Philipp Döhrer

The Racing Flower Pilgrim


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auf Englisch, dass das jetzt Eintritt kostet, dass das eine Frechheit ist und Bla und Bla und Bla. Zwei Euro sind ihr zu viel, sie verschwindet mit wütendem Gesicht im Auto ihres Begleiters und rauscht davon. Jedem das Seine. Mich beruhigt das allerdings. Egal wie, aber man kann wenigstens hinein.

      Hanne und ich gehen zum Tickethäuschen, zahlen den Pilgerpreis von einem lächerlichen Euro und bekommen den Eintritt sowie einen wunderschönen Stempel in unseren Pilgerausweis. Tja. Auch die Instandsetzung und -haltung dieser wichtigen, historischen Gebäude will eben zumindest minimal bezahlt sein. Schade, wenn man das nicht akzeptiert.

      Wir setzen uns in den schattigen Garten neben der Kirche und trinken Wasser. Sehr wichtig. Abwechselnd schlendern wir danach eine Runde um das Gebäude herum und schauen ins Innere. Diesen Ort muss man in Ruhe auf sich wirken lassen. Alles hier ist ungewöhnlich. Die achteckige Form des Bauwerks, der Säulengang um es herum, das Alter, die Reliefs, die Funde der Ausgrabungen. Unbestimmbar. Historiker zermartern sich bis heute ihre akademisch verstaubten Hirnwindungen über den Bau. Es ist ein wirres Gemisch aus Stilrichtungen und geschichtlichen Epochen. Wer weiß, wer im Lauf der Jahrhunderte hier alles am Werkeln war. Man sollte es einfach einmal gesehen haben.

      Mit dem guten Gefühl, diesen Ort erlebt zu haben, begeben wir uns wieder auf den Weg und in die Hitze. Muschel und Pfeil führen uns sicher nach Obanos. Hier trifft der Nebenweg der Eunate wieder auf die Hauptroute. Ich bin froh darüber. So ergiebig der Umweg war, so erschöpfend war er auch. Auf den Straßen von Obanos herrscht ein reges Treiben. Auch hier scheint mal wieder ein Dorffest stattzufinden. Weiß gekleidete Einheimische mit rotem Halstuch lassen nur diesen Schluss zu. In den Straßen aufgestellte Schutzzäune und ein unverkennbarer Geruch sagen mir, dass hier vor wenigen Minuten noch mindestens ein Stier durchgetrieben wurde. Oder ein sehr stark schwitzender, dicker, ungeduschter, haariger Mann. Vielleicht der, für den der finnische Ed Sheeran seine Freundin hat sitzen lassen.

      Ich bin sehr froh, als Hanne und ich fast gleichzeitig endlich den Stadtrand von Puente la Reina erreichen. Für heute reicht es langsam. Sowohl für die Füße, als auch für die Schweißdrüsen. Wir sehen eine erfrischende Dusche schon vor Augen und stürzen uns in die Gassen der Stadt. Aber weit gefehlt. So einfach hier durchlaufen is‘ nicht. In Puente la Reina ist ebenfalls ein großes Fest. Ein Motorradtreffen. Das ganze Stadtvolk drängelt sich auf der engen Hauptstraße, die gleichzeitig der Jakobsweg ist, und begrüßt die einfahrenden Biker. Ebenfalls mitten auf dem Weg steht eine große Gruppe Trommler mit mehreren Schlagzeugen und gibt ihr dröhnendes Können zum Besten. Prima. Normalerweise finde ich sowas toll. Sehr toll. Aber nicht jetzt. Wir wollen hier einfach nur durch, raus aus der Hitze und zu unserer Unterkunft. Also wie in Pamplona, irgendwie Aufmerksamkeit erhaschen und Verwirrung stiften. Ich reiße die Arme auseinander und nach oben, rufe mehrfach sehr laut und deutlich „Peregrino soy“ und verschaffe Hanne und mir so den benötigten Platz, um uns durch die Massen zu schlängeln. Wie stressig dieses Pilgern sein kann.

      Geschafft. Kurz danach erreichen wir die uralte Bogenbrücke, die dem Ort seinen Namen gab. Da im Hochmittelalter Flussüberquerungen immer gefährlich waren, stiftete die damalige spanische Königin Dona Mayor eine Brücke, um den Pilgern den Camino zu erleichtern. Puente la Reina. Brücke der Königin. Hier vereinen sich endgültig die letzten beiden Hauptwege aller aus Europa führenden Jakobswege. Der aragonesische und der navarresische Zweig. Ab hier gibt es traditionell nur noch den einen, ursprünglichen Camino de Santiago. Fast so alt wie unsere moderne Geschichtsschreibung. Mein innerliches Gefühl und Interesse für Geschichte und Tradition fährt Achterbahn.

      Hanne und ich überqueren die Brücke und finden am Ende ein Schild, das zu unserer Herberge weist. Durch Alex‘ App wissen wir ja schon, sie muss hier irgendwo am Ortsende sein. Der Schock folgt auf verschwitztem Fuße: Nicht nur am Ortsende, sondern außerhalb des eigentlichen Städtchens, abseits des Camino und auch noch auf einem Hügel liegt unser Ziel. Heute ist wohl alles kräftezehrend. Ein letzter steiler Anstieg fordert jede noch so kleine, letzte Kraftreserve des Körpers, bevor endlich die kleinen Bungalows und das Herbergsgebäude der Unterkunft Santiago Apostol vor uns auftauchen. Hanne und ich sind unfassbar froh, das heutige Ziel erreicht zu haben.

      Alex und Inga sitzen im Schatten unter einem Holzdach und winken uns zu sich. Der Verzweiflung fast anheimgefallen und völlig abgekämpft, lassen wir uns nieder und beglückwünschen uns zu dieser anstrengenden Etappe. Alex checkt uns ein, Inga besorgt kalte Getränke und wir kommen langsam zur Ruhe. Das kalte Bier ist so schnell im Schlund verschwunden, dass ich mich frage, ob da nicht ein wenig Verdunstung seitens der Sonne im Spiel war. Ein neues Getränk lässt nicht lange auf sich warten. Inga spricht mit dem Herbergsbetreiber über die Möglichkeiten des Abendessens und fragt außerdem, ob es hier oder in der Nähe Zigaretten zu erstehen gibt. Denn es steht fest: Heute bewegen wir uns nicht mehr hier weg. Die Füße haben genug. Kurzerhand verkauft uns der Wirt die angebrochene Zigarettenschachtel seines Sohnes. Argument: „Der soll sowieso weniger rauchen.“ Schön hier.

      Dann sichten wir das Areal. Das Hauptgebäude erscheint mir wie eine alte Jugendherberge, die nur geringfügig umgestaltet wurde. Ein riesiger Saal mit Bar, ein Billardtisch, ein paar Schlafsäle, fertig. Im Außenbereich daneben ist der Pool. Schräg gegenüber sieht man ein separat angelegtes Gelände, auf dem sich die Bungalows befinden. Alex und Inga zeigen uns das Hüttchen für die heutige Nacht. Wow. Ein Bad nur für uns, ein Aufenthaltsraum mit kleiner Küche, zwei Zimmer mit je zwei Betten und eine kleine, schattige Terrasse davor. Geniale Entscheidung hier zu reservieren. Danke Inga. Ganz schnell Wäsche waschen, windgeschützt oder mit Klammern aufhängen und auf zum gemütlichen Teil. Während Inga auf unserer kleinen Terrasse ihr Reisetagebuch schreibt, finden sich Hanne, Alex und ich im Pool ein. Ist das herrlich. Ein absoluter Hochgenuss. Die Abkühlung der Muskeln und des gesamten Körpers tut unbeschreiblich gut. Von oben knallt uns zwar die blanke Sonne auf den Latz, aber das interessiert uns jetzt nicht. Der Camino verändert dich sowieso. Und sei es nur durch einen gepflegten Sonnenstich.

      Wir duseln vor uns hin und können unser bisheriges Glück mit den Herbergen kaum fassen. Die gestrige war ja schon gut. Die heutige ist auch ganz gut. Nur halt mit Pool und einer Hütte nur für uns. Gestern hatten wir quasi das i. Heute das Tüpfelchen obendrauf. Aber ohne das ι. Man kann nicht alles haben. Wollen wir auch nicht. Wir sind schließlich keine Luxuspilger.

      Während wir im Pool entspannen, stiefelt am Zaun des Geländes eine bekannte Gestalt in militärischem Stechschritt schnurstracks auf den Eingang des Gebäudes zu. Ich glaub es nicht, das ist David. Gleich danach tauchen auch Heidi und Kelly auf. Unsere Lieblings-Amis aus Florida, die wir seit dem ersten Abend im Orisson nicht mehr gesehen haben. Sie checken auch hier ein. Welch eine tolle Überraschung.

      Wir lassen uns noch ein wenig im Pool treiben und finden uns schon bald schattig platziert mit David zum Bierchen wieder. Heidi und Kelly sind kaputt und liegen den ganzen Nachmittag auf der faulen Haut. David redet noch immer sehr viel. Sehr, sehr viel. Keine Veränderung bisher. Wir finden einen Weg, den Heidi angeblich auch praktiziert, um David klarzumachen, dass er gefälligst mal seinen Mund halten soll. Er gibt mir zu verstehen, er wird auch nicht böse sein. Der einfache Code dafür lautet: „David, shut the fuck up.“ Es funktioniert. Manchmal kann es so einfach sein.

      Später am Abend finden wir uns alle zusammen zum Pilgermenü in der Herberge wieder. Aus Mangel an Alternativen. Hauptsache, der Hunger wird gestillt. Am meisten freut mich immer, dass ich alles an Süßkram an Hanne weiterreichen kann und sie sich wie ein kleines Weißwürstchen darüber freut. David und Heidi sitzen mir gegenüber und sprechen mal wieder beide gleichzeitig mit mir. Kelly hat Schmerzen am ganzen Körper und hat bei jedem persönlichen Gespräch nach wie vor sofort Tränen in den Augen. Veränderungen am Camino brauchen eben ihre Zeit.

      Nun sitze ich draußen und genieße ein wenig Ruhe, während neben mir die Sonne über den Hügeln langsam ihren wohlverdienten Feierabend einläutet. Ist gut so Sonja, hast heute dein Bestes gegeben. Und mehr noch. Auch der Rest gesellt sich allmählich nach draußen und gemeinsam lassen wir diesen anstrengenden Tag ausklingen.

      Da ich heute wieder mein komplettes Feierabend-Outfit anhabe, steht Däne Diederik auf einmal wieder vor mir und fotografiert mich. Ich hatte ihn erst gar nicht bemerkt. Ich frage ihn: „Warum machst du das