ortes bevorzugen würden. Die Möglichkeit einer Aufnahme im Anwesen der Familie Eisenmeister versah er noch mit einem Fragezeichen. Er wollte sich dazu erst noch die Zustimmung der Stadtherrin einholen.
Der Glockenschlag der Kirchturmuhr riss Karl aus seiner Arbeit und er erschrak ein wenig. Beinahe hätte er seine Verabredung mit Oberin Klarina verpasst. Eilig räumte er die Dokumente an den ihnen zugewiesenen Platz und machte sich auf den Weg zum Kloster der Schwesternschaft, wo die Oberin ihn empfangen wollte. Besonderen Appetit hatte er zwar nicht, aber das war vermutlich auch gut so. Das Kloster würde ihm ein eher einfaches Mittagsmahl anbieten, und es würde einen guten Eindruck bei Klarina erwecken, wenn ihm das genügte. Zum Glück war das Rathaus nicht allzu weit von der Kirche und dem Kloster mit seinem Hospital und dem Waisenhaus entfernt.
Die Oberin wartete bereits auf ihn, als er dort eintraf und von einer der Novizinnen zu ihr gebracht wurde. Sie erhob sich zur Begrüßung und verbeugte sich leicht. Der Richter erwiderte diese Geste und verbeugte sich ein wenig tiefer als Zeichen seiner Ehrerbietung.
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