Alfred Broi

Genesis VI


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Aber nicht schon wieder in Gefahr. Sie brauchte vielleicht, vielleicht sogar ganz sicher, Ruhe, um alles, was in den letzten beiden Tagen geschehen war, zu verarbeiten. Diese Ruhe wollte er ihr gönnen und ihre Rettungsaktion bot dafür genau den richtigen Anlass. Allerdings hieß das nicht, dass er gehen würde, ohne mit ihr zu reden. Er wollte es, er musste es und deshalb würde er jetzt zu ihr gehen, komme, was da wolle.

      „Mavis!“ Er hatte dieses Mal nicht einmal einen halben Schritt machen können, als Vilo neben ihm erschien.

      „Was?“ raunte er.

      „Du musst mitkommen!“

      Er schaute seinen Freund mit finsterer Miene an. „Ich habe jetzt aber keine Zeit!“

      „Was?“ Vilo zog die Augenbrauen zusammen. „Was soll das heißen? Wir müssen los, verdammt!“

      „Jetzt schon?“

      Vilo nickte. „Wir holen uns was aus Lobos Waffenfundus und dann müssen wir raus aus den Höhlen, rauf in die Ebene und Richtung Westen marschieren!“

      „Ja, schon gut!“ Mavis nickte säuerlich. „Ich brauche…!“ Er wog mit einem gequälten Gesichtsausdruck den Kopf hin und her. „…zehn Minuten!“

      Doch Vilo schüttelte den Kopf. „Wenn Narrix deine Story gefressen hat, ist womöglich schon jetzt ein Flugboot zu uns unterwegs. Und dann dauert es keine halbe Stunde, bis es hier ist!“ Vilo hatte die Augenbrauen hochgezogen und schaute Mavis direkt an. „Je näher wir dann noch den Wasserfällen und der Kamarulu sind, desto größer ist das Risiko, dass man sie entdeckt!“ Er schürzte die Lippen. „Und das willst du wohl nicht, oder?“

      Mavis wusste, dass sein Freund Recht hatte, doch schmerzte die Konsequenz daraus sehr. Und so nickte er auch nur zögerlich und widerwillig. „Ich komme ja schon!“ Seine Stimme klang kraftlos.

      Vilo nickte zufrieden, doch als er sich herumdrehte und einige Schritte mit Mavis in Richtung Lobos ging, der bereits ungeduldig auf sie wartete, verdunkelte sich sein Gesicht und er blickte immer wieder verstohlen zu Kaleena, die mit Leira und Jovis zusammenstand und an der sie in wenigen Augenblicken vorbeikommen würden. Seine Frau blickte ihn auch schon mit großen Augen und irgendwie erwartungsvoll an. Das versetzte ihm einen Stich in den Magen, denn ihm stand noch eine heikle Angelegenheit bevor, da er wieder versuchen würde, Kaleena davon zu überzeugen, nicht mitzukommen.

      Leira hatte sie darauf aufmerksam gemacht und Kaleena hatte sich selbst eingestehen müssen, dass sie keinen Gedanken darauf verschwendet hatte. Das verursachte bei ihr ein schlechtes Gewissen. Doch sie konnte dem Bärenwesen nur Recht geben. Sie brauchte Melia nur anzusehen – und sei es nur aus der Entfernung von einigen Metern – und sie wusste, dass in der Tat mit ihr etwas nicht stimmte. Und das konnte nur wieder mit Mavis zusammenhängen.

      Damals, vor sieben Jahren, waren sie und Melia sehr gute Freundinnen gewesen. Mit Ausbruch des Krieges hatten sie sich aus den Augen verloren und eigentlich nur durch einen echten Zufall vor zwei Tagen wiedergefunden. Obwohl Melia offensichtlich ihr Gedächtnis verloren hatte und sich schwertat, sich an ihre Vergangenheit und somit an Kaleena und all die anderen zu erinnern, gelang es Kaleena, diese Lücke sehr schnell wieder zu füllen. Und es dauerte nur wenige Stunden und sie empfand wieder die gleiche Liebe zu Melia, wie schon vor Jahren. Weil sie erkannte, welch wundervoller Mensch diese junge Frau damals und auch jetzt noch immer war, betrachtete sie sie auch weiterhin als sehr gute Freundin.

      Das größte Problem hatte Melia mit Mavis, ihrer Vergangenheit mit ihm, ihren Erinnerungen an ihn und seinem veränderten Aussehen durch den schlimmen Unfall in Kos Korros. Allerdings schien dieses Problem allmählich gelöst zu sein.

      Jetzt aber, beim traurigen, nachdenklichen Anblick ihrer Freundin, wurde ihr bewusst, dass dem wohl doch noch nicht so war.

      Und Kaleena musste sich eingestehen, dass sie nur dann von wahrer Freundschaft zu ihr reden konnte, wenn sie sich jetzt um sie kümmerte – auch wenn das bedeutete, nicht mit Vilo und den anderen nach Kimuri zu gehen.

      Sie teilte Leira ihren Entschluss mit und sagte ihr, dass sie dafür gehen konnte. Vilo und die anderen würden sich bestimmt freuen, das monströse Wesen bei sich zu haben. Leira konnte ihnen speziell im ersten Teil ihres Vorhabens sicherlich gute Dienste leisten.

      Ihre Freundin fand den Gedanken auch gut und willigte sofort ein.

      Um Jovis brauchte sich Kaleena keine Sorgen zu machen, der würde hier genügend interessante Dinge finden, mit denen er sich beschäftigen konnte. Sie würde also ausreichend Zeit haben, sich um Melia zu kümmern.

      Kaum hatte sie ihren Entschluss nochmals für sich bekräftigt, da sah sie, wie Vilo mit finsterer, aber auch unsicherer Miene auf sie zukam.

      „Ähm Schatz?“ Vilo trat vor sie und wartete, bis sie ihn mit großen Augen ansah. „Kann ich dich mal sprechen?“

      Kaleena ahnte bereits, was er wollte und musste innerlich grinsen. „Was gibt es?“ fragte sie aber in forschem Ton und mit ernster Miene.

      „Ich…ähm…!“ Er atmete einmal mit säuerlichem Blick durch. „Ich möchte, dass du hier bei Jovis bleibst!“ Er schaute sie wenig hoffnungsvoll an, sofort bereit, ihren herben Protest zu vernehmen.

      Kaleena atmete hörbar ein, doch dann sagte sie. „Okay!“ und lächelte ihn an.

      Vilo war sofort bass erstaunt. „Okay? Einfach so?“

      „Ja, einfach so!“ Sie verzog die Mundwinkel. „Und jetzt mach verdammt nochmal keine große Sache daraus und geh schon!“ Sie beugte sich vor und küsste ihn kurz, aber leidenschaftlich. „Bringt uns unsere Freunde zurück!“ Ihr Blick wurde plötzlich ein wenig traurig und schmerzvoll.

      Vilo verstand. Es war allemal ein schwieriges und gefährliches Manöver. Dies konnte wieder einmal der letzte gemeinsame Moment sein, den sie hatten. Und deshalb beugte jetzt er sich vor und küsste Kaleena nochmals kurz und leidenschaftlich. „Das werden wir!“ Er lächelte aufmunternd, aber müde. Dann ging er zu Jovis und forderte ihn auf, auf seine Mutter und Leira aufzupassen.

      Doch das Bärenwesen stieß einige Laute aus und Vilo war sichtlich erstaunt. „Echt?“ Er drehte sich zu Kaleena, die jedoch lächelnd nickte. Vilo schob den Unterkiefer vor und nickte jetzt ebenfalls. „Prima!“ Er klopfte Leira gegen die Schulter. „Willkommen im Team!“

      Leira grinste kurz, dann folgte sie Vilo.

      Kaleena sah ihnen mit einem wehmütigen Lächeln, verbunden mit all ihren guten Wünschen und Hoffnungen, hinterher. Dann aber riss sich förmlich zusammen und wandte sich an Jovis. „Na mein Schatz, was hältst du davon, wenn wir uns hier mal ein bisschen umsehen, was?“ Sie lächelte breit und tätschelte ihm über den Kopf.

      Der Junge, anfangs noch fröhlich, protestierte sofort. „Lass das Mama! Ich bin doch kein Kind mehr!“

      „Was?“ Kaleena war sichtlich erstaunt und schaute ihren Sohn mit großen Augen an. Dabei verlor ihr Lächeln seine Fröhlichkeit, weil sie erkennen musste, dass er Recht hatte. Eigentlich war er nie wirklich Kind gewesen, der Krieg hatte ihm eine Chance darauf verwehrt. Plötzlich fühlte sich Kaleena schwach und hilflos und hätte am liebsten losgeheult. Jovis war jetzt fast sieben Jahre alt und wandelte bereits seit seinem ersten Atemzug durch den wahrhaftigen Alptraum der grausamsten Hölle, die man sich nur vorzustellen vermochte. Ein unvergleichlich grausamer Krieg, der ihm niemals auch nur den Hauch einer Chance gegeben hatte, Kind sein zu dürfen. Plötzlich aber verspürte Kaleena eine Kraft in sich, die ihr Mut machte. Jovis war genau der Antrieb, der sie weitermachen ließ. Anstatt zu verzweifeln, versuchten sie eine Lösung zu finden, den Krieg zu beenden, ihre Feinde zu vernichten, diesen Planeten und all seine Bewohner zu erretten. Auch damit ihr Sohn am Ende doch noch Kind sein und sein Leben in dem Wissen um das Grauen eines Krieges, aber im Angesicht einer wundervollen Welt verbringen konnte. Kaleena hockte sich vor ihn, sah ihm in die Augen, die sie groß und klar anblickten und gewann ihr Lächeln zurück. „Es tut mir leid!“ sagte sie. „Ich weiß, dass du schon groß bist. Und ich bin sehr froh, dass du hier bist, um auf mich aufzupassen!“ Sie küsste ihn