Philipp Döhrer

The Racing Flower Pilgrim


Скачать книгу

12 Tage. Oder 13. Immerhin hat heute eben erst begonnen.

       15.08.2019 23:34 Uhr

      Heute vor einem Jahr waren wir in Rom. Sie und ich. Da war die Scheiße noch nicht so finster. Da war ich noch glücklich und na ja, eben in meinem geliebten Rom. Nein, nein, nein, hör sofort auf zu denken. Hör auf mit dem Mist. Vielleicht sollte ich meinen Kopf austauschen oder meine Nerven medizinisch ausschalten lassen. Eine gepflegte, altmodische Lobotomie. Weg mit den Nervenbahnen. Super Idee. Das wird mein Plan B.

      Es ist schon erstaunlich, wie viele Freunde und Bekannte ein letztes Bier mit mir trinken wollen, bevor ich weg bin. Gleichzeitig ist es schade, dass keine Zeit für sie alle ist. Als kleine, zu vernachlässigende Randerscheinung würde ich wahrscheinlich Alkoholiker werden, wenn ich diese ganzen letzten Biere trinken würde. Vielleicht, nur vielleicht, wäre es das aber wert.

      Es war mir schon immer, aber wird mir jetzt nochmal richtig klar: Ich habe definitiv die besten Freunde, die sich ein Mensch nur wünschen kann. Nochmal dramatischer: Die BESTEN Freunde, die sich ein Mensch nur wünschen kann! Leute, ihr seid einfach klasse. Ob ihr mir zugehört und mich verstanden habt oder einfach nur da wart. Ich habe eine lange Zeit so gut wie nichts von euch gehabt. Bedingt durch die Arbeitszeiten, die räumliche Entfernung und die Zeit mit ihr. Nichts davon war oder ist negativ gemeint. Absolut nicht. Ich wollte dieses Leben und ich war und bin sehr zufrieden damit. Aber vollkommen egal, wie viel Zeit manchmal zwischen unseren Kontakten war, egal wie lange wir uns manchmal nicht gesehen haben, ihr wart immer da und war ich bei euch, war es, als ob es nie anders gewesen wäre.

      Danke, dass es euch alle gibt. Vielen, vielen Dank.

      Ohne jetzt Namen zu nennen, aber es gibt zwei Menschen, die mir in meinem Freundeskreis die größte Unterstützung gegeben haben. Durch ihr offenes Ohr und die Geduld mit mir, während ihnen wegen mir wahrscheinlich schon die Hörmuscheln bluteten. Wenn ihr das lest, wisst ihr hoffentlich, dass ich euch meine. Danke, dass ich euch immer vollsülzen durfte. Sei es zu komischen Tageszeiten gewesen oder eine gefühlte Ewigkeit lang.

      Vielen Dank Bernd und Fred. Okay, damit könnte absolut JEDER aus meinem Freundeskreis gemeint sein.

      Und genau so soll es sein.

      Noch 11 Tage.

       19.08.2019 23:54 Uhr

      „Können die absolut merkwürdigsten Wochen deines Lebens noch merkwürdiger werden?“ Dies fragte das Universum und kraulte sich danach genüsslich die Wampe. Und klein ist die wahrlich nicht.

      Mein innerer Zwang, immer verstehen zu wollen, immer verstehen zu müssen, was einen Menschen dazu bewegt, zu tun, was er eben tut, brachte mich vor ein paar Tagen dazu, wieder Kontakt zu dem Menschen aufzunehmen, mit dem ich keinen Kontakt mehr haben wollte. Ja, genau die. Sie war eben genau das, genau die, die ich mir für mein Leben erhofft hatte. Ich wollte und will sie eben einfach nur verstehen. Nicht mehr, nicht weniger. Meine Baumeisterin. Mal kurz und knapp zusammengefasst: Es ist schon eine extrem bewundernswerte Leistung, die sie in den letzten Tagen vollbracht hat. Zuerst eine Drehung um 180 Grad zurück in meine Richtung. Das war ja schon echt heftig. Aber innerhalb weniger Tage, weniger Stunden die vollen 360 Grad hinzukriegen… Respekt. Der alte Assurbanipal im noch älteren Babylon hatte bei der Grad-Einteilung des Kreises bestimmt etwas anderes im Sinn. Ich hoffe es. Sonst zerstört das mein Verständnis von Geschichte und Wissenschaft.

      Welche Synapsen werden stimuliert, wenn man so dermaßen hin und her schwankt? Wie finde ich die? Echt jetzt, ich will die auch. Das ist bestimmt lustig.

      Noch 6 Tage.

      (Memo an mich selbst: Neue Synapsen besorgen. Angebot im Discounter: 17 Gramm Hirnverknüpfungen; 13,17- €; JETZT ZUSCHLAGEN!)

       21.08.2019 23:25 Uhr

      Fertig. Das war mein letzter Arbeitstag für die nächsten zwei Monate. Skurril. Bizarr. Merkwürdig. Strange. Abstrus. Diffizil. Abgefahren. Närrisch. Baum. Alle Synonyme, die es für diese Worte noch gibt. Mehr davon fallen mir gerade nicht ein. Es gibt noch viele mehr. Denke ich. Sprache ist schon eine abgefahrene und verschwurbelte Sache.

      Mit Verabschiedungen verhält es sich ähnlich. Es kommt mir vor, als würde ich mein bisheriges Leben komplett abschließen und nie wiederkommen. Niemals wieder. So werde ich zumindest von 90 Prozent meiner Mitmenschen behandelt. Das ist gleichzeitig absolut putzig und vollkommen… äähhhh…

      Genau.

       Mensch Leute, ich will doch nur ein paar Kilometer laufen. Nur ein paar hundert Kilometer.

      Es kommt des Öfteren vor, dass zu Geburtstagen oder anderen besonderen Anlässen Kuchen zur Arbeit mitgebracht wird. Ich wollte für meinen vorläufigen Abschied etwas Ähnliches tun. Zwei aufeinander aufbauende Probleme stellten sich allerdings dabei: Ich war nie ein Freund von Süßkram oder Gebäck in jeder Form. Folglich kann ich auch nicht backen. Null. Ich habe daher für meine Vorgesetzten und Kollegen etwas anderes hinterlassen. Es ist sehr ölig. Man kann es aber essen. Hoffentlich. Schinken ist drin und irgendwo verstecken sich auch ein paar Oliven. Den Rest habe ich vergessen. Aber es riecht sehr nach Knoblauch. Wahrscheinlich, weil viel davon drin ist. Nur eine Vermutung. Vampire unter euch: Seid gewarnt. Obacht. Innerhalb des Gerichts sind auch einige Kreuze aus Zwiebeln verarbeitet. Immer denken: Schmeckt doch. Irgendwie. Scheiß drauf, ich werde es schon überleben. Ich liebe euch alle. Könnte man nur einen lachenden Smiley mit Zeichen auf einer Tastatur produzieren. Ich weiß, irgendwie geht das.

      Aber ich und Technik. Wir mochten uns noch nie so richtig.

      Noch 4 Tage.

       25.08.2019 20:07 Uhr

      Der Abend vor der Abreise ist gekommen. An Schlaf ist nicht mal ansatzweise zu denken. Schlafen kann ich ja unterwegs genug. Während ich mich selbst für diesen gelungenen Witz lobe, arbeitet der Kopf. Jetzt kommen die Fragen.

       Echt jetzt?

       Musste ich erst so tief am Boden sein, um endlich den Entschluss zu diesem Weg zu fassen?

       Mach ich das jetzt wirklich?

       Was genau erhoffe ich zu finden?

       Was zum Teufel suche ich eigentlich?

       Suche ich überhaupt irgendwas oder ist es einfach eine Art Flucht?

       Mach ich das, um diese gewisse Frau zu vergessen?

       Diesen Verlust und die Art und Weise dessen zu verarbeiten?

       Um den Kopf frei zu kriegen?

       Die Nerven wieder in die Spur?

       Mein momentan extrem geringes Selbstwertgefühl wieder zu steigern?

       Mich selbst zu finden?

       Endlich zu lernen, mich kürzer zu fassen?

      Keine Ahnung. All das. Und nichts davon.

      Sowohl Opa und Manfred als auch jeder Einzelne, mit dem ich damals gesprochen habe, jeder Bericht, jeder Artikel, sagen mir eine Sache: Jeder, wirklich absolut jeder, lernt auf dem Jakobsweg etwas über sich selbst. Jeder kommt anders wieder, als er vorher war. Jeder nimmt irgendetwas aus dieser Erfahrung mit.

      Sei die Lektion auch noch so klein.

      Mal ganz ehrlich…

      Komme ich wieder und habe gemerkt: Eigentlich bin ich doch gar nicht so verkehrt…

      …. würde mir das schon reichen.

      Ultreïa und buen camino!

      Ein bisschen Schiss habe ich schon.

      Alle Anreise ist (nicht