Nadja Losbohm

The Butterfly Tales: Imogen


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Letzte, was er hörte, waren diese Arrens Worte: „Dein Name passt perfekt zu dir, mein Freund. Blake – dunkelhaarig und dunkles Gemüt.“

      ~

      „Oh, er ist unausstehlich, dieser Blake“, seufzte Prinzessin Laoghaire. Sie mochte die Figur, die ihr Bruder erschaffen hatte, so wenig, dass sie ein Schaudern durchfuhr.

      „Ich mag ihn“, sagte Prinz Anrai und betrachtete sich die Zeichnung des verbitterten Mannes auf der Tapete, der hinauf zu dem gottgleichen Wesen über sich schaute.

      Der Prinz war regelrecht stolz auf das, was er sich zu ihm ausgedacht hatte. Nun gut, vielleicht war er etwas über das Ziel hinausgeschossen für den Geschmack seiner Schwester. Aber was hatten sie abgesprochen? Jeder erzählte die Geschichte auf seine Weise, und er war sich sicher, dass sich alles gut zusammenfügen würde.

      „Jetzt bist du an der Reihe, Schwesterchen“, sagte er und setzte sich auf den Boden direkt vor der Wand. „Jetzt können deine Träumereien die Welt unserer Erzählung betreten. Wie geht es weiter?“ Grinsend zwinkerte er Prinzessin Laoghaire zu.

      Diese raffte ihr Kleid und setzte sich im Schneidersitz hin. Grüblerisch ließ sie ihre Blicke über die Tapete wandern, während ihre Finger über die hellen rosa, grünen und blauen Stickereien ihres Rocksaums strichen. Es dauerte eine Weile, bis sie die passende Idee hatte, um die Geschichte weiterzuerzählen, und Prinz Anrai fing schon an, ungeduldig zu fragen: „Wird das heute noch was? Oder soll ich weitermachen?“

      Die Prinzessin hob gebieterisch die Hand. „Still! Ich bin so weit.“

      ~

      3

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      Wie lange hatte er geschlafen? Blake wusste es nicht. Es konnte allerdings keine Stunde gewesen sein. Es war nach wie vor mitten in der Nacht; das Feuer nicht viel mehr heruntergebrannt. Und doch war er hochgeschreckt durch ein lautes Geräusch, das aus den Tiefen des Waldes zu ihnen gedrungen war. Nun war es jedoch still. Er saß aufrecht auf seiner Decke, mit der Hand an seinem Schwert, das er aus Erfahrung stets bei sich behielt ganz gleich, ob er schlief oder wachte. Blake vernahm lediglich den kräftigen Schlag seines eigenen Herzens, der in seinen Ohren dröhnte, und das aufgeregte Schnaufen Arrens.

      „Was war das?“, fragte dieser, griff zu seinem Bogen und legte einen Pfeil auf die Sehne, bereit ihn abzuschießen auf das, was womöglich auf sie zukam.

      „Ein Tier?“, mutmaßte Blake. „Ein Mensch?“

      „Ein Mensch, der uns Böses will, wäre darauf bedacht, sich geräuschlos zu bewegen“, erwiderte Arren.

      „Einigen wir uns also auf ein Tier“, meinte Blake flüsternd.

      „Von mir aus“, brummte sein Partner, hielt weiter Ausschau und lauschte. Die Aussicht auf einen Angreifer aus der Fauna ließ die beiden Männer sich beruhigen, bis abermals ein lautes Knacken die Stille des Waldes zerriss. Dieses Mal jedoch war es näher, was bedeutete, dass was auch immer weiter an sie herangekommen war. Die Geräusche von brechendem Holz nahmen zu, folgten in immer kürzeren Abständen und mischten sich mit einem Seufzen und Stöhnen.

      Arren und Blake wechselten verwirrte Blicke. Welches Tier gab solche Laute von sich? Kein ihnen bekanntes jedenfalls. Die zwei Meuchelmörder brachten sich in Verteidigungsposition. Rücken an Rücken stehend, sich gemeinsam im Kreis drehend, suchten sie die blauen und schwarzen Schatten um sich herum ab. Schließlich machte Blake eine Bewegung in ihnen aus. Es war etwas Großes, noch Dunkleres, das da zwischen den Bäumen hervor getaumelt kam. Eine seltsame Gestalt, die Silhouette menschenähnlich und doch wieder nicht.

      „Was ist das?“, hauchte er, kniff die Augen zusammen und trat einen Schritt vor.

      Arren wirbelte zu ihm herum, aufgeregt fragend: „Was? Wo denn?“ Die Spitze seines Pfeils auf der Bogensehne zeigte in schnellem Tempo hierhin und dorthin, bis seine Augen das erfassten, dem Blakes ganze Aufmerksamkeit galt. „Was ist das, zum Henker noch eins?“, fragte der Schütze und richtete seine Waffe auf es. Blake zuckte mit den Achseln, trat einen weiteren Schritt vor und reckte den Hals, als könnte er so mehr erkennen.

      „Ein Tier ist es jedenfalls nicht“, merkte er an, obgleich er sich dessen nicht ganz sicher war. Denn welches Wesen gab es, das derart ungleich gebildet war: groß und schlank mit zwei Beinen und Armen, aber mit einem merkwürdigen Auswuchs, der vom Rumpf abstand? Einst hatte Blake in einer Gasse darauf gewartet, dass ein Auftrag vorbeikam, als er dem bunten Treiben auf dem Marktplatz lauschen musste, wo ein Puppenspieler für die Kinder Gruselgeschichten darstellte. Über missgebildete Menschen, Monstern aus der Hölle und geflügelten Dämonen hatte er erzählt, was die Kleinen vor Spannung zum Aufkeuchen gebracht, die Eltern jedoch entsetzt hatte. Sie ahnten bereits, welche Auswirkung die mittägliche Erzählstunde über solcherlei Kreaturen mit ihren Sprösslingen in der Nacht anrichten würde. Und nicht wenige zerrten ihre plärrenden Gören von dort fort in der Hoffnung, dass der Schaden noch nicht allzu groß war.

      Blake hatte damals den Kopf darüber geschüttelt, sowohl über die Menschen als auch über die Hirngespinste, die sich der Puppenspieler ausgedacht hatte. Mit keinerlei Faser seines Herzens hatte er dessen Worten geglaubt. Monster und Dämonen mit grausigen Fratzen, Fabelwesen und Magie – er war viel gereist, hatte viel gesehen und erlebt, aber in keiner noch so unwirtlichen Gegend hatte er derlei je zu Gesicht bekommen. So etwas gab es schlicht und ergreifend nicht! Aber was war es dann, das da im Wald umher wankte?

      Blake schüttelte den Kopf. Es musste eine völlig normale Erklärung dafür geben, und er würde sie schon sehr bald erhalten, denn die Gestalt taumelte immer weiter in seine und Arrens Richtung. Je näher sie kam, desto mehr enthüllte der Schein des brennenden Lagerfeuers an ihr, und nur zwei Wimpernschläge später hockte Blakes Antwort zu seinen Füßen. Mit weit aufgerissenen Augen und dem Ausdruck der Überraschung und des Unglaubens im Gesicht starrte er nach unten, unfähig sich zu bewegen oder zu reden. Doch er wusste mit Sicherheit eins: Es war an der Zeit, dass er seine Meinung über Märchenfiguren änderte. Denn vor ihm kniete ein menschlicher Schmetterling.

      ~

      Prinz Anrai hielt sich lachend den Bauch. „Ich kann mir sein Gesicht so gut vorstellen“, japste er.

      Prinzessin Laoghaire kicherte. „Es tut ihm gut, eines Besseren belehrt zu werden. Es gibt nun einmal mehr, als unsere Augen sehen können“, sagte sie, selbst überzeugt davon, dass es in ihrer Heimat Kobolde, Trolle und Feen gab. Ihr Bruder winkte nur ab. Die altkluge Art seiner Schwester war ihm nur allzu sehr vertraut.

      „Machst du weiter?“, fragte er, und die Prinzessin nickte.

      ~

      Ein verdammter Schmetterling saß da vor ihm! Nun gut, ihm fehlte ein Flügel, aber es war ein Schmetterling. Wie konnte das sein? Sicher halluziniere ich, dachte er.

      „Arren, sag mir, dass ich das träume“, sagte er, das Wesen zu seinen Füßen nicht aus den Augen lassend.

      „Ich wünschte, ich könnte. Aber ich sehe es auch. Das bedeutet also, entweder träumen wir beide dasselbe oder es ist tatsächlich real“, entgegnete Arren, der den Pfeil samt Bogen gesenkt hatte.

      „Aber das ist nicht möglich“, flüsterte Blake, ging in die Knie und streckte die Hand nach dem sonderbaren Geschöpf aus. Seine Fingerspitzen berührten sachte die Haut des Gesichts und zogen sich umgehend zurück. Es war also keine Einbildung. Es – sie war echt, so wie er und Arren echt waren, wenn auch nicht so hübsch wie sie, denn das war sie zweifellos: ein zauberhafter Schmetterling in Menschengestalt, eine wunderschöne Frau mit allem Drum und Dran, wie Blake mit einem forschenden Blick erkannte, plus Flügeln. Obwohl, einer fehlte ihr. Die Erkenntnis hatte kaum angefangen sich zu setzen, da packte sie seine Hand und hielt sie fest umschlossen. Im allerletzten Moment gelang es ihm, sich abzufangen, bevor er mit ihr zusammenstoßen konnte.

      „Bitte,