Philipp Döhrer

The Racing Flower Pilgrim


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auf meine Dating-Website und reiße damit Frauen auf.“ Okaaaaay…

      Viel Erfolg.

       Ich schrubbte an diesem Tag 24 Kilometer weg und bin nie allein. I shall not walk alone.

      01.09.2019 07:05 Uhr

      Blasen.

      Nochmal bedrohlicher: BLASEN!

      Nicht schön. Zwei riesige Blasen an jeweils einer Ferse. Unter der Hornhaut. Klasse Gefühl. Ich habe nicht die geringste Erfahrung mit sowas. Ich bin den Rennsteig hoch und runter gewandert. Aber eine Blase hatte ich in meinem ganzen Leben noch nie. Jetzt weiß ich auch, was sich da gestern schon anbahnte. Kein Wunder, dass der Abstieg vom Alto so schmerzte. Dank der Erfahrung meiner Mitpilger kann ich meine Füße zumindest vorläufig einigermaßen verarzten. Aber heute Morgen tun mir nichtsdestotrotz die ersten Kilometer extrem weh. Jeder Schritt ist eine Herausforderung. Purer Wille hält mich am Laufen. Heute Abend muss ich sie unbedingt vollständig ausmerzen, diese beiden mit Flüssigkeit gefüllten Widerlinge.

      Von unserer Herberge hinab geht es wieder zurück auf den eigentlichen Camino. Ganz Puente la Reina leuchtet mystisch im frühen Morgengrauen. Das ist der Vorteil an der Herberge auf dem Hügel. Diesen Blick hat man vom eigentlichen Weg aus nicht. Aufragende Kirchtürme und kleine Häuser vor den Bergen im Hintergrund, die vom violetten Himmel der Morgendämmerung überlagert werden. Wahnsinnsbild. Am Fuß des Hügels weist uns das nächste Muschelschild im Halbdunkel den Weg.

      Beim Fotostopp an der gestern erwähnten Bogenbrücke kommt uns das schnarchende kanadische Holzfällerpärchen aus der vorgestrigen Herberge aus Puente la Reina heraus entgegen. Sie haben wohl direkt im Ort übernachtet. Es folgt ein lautes „Good morning Canada“ meinerseits und ein noch lauteres „Good to see you Sir“ andererseits. Zu höflich, diese kanadischen Schnarcher.

      Die nächsten Meter sind mir bekannt. Hier liefen wir auf unserer Reise 2010 die erste der wenigen Etappen der Tour. Es geht auf einem bekiesten Weg entlang der Felder ebenerdig weiter. Ich treffe auf ein italienisches Pärchen, das gerade sein Lager im Feld abbaut, um weiterzuziehen. Wir reden kurz und mal wieder danke ich dem Universum für mein angeborenes Sprachgefühl. Sie laufen auch den kompletten Camino, aber schlafen immer draußen. Sie haben angeblich nicht einen einzigen Cent dabei. Respekt. Ich weiß nicht, ob ich das wagen würde.

      Es folgt ein steiler Anstieg. Hier mussten wir uns vor neun Jahren gegenseitig stützen und helfen, da die Steigung mit Felsspalten und kleinen, ausgewaschenen Schluchten übersät war. Das wurde vor ein paar Jahren geändert. Der Weg ist immer noch steil, aber wenigstens ohne große Blessuren zu bewältigen. Danke an all die namenlosen Helfer des Camino. Sprintend schnaufe ich an drei jungen Damen vorbei, die mich anschauen, als wäre ich Speedy Gonzales. Ja Mädels, ich bin schnell. Arrrrriba!

      Ich erreiche die erste Anhöhe und somit den Ortseingang von Mañeru. Ja, das kenn ich. An diesem Brunnen hier erfrischte ich mich damals ausgiebig und duschte mich regelrecht ab. Die Hitze ist aber in dem Moment dieser frühen Stunde noch erträglich. Und außerdem ist der Brunnen sowieso aus.

      Im Dorf warte ich auf meine Bandmitglieder. Da heute Sonntag ist und außerdem gestern im ganzen Ort schon wieder eine Party stattgefunden zu haben scheint, hat keine einzige Bar zu dieser frühen Stunde schon offen. Verdammt. Wir alle hatten gehofft, einen schönen Kaffee zu bekommen, um die morgendliche Trägheit aus dem Frontallappen zu vertreiben. Dann müssen wir eben weiter. Vor zugesperrten Kneipen lungern noch die letzten Partyleichen der Nacht herum und überall auf den Straßen liegen Pappbecher, Girlanden, allerlei Unrat und wer weiß, was noch. Durch die Folgen der nächtlichen Party waten wir hinaus aus Mañeru. Aufgrund der sinnlosen Suche nach den letztendlich geschlossenen Bars hat sich eine stattliche Anzahl von Pilgern angestaut und gesammelt, die nun alle unterkoffeiniert am Friedhof Mañerus vorbei zielgerichtet auf die erste Dröhnung des Tages zumarschieren.

      Durch herrliche Weinberge geht es weiter und auf einem kleinen Hügel sehe ich das nächste Dorf Cirauqui direkt vor mir liegen. Malerisch schmiegt es sich auf dem kleinen Hügel in die Landschaft. Mit der Hoffnung auf einen Kaffee und vielleicht auf Zigaretten stürmen wir kämpferisch in den Ort. Auch hier scheint eine Party stattgefunden zu haben. Die navarresischen Dörfer lassen es wohl mächtig krachen. Einzig ein kleiner Mini-Supermarkt hat geöffnet. Vollkommen überfüllt mit Pilgern, die nach dem ersten Koffeinkick des Tages suchen. Uns egal. Dann warten wir eben. Es gibt zwar keine Zigaretten, aber Wurst, Brot und einen Kaffeeautomaten. Läuft. Neben dem Markt befindet sich ein altes steinernes Tor, durch das der Camino ins Oberdorf führt. Unter dem Bogen sitzen etliche Jugendliche, lachen, sprechen unfassbar schnell und laut und die Vermutung tut sich auf: Die haben diese Nacht nicht geschlafen und sind noch ziemlich betrunken. Macht nichts. Die wollen nur spielen. Die tun nix. Sie sind vollkommen harmlos, bis auf einen jungen Kerl, der sich mit einem Sorry an der Schlange im Minimarkt an allen Wartenden vorbeischiebt und die Verkäuferin lallend fragt, ob sie ihm seine Käsepackung aufschneiden kann. Er selbst ist dazu nicht mehr in der Lage. Zudem riecht er extrem nach Erbrochenem. Nach Kotze. Nach Gekübeltem. Wer weiß, ob es sein eigenes ist.

      Schmausend sitzen wir auf einer Bank und beobachten das Gewimmel. Unsere beiden Kanadier, unsere drei Lieblings-Floridianer und auch sonst sind fast nur bekannte Gesichter hier. Heute ist wahrlich sehr viel los auf dem Camino. Bis hierhin waren die ersten Kilometer wie auf einer Autobahn. Für Pilger. Ich bin auf spätere Etappen gespannt, die selbst offiziell in allen gängigen Reiseführern und -berichten als Pilger-Autobahn bezeichnet werden.

      Langsam ziehen wir weiter, hinauf ins Oberdorf. Dort holen wir uns einen Stempel am Rathaus ab, füllen unser Wasser auf und wenige Meter weiter steigen wir schon wieder hinab vom Hügel Cirauquis. Meine drei Mitpilger machen kurz darauf eine Pause in einer kleinen Hippie-Oase. Ein Pärchen hat hier im Olivenhain einen schönen Rastplatz geschaffen. Ich bin so im Fluss, meine blasengeplagten Füβe schmerzen nicht so sehr, wenn ich einmal im Laufen bin, also winke ich den anderen kurz zu und spurte schon mal weiter. Ich muss. Die Schmerzen einfach weglaufen. Immer nach den Pausen tun die Blasen am meisten weh. Ich muss wirklich unbedingt nochmal was dagegen tun. Also los. Mit Musik auf dem Ohr.

      Ich habe es in den letzten Tagen ja schon öfters gehört und auch gemerkt, wusste es teilweise auch vorher schon, merke es aber heute ziemlich extrem: Mein Tempo ist schon recht zügig. Sagen wir mal scheiße schnell. Egal ob bergan, bergab oder eben. Ich bin echt flott unterwegs. Ich empfinde es während des Laufens nicht so, aber da ich nach und nach alle auf der überfüllten Strecke hinter Cirauqui überhole, muss was dran sein. Und das, obwohl es nicht mal eine Überholspur gibt. In einer kleinen Kopfhörerpause komme ich an einer Gruppe Kanadier vorbei. Wir sind uns vom Sehen her auch schon bekannt. Einer der Ahornfreunde sagt: „Ah, there he is again. The racing flower pilgrim.“ Okaaaay… gefällt mir. Es gibt definitiv schlechtere Spitznamen. Und die Blumen und mein ganzer Rucksack machen ja auch wirklich was her.

      Kurz vor Lorca habe ich alle vor mir sichtbaren Pilger überholt und mache Halt in diesem kleinen Bergdörfchen. Als meine Mitstreiter ankommen, sitze ich bereits eine Weile. Wir fragen uns durch nach Zigaretten, aber auch hier gibt es keine. Na ja. Wenigstens nochmal neues, frisches Wasser. Einen Stempel aus einer Bar nehme ich noch mit, setze mich dann aber erlaubt von der Truppe ab und laufe vorerst wieder alleine weiter.

      Mitten in der Pampa an einem schattigen Rain sitzt Däne Diederik im Gras und massiert sich die Füße. Demonstrativ mache ich ein Bild von ihm. Auf meine Nachfrage, ob denn das Bild, welches er gestern von mir machte, schon Erfolg erzielte, antwortet er: „Na klar. Schon zehn Frauen haben sich gemeldet, da ich dank deines Bildes jetzt endlich mal gut aussehe. Und drei davon haben mir schon Geld geschickt, damit ich so schnell wie möglich zu ihnen fliegen kann.“ Was für ein absonderlich cooler Typ. Bevor ich aufgrund dieser Aussage noch selbstverliebt werde, laufe ich lieber schnell weiter.

      Durch Wein- und Weizenfelder schlängelt sich der Camino mit mir und meiner Musik in das kleine Städtchen Villatuerta. Hier werde ich Pause machen und auf meine Band warten. Ich frage mich durch alle Bars, auf der Suche nach Zigaretten und Fassbier. Aber so etwas Verrücktes an einem Sonntag in einem kleinen Ort in Spanien aufzutreiben… Keine Chance. Ähnlich